Koalitionssuche in Hannover:Schwer vermittelbar

TV-Duell Landtagswahl Niedersachsen

Leiden sie an „Ausschließeritis“? Die Spitzenkandidaten von Grünen und FDP in Niedersachsen, Stefan Wenzel (links) und Stefan Birkner.

(Foto: Julian Stratenschulte/dpa)

SPD und Grüne versuchen, die Gräben zu den Liberalen zu überwinden. Die reagieren abweisend. Denn sie wollen etwas ganz anderes.

Von Peter Burghardt und Thomas Hahn

Wahlen in Niedersachsen können lange dauern, das wusste man schon. 2013 kam erst im letzten Moment eine knappe Mehrheit für SPD und Grüne zustande - seitdem regierte SPD-Ministerpräsident Stephan Weil mit der denkbar knappen Überzahl von einem Sitz, ehe die Grüne Elke Twesten im August zur CDU abwanderte und die vorgezogenen Neuwahlen erzwang. Diesmal ist noch mehr Geduld gefragt, denn nun wird um drei wesentlich kompliziertere Varianten gerungen. Diese rechnerischen Möglichkeiten nennen sich große Koalition, Ampel und Jamaika.

Das grundsätzliche Problem dabei lautet: Wie baut man eine Koalition aus den Resten des alten Lagerdenkens, wenn jeweils zwei Parteien dieser denkbaren Bündnisse herzlich zerstritten sind?

Das ist die Frage, die sich Niedersachsens Politikelite jetzt stellen muss. Lange gehörte es zum guten Ton in der Landespolitik, dass sich CDU und FDP sowie SPD und Grüne als Einheit der jeweils gegenläufigen politischen Strömung darstellten. SPD und Grüne hatten ihren Wahlkampf teilweise zusammen bestritten und waren am Sonntagabend grundsätzlich in Feierlaune. Einmal explodierte der Jubel bei ihren Wahlpartys in Hannover wie bei einem Torerfolg im Fußballstadion, als die Zahlen die bewährte rot-grüne Einstimmenmehrheit verhießen.

Aber Hochrechnung um Hochrechnung zerstreute sich die Hoffnung. Am Ende mussten die rot-grünen Gewinner feststellen, dass sie ihre Berechtigung als parlamentarisches Paar verloren hatten. Und von der FDP war nichts zu hören außer einer strengen Verweigerung gegen den einzigen Pakt, der Rote und Grüne zusammenhielte. Die Ampel hatten die Liberalen schon im Wahlkampf ausgeschlossen. Angeblich denken sie gar nicht mehr in Lagern, "sondern in inhaltlichen Projekten". Aber die Furcht vor der linken Ausrichtung von SPD und Grünen trugen sie nach der Wahl recht offensiv zu Markte.

Alle Spitzenkräfte der Liberalen wie der Bundesvorsitzende Christian Lindner und Landeschef Stefan Birkner sagen, dass eine niedersächsische Ampel nicht in Frage komme. "Es passt inhaltlich nicht", erklärt Christian Dürr, bis zu seiner Wahl in den Bundestag Fraktionschef der Niedersachsen-FDP. "Rot und Grün sind angetreten, Rot-Grün zu verlängern - was macht dann eine FDP auf der Regierungsbank? Die FDP ist keine Stützräderpartei, sondern eine Partei, die einen Neustart will." Seine Botschaft: lieber Rot-Schwarz oder Jamaika als eine neue Legislaturperiode mit SPD und Grünen in der Verantwortung.

Niedersachsens FDP-Generalsekretär legte am Montag nach. "Es wird in Niedersachsen keine Ampel geben, zu 100 Prozent", verkündete Gero Hocker. Die FDP sei "kein Steigbügelhalter", man habe für die Abwahl von Rot-Grün gekämpft. "Wir werfen für eine Regierungsbeteiligung nicht unsere Grundsätze über Bord." Schnittmengen mit den Grünen? "Suche ich mit der Lupe und finde keine", sprach Hocker. Bei Integration, Landwirtschaft oder Energiepolitik seien "die Gräben extrem tief".

Eine Übereinkunft mit CDU und Grünen dagegen hält er für machbar: "Jamaika würden wir uns nicht verweigern." Natürlich nicht, das würde den Wünschen der Bundes-FDP widersprechen. Auch da müssten Gräben überwunden werden. Die Grünen haben die Tür weit geöffnet - Richtung Ampel. Die Grünen-Chefin Simone Peter bringt zwar auch die Möglichkeit einer Minderheitsregierung mit der SPD ins Spiel - die Landesvorsitzende Meta Janssen-Kucz jedoch schwärmte von Überschneidungen mit der FDP. "Große Schnittmengen" entdeckt sogar Christian Meyer, der grüne Landwirtschaftsminister.

Meyer gehörte zu den polarisierenden Kräften in Weils Kabinett, wegen seiner offensiven Tierwohlpolitik im produktivsten Agrarland Deutschlands. Die Grünen feierten ihn am Sonntag so laut, dass vor Rührung seine Mundwinkel zuckten. Im konservativen Milieu hingegen gilt Meyer als schwer vermittelbar, auch bei der FDP. Er selbst findet eine Ampel-Koalition sympathisch. Gemeinsamkeiten von Grün und Gelb? "In der Flüchtlingsfrage, in Bürgerrechtsfragen, mit der FDP würde es auch nicht so ein scharfes Polizeigesetz geben wie mit der CDU." Meyer lobt die FDP als "konstruktive Opposition". Er wirbt für einen Sinneswandel: "Ich hoffe, dass die FDP ihre Ausschließeritis aufgibt." Jamaika können sich die Grünen offiziell nicht vorstellen. "Haudraufpolitik" betreibe die CDU, wettert Janssen-Kucz - "wenig Inhalte, immer nur mit Dreck werfen."

Die Sozialdemokraten wollen als Ersatz für Rot-Grün ebenfalls die Ampel. Eine große Koalition, in Berlin gerade beendet, wäre eine Notlösung. Die SPD ist in Niedersachsen linker und die CDU konservativer als im Bund, SPD-Wahlsieger Weil und CDU-Wahlverlierer Althusmann waren im Wahlkampf entschiedene Gegner. "Das Wort hat der Ministerpräsident", sagt Stefan Wenzel, der grüne Spitzenkandidat und Umweltminister. Darin schwingt die Hoffnung auf Stephan Weils Qualitäten als Brückenbauer - zwischen Gelb und Grün.

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