Koalitionsspiele:Die Sehnsucht nach Schwarz-Grün

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Die Wunschkoalition des grünen Spitzenkandidaten Winfried Kretschmann kann es allenfalls geben, wenn es zum Bündnis von Union und Liberalen nicht reichen sollte.

Bernd Dörries

Am Rande des Podiums steht ein Schild mit seinem Nachnamen und dem bekannten Kürzel "MdL", das ihn als Mitglied des Stuttgarter Landtages ausweist. Kein Vorname, keine Partei. Und würde man nicht wissen, dass Winfried Kretschmann Fraktionsvorsitzender der Grünen im Stuttgarter Landesparlament und deren Spitzenkandidat ist, so könnte man ihn vielleicht auch in einer ganz anderen Partei vermuten, wenn man ihn so reden hört.

Er spricht davon, dass man nun klären müsse, wie viel Staat man sich in Zukunft noch leisten könne und wie viele Landesbedienstete. Dass man in den nächsten Jahren vielleicht 20.000 von ihnen einsparen müsse. Im Publikum sitzen Rechtsanwälte, Zahnärzte und Menschen mit Architektenbrillen.

Es ist ein Abend im Haus der Wirtschaft, der Landesverband der Freien Berufe, die Sammelbewegung der Selbstständigen hat zu einer Podiumsdiskussion eingeladen. Leute also, von denen man ausgehen kann, dass viele von ihnen seit Geburt an in der FDP sind. Die aber zumindest auch Respekt vor einigen Positionen Kretschmanns haben.

Der 57-Jährige war bei Einzug der Partei in den Landtag vor 25 Jahren schon dabei, er nennt sich selbst "Erfinder der Realos". Dass er nun inmitten von Zahnärzten und Rechtsanwälten sitzt, im Wahlkampf mittelständische Betriebe besucht und nicht als Fremdkörper wahrgenommen wird, ist für Kretschmann ein Zeichen, "dass wir in der Mitte der Gesellschaft angekommen sind".

Aber nicht nur, weil die Grünen sich so sehr verändert hätten. "Das, was wir vor 25 Jahren gesagt haben, ist erst jetzt eingetreten. Unsere Konzepte sind jetzt aktuell." Nun ist dies seit der rot-grünen Koalition in Berlin keine ganz neue Erkenntnis, aber für die baden-württembergischen Grünen ist das Ziel der Reise in die Mitte der Gesellschaft auch ein anderes: eine schwarz-grüne Koalition.

"Tiefe Gräben"

Vor einigen Wochen noch, auf ihrem Landesparteitag, gab es ein lustiges Spielchen zwischen der Führung der Partei und den anwesenden Journalisten. Die fragten nach einer Koalition mit der CDU, und die Parteioberen wanden und quälten sich, sie mit immer neuen Sätzen weder auszuschließen noch zu befürworten, obwohl jeder wusste, dass Leute wie Kretschmann sie sich wünschen. Auch als Belohnung für die vielen Jahre in der Opposition. Damals wollte man keine Tumulte in der Basis riskieren.

An diesem Donnerstagabend, gute zwei Wochen vor der Wahl, sagt Kretschmann, er erlebe in den Betrieben und in bürgerlichen Kreisen eine "Sehnsucht" nach Schwarz-Grün, nach einer Politik mit neuen Ideen und neuer Dynamik.

Es ist vor allem seine Sehnsucht und die der Landtagsfraktion. Sie wird wohl nicht in Erfüllung gehen, was wohl auch ein Grund ist, dass Kretschmann nun offener darüber spricht als noch vor Wochen.

Die Grünen haben mit gewisser Enttäuschung registriert, dass Günther Oettinger, der als Modernisierer antrat, mit seiner entschiedenen Forderung nach einer Verlängerung der Laufzeiten von Atomkraftwerken und dem Einbürgerungsleitfaden für Muslime "tiefe Gräben zwischen Schwarz und Grün gerissen hat". Eine schwarz-grüne Option kann es nur theoretisch geben, wenn der CDU als Alternative nur die große Koalition bleibt. Danach sieht es momentan aber überhaupt nicht aus.

Dass es an einer echten Machtoption fehlt, lässt den Wahlkampf der Grünen nun ein wenig träge dahinplätschern. Den Grünen fehlt ein echtes Wahlkampfthema, die SPD hat den Atomausstieg zu dem Ihren gemacht, was Kretschmann ein wenig verärgert. "Die SPD sollte sich auf die Kritik an Oettinger konzentrieren statt auf rot-grüne Wechselwähler."

Eine rot-grüne Option gibt es in Baden-Württemberg derzeit nicht, weil die beiden Parteien in den Umfragen weit von einer gemeinsamen Mehrheit entfernt sind. Und weil man sich auch menschlich nicht sonderlich gut versteht. So richten sich die Grünen zwar auf ein gutes Wahlergebnis, vielleicht auch im zweistelligen Bereich, aber auch auf weitere Jahre der Opposition ein. "Wir können das, da sind wir Profis", sagt Winfried Kretschmann.

Es gab auch mal eine Zeit, in der die FDP gewisse Sorgen plagten, nach dieser Landtagswahl nicht mehr an der Regierung zu sein. Nach den Rücktritten von Walter Döring und der Justizministerin Corinna Werwigk-Hertneck im Sommer 2004 war die Partei führungslos. Seitdem versucht der Justizminister und Spitzenkandidat der Liberalen, Ulrich Goll, der Partei wieder mehr Inhaltlichkeit zu verordnen, nachdem sie zuvor hauptsächlich von der Präsenz und den Späßen von Walter Döring gelebt hatte.

Goll müht sich, den Ruf der Partei - in Personalfragen hart, aber inhaltlich flexibel zu sein - in Vergessenheit geraten zu lassen, was kein einfaches Unterfangen ist. Es gab aber auch Erfolge: Jüngst legte sich Ministerpräsident Günther Oettinger darauf fest, ab 2011 keine neuen Schulden zu machen, was die Liberalen seit langem gefordert hatten.

Ein wenig scheu

In der baden-württembergischen FDP gibt es ein Sprichwort, das die Wählerschaft der Partei ganz gut beschreibt. "Ebbes Bäck und ebbes Doktor" seien die Leute, die die Partei wählen. Etwas Bäcker und etwas Doktor. Man kann sagen, dass Goll heute eher bei den "ebbes Bäck" einen Besuch abstattet. Es ist eine Ortsbegehung von Fellbach geplant, einer Kleinstadt vor den Toren Stuttgarts. Unterhalb der Weinberge trifft sich eine übersichtliche Anzahl von Liberalen.

Man besucht die örtliche Weinbaugenossenschaft und macht einen Spaziergang durch die Innenstadt: Die örtliche FDP hat den Termin nicht groß publik gemacht und will, dass der Spitzenkandidat einfach auf die Leute zugeht. Nun sind die Leute am diesem trüben Nachmittag aber in der Mehrzahl nicht auf dem Straßen und in den Geschäften. Und Goll ist kein großer Händeschüttler, fast ein wenig scheu umschleicht er die Menschen in den Straßen, von denen die meisten ihn nicht kennen. Auch wenn sie nur einige Meter neben einem Plakat mit seinem Gesicht stehen.

Seinem Vorgänger Walter Döring wäre das nicht passiert. In den Umfragen hat sich die relativ geringe Bekanntheit noch nicht bemerkbar gemacht. Es scheint doch so zu sein, dass es in Baden-Württemberg eine gewisse Klientel von Zahnärzten und Bäckern gibt, die FDP wählen, egal was passiert. Menschen, um die sich der Grüne Winfried Kretschmann offenbar vergeblich bemüht.

© SZ vom 14.3.2006 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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