Koalitionen:Weil es vernünftig ist

Plötzlich funktionieren Bündnisse, die bisher undenkbar waren. Die neue Flexibilität der Parteien in den Bundesländern könnte stilbildend sein. Denn sie sagen den Wählern: Wir haben euch verstanden.

Von Stefan Braun

Es war wahrscheinlich reiner Zufall, dass die Koalitionsverhandlungen in Düsseldorf und Kiel beinahe zeitgleich abgeschlossen werden konnten. Die Zielstrebigkeit zeigt, wie entschlossen alle Beteiligten sind, nach den Wahlen keinen Streit zuzulassen und kein langes Tamtam zu erlauben. Also haben sie in Düsseldorf wie in Kiel zügig Gemeinsamkeiten gefunden. Das ist noch keine Revolution, zeugt aber von neuem Verantwortungsbewusstsein und Pragmatismus.

Keine Frage, in Nordrhein-Westfalen ist es leichter gewesen als in Schleswig-Holstein, wo neben CDU und FDP auch die Grünen für ein Bündnis gebraucht wurden. Trotzdem: Nach der historischen Katastrophe 2013 stand keineswegs fest, dass die Liberalen einen Neuanfang bekommen würden. Und deshalb war es alles andere als selbstverständlich, dass sich die Partei derart schnell und geräuschlos mit einer CDU einigen würde, die viele in der FDP als größtmöglichen Verräter erlebt und empfunden haben. Die Verwundungen, die der Triumph der Union 2013 bei den Liberalen hinterlassen hat, sind vielleicht vernarbt. Aber sie sind noch lange nicht aus dem Gedächtnis verschwunden.

In der Landespolitik zeigt sich Politik ganz pragmatisch

Bemerkenswert ist vor allem das Jamaika-Experiment in Schleswig-Holstein. Noch sind nicht alle Details bekannt. Aber eines scheint jetzt schon klar zu sein: Hier haben demokratische Vernunft und Bescheidenheit ideologische Gräben überwunden. Das bedeutet mitnichten, dass die drei Parteien ihre Konturen verlieren und einen öden Einheitsbrei zusammen rühren. Diesem Bündnis ist es gelungen, Wichtiges und Unwichtiges voneinander zu trennen - und jedem der Partner an für ihn zentraler Stelle auch Raum zu geben. Nur so kann man die unterschiedlichen Botschaften der Wähler versöhnen. Denn mehr noch als in Düsseldorf war in Kiel klar: Es sind CDU, FDP und Grüne, die gewonnen haben. Keine Partei siegte überragend, alle drei aber haben mit einer Portion Überraschung ein gutes Ergebnis eingefahren. Die Botschaft daraus war unstrittig: Nehmt den Auftrag ernst, den die Wähler euch gegeben haben. Ob Jamaika am Ende funktioniert, wird man in ein, zwei Jahren beurteilen können. Fürs Erste ist ein anderes Signal wichtig: Trump, Brexit, Terrorismus - wenn die Welt sich derart radikalisiert, müssen sich die Moderaten mit vernünftigen Kompromissen zusammenfinden.

Die Einigung von Kiel könnte in diesem Sinne über das Bundesland hinaus wirken. Als Beispiel dafür, dass Parteien ihre tradierten Feindbildern überwinden und ein Wahlergebnis richtig lesen können. Das wäre die richtige Botschaft in einer Zeit, in der in vielen demokratischen Staaten erstarrte Parteien und verkrustete Systeme in sich zusammenbrechen. Frankreich, Österreich, die Vereinigten Staaten - in allen drei Ländern haben sich traditionsreiche Parteien als unfähig erwiesen, auf neue Zeiten klug, pragmatisch, auch anpassungsfähig zu reagieren. Im kleinen Schleswig-Holstein haben CDU, FDP und Grüne darauf eine Antwort gegeben.

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