Merkel und Seehofer:Fast wie Schröder und Lafontaine

Merkel und Seehofer: Angela Merkel und ihr Koalitionspartner Horst Seehofer am Mittwoch im Kabinettssaal

Angela Merkel und ihr Koalitionspartner Horst Seehofer am Mittwoch im Kabinettssaal

(Foto: AFP)

Merkel und Seehofer gingen getrennte Wege, führten gemeinsame Wahlkämpfe. Ihr aktueller Streit über die Flüchtlingspolitik lässt sich ohne Gesichtsverlust aber kaum noch lösen.

Von Stefan Braun, Berlin

Nächtliche Krisensitzungen im Kanzleramt, offene Ultimaten, hartes Getrommel hinter verschlossenen Türen, und dann auch noch Pressekonferenzen mit nur mühsam zurückgehaltenen Zornesausbrüchen - was sich in den vergangenen 48 Stunden zwischen Angela Merkel und Horst Seehofer abgespielt hat, trägt alle Züge einer großen Krise.

Die Kanzlerin und der neue Bundesinnenminister, die CDU-Vorsitzende und der CSU-Chef - das ist keine Beziehung mehr, die länger als ein paar Wochen friedlich sein kann. Trotz Einigung im Wahlkampf, trotz noch größerer Einigung vor den Koalitionsverhandlungen: Das Flüchtlingsthema trennt die beiden.

Für die alles entscheidende Frage, wen man künftig direkt an der Grenze zurückweist, wird eine Lösung kaum mehr ohne größten Gesichtsverlust einer Seite möglich werden. Was wie eine Petitesse klingt, trifft Merkels Flüchtlingsgeschichte im Kern. Seehofer will - nach vielen Verschärfungen, die längst beschlossen wurden - einen radikalen, einen endgültigen Bruch mit den Grundüberzeugungen, die Merkels Politik bislang geprägt haben. Es geht nicht mehr um Kompromisse; es geht um Sieg und Niederlage.

Damit tritt dieses besondere politische Paar in eine neue Phase der Beziehung. Eine Phase, die ans Frühjahr 1999 erinnert, als ein anderes Politpaar an seine Grenzen kam. Wie damals Gerhard Schröder und Oskar Lafontaine stehen Merkel und Seehofer nach wenigen Monaten im Amt vor einem Zerwürfnis - obwohl sie im Wahlkampf davor so getan hatten, als seien sie das allerbeste Bündnis. Noch sind Merkel und Seehofer beide im Amt. Aber die Konfliktlinie, die sie offenbar nicht mehr los werden, ist so scharf wie die vor fast zwanzig Jahren.

Lafontaines Rücktritt an einem Frühjahrsabend 1999 war eine Sensation und hatte sich doch abgezeichnet. Unüberbrückbare Differenzen zwischen ihm und Schröder waren früh erkennbar geworden, insbesondere in der Finanzpolitik, aber auch im Streit um den Kosovokrieg. Dazu kamen Intrigen der jeweiligen Gewährsleute, kleine Sticheleien genauso wie bösartige Attacken hinter dem Rücken des anderen.

Und das alles, obwohl beide aus taktischen Gründen wenige Monate zuvor noch demonstrativ Hand in Hand marschiert waren. Das Bild von der Saarschleife - es ist unvergessen. Im Wahlkampf hätten Schröder und Lafontaine ohne diese Zusammenarbeit kaum eine Chance gehabt, den linken und den rechten SPD-Flügel geschlossen in einen Erfolg gegen die Union zu führen. Gemocht hatten sie sich nie. Trotzdem hatten sie verstanden, dass sie es nicht ohne den anderen schaffen würden.

Das Ergebnis: Sie verständigten sich auf Formelkompromisse, in die jeder das Eigene hineinlesen konnte - und lächelten in die Kameras, als gäbe es nicht den Hauch eines Konflikts zwischen den beiden. Dabei steckte genau in dieser Form des Überdeckens der Keim des Bruchs, den Lafontaine schließlich vollzog. Im Sieg war der Streit angelegt.

Eine verblüffende Parallele zum Jahr 2018: Das gleiche lässt sich längst über Merkel und Seehofer schreiben. Man kann exakt dieselben Vokabeln verwenden, man muss nur das zentrale Konfliktthema austauschen. Was bei Schröder und Lafontaine das Geld und der Krieg waren, ist bei Merkel und Seehofer die Flüchtlingskrise. Und die wird jetzt gebündelt in der einen Frage, ob Deutschland künftig Flüchtlinge, die schon in einem anderen EU-Land registriert wurden, ohne weitere Prüfung und direkt an der Grenze wieder dorthin zurückschickt.

Warum ein Kompromiss so schwierig ist

Die Frage trifft ins Zentrum der jeweiligen Überzeugungen. Merkel lehnt die Zurückweisung an der Grenze ab, weil sie das als nationalen Alleingang wertet. Ein Schritt, den sie für grundfalsch hält, weil sie in der EU keine Brüche provozieren will, sondern Einheit.

Seehofer sieht es genau umgekehrt. Er hält eben diesen Schritt für den wichtigsten, um für Deutschland und in Deutschland wieder Ordnung und Recht geltend zu machen. Und das EU-Argument weist er zweifach zurück: Erstens bemühe sich die Gemeinschaft seit drei Jahren um eine Verständigung, ohne sie zu erreichen. Und zweitens gebe es in Österreich, Italien und anderswo längst Regierungen, die es genauso halten würden.

Ob das noch überbrückbar ist? Es gab vor gut zehn Jahren einen Moment, in dem sich die beiden in großer Not sehr loyal verhalten haben. Es war Seehofers politisch wohl schwärzeste Stunde - und Merkels Moment der Loyalität gegenüber einem CSU-Politiker, der sie Jahre zuvor im Streit um die sogenannte Kopfprämie hart attackiert hatte.

Merkel hielt Seehofer die Treue

Die Rede ist von jenem Tag 2007, in dem der Minister sich bei seiner Kanzlerin meldete, weil er ihr davon berichtet wollte, dass eine Boulevardzeitung alsbald von seinem Ehebruch und einem nichtehelichen Kind berichten würde. Seehofer wusste, dass er nicht mehr drumherum reden konnte. Und er sprach mit Merkel auch, weil er klären wollte, ob sie ihn fallen lassen würde.

Das aber hat die Kanzlerin damals nicht gemacht. Sie hielt ihm die Treue, sagte ihm, dass er sich einfach darum kümmern sollte. Und das Wichtigste bleibe, dass er sich weiterhin morgens im Spiegel anschauen könnte. Das sei für sie der entscheidende Gradmesser. Mag sein, dass der damalige Landwirtschaftsminister Seehofer sich vor diesem Gespräch gefürchtet hatte. Die Furcht aber war unberechtigt.

Und heute? Haben die beiden eine Chance, noch einmal so zusammenzufinden? Niemand kann das aktuell sagen. Die Fronten sind hart, weil auch öffentlich fest gezogen. Derzeit ist deshalb fast nur eine Möglichkeit zur friedlichen Lösung des Konflikts wahrscheinlich: Merkel könnte beim EU-Juni-Gipfel in knapp zwei Wochen allen anderen Europäern sagen, dass sie jetzt für eine gemeinsame Lösung springen müssten. Andernfalls werde es für sie sehr schwer, dem Druck im eigenen Land länger standzuhalten.

So könnte sie die europäische Fahne hochhalten - und gleichzeitig den EU-Partnern das letzte Wort geben. Und Seehofer? Er hätte in dem Augenblick entweder das, was man schon lange wollte - eine EU-weite Lösung. Oder die Option, seine Linie durchzusetzen.

Ob es so kommt, kann niemand sagen. Aus der CSU ist nur zu hören, dass die Partei eigentlich vor dem Gipfel eine klare Entscheidung möchte. Ein kleiner Wink freilich kam vom Merkel-kritischen CDU-Innenexperten Armin Schuster. Er hat am Dienstabend erklärt, dass die Zurückweisung der Flüchtlinge an der Grenze nach Seehofers Vorstellungen komme, wenn sich die EU wieder nicht einigen könne.

Dass am Donnerstagmorgen erste Berichte aus der Nacht vermelden, Merkel könnte im Rahmen einer europäischen Einigung bilaterale Verträge zur Zurückweisung und Aufnahme von Flüchtlingen als Lösung erachten, klingt wie der Versuch, ihre Überzeugungen doch noch einmal zu retten.

Ein Zufall (oder Glück) ist es da, dass Anfang kommender Woche erst der italienische Premier Guiseppe Conte und dann Frankreichs Präsident Emmanuel Macron in Berlin zu Gast sind. Da kann Merkel vorfühlen, ob das ein gangbarer Weg sein könnte.

Und wenn das alles nicht klappt? Kommt es dann zum Bruch? Komplett schließen das zurzeit nur wenige aus. Andererseits ist zu hören, dass es zwischen dem Frühjahr 1999 und dem Frühjahr 2018 dann doch einen Unterschied gebe: Schröder habe ohne Lafontaine erst mal weiterregieren können, Merkel könne das ohne Seehofer nicht. Das allerdings macht die Lage nicht leichter. Es macht sie womöglich noch komplizierter.

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