Koalitionen:Reden über den Ernstfall

Die Grünen machen es sich zu leicht, wenn sie glauben, dass eine Koalition im Bund ohne Schmerzen zu haben sein wird. Welchen Preis will die Partei also zahlen? Es wäre höchste Zeit für eine aufgeklärte Debatte, aber die Führung duckt sich weg und lässt sich treiben.

Von Constanze von Bullion

Gut ein Jahr vor der Bundestagswahl hat bei den Grünen begonnen, was nicht mehr warten kann: der Zank, ob die Partei sich auf ein Bündnis mit der Union oder mit SPD und Linken einstimmen soll. Schwarz-Grün ist machbar, sagt Baden-Württembergs Ministerpräsident Winfried Kretschmann, der offenbar gar nicht mehr aufhören kann, für ein bürgerliches Bündnis zu beten. In Berlin hält eine andere graue Eminenz dagegen: Jürgen Trittin. Der ist zwar ohne Amt bei den Grünen, dafür aber umso überzeugter, die Partei nach links führen zu müssen. Er habe kürzlich mit Oskar Lafontaine die Chancen von Rot-Rot-Grün ausgelotet, ließ er wissen. Sie stünden nicht schlecht.

Wie schön, dass die Welt auf diesem Weg erfährt, dass Polit-Pensionäre und andere selbsternannte Missionare das Denken zu lenken suchen in einer Grundsatzdebatte, die bei den Grünen eigentlich das amtierende Spitzenpersonal führen müsste. Von den Hofreiters der Nation kommt in der Bündnisfrage allerdings wenig mehr als: "Wir sind grün, und das ist auch gut so." Deshalb darf sich die Grünen-Führung nicht beschweren, wenn die Altvorderen vormachen, was sie selbst tun müsste: streiten, intern und öffentlich.

Kein Bündnis ohne Schmerzen - die Grünen müssen sich bewegen

Die Grünen können sich nicht länger um die Frage herummogeln, wie sie ihrer Basis eigentlich verkaufen wollen, dass ein schwarz-grünes Bündnis im Bund nicht nur denkbar ist, sondern im Ernstfall auch kommen kann. Grüne Ministerinnen und Minister würden dann die Regierungsbank nicht nur mit Angela Merkel teilen, die seit der Flüchtlingskrise Kanzlerin vieler grüner Herzen ist. Es säßen dort auch Typen vom Schlage Söders und Seehofers. Nicht nur beim Thema Integration, auch in Steuer- und Familienfragen wünscht man da viel Vergnügen.

Die Kretschmänner unter den Grünen mögen wieder dort angekommen sein, wo sie ihre Eltern einst zurückgelassen haben: in der westdeutschen Wohlstands- und Bildungsbürgerwelt. Für erhebliche Teile der Basis aber gilt das nicht. Wer das nicht glaubt, kann ja mal Renate Künast fragen. Als sie 2011 Regierende Bürgermeisterin von Berlin werden wollte und kurz vor der Wahl erklärte, sie würde auch mit der CDU regieren, brach bei ihren Anhängern ein Aufstand los. Die Kandidatin ging kläglich baden. So ein Richtungswechsel will also vorbereitet sein.

Ähnlich ist es aber auch mit einem rot-rot-grünen Bündnis, das der grünen Klientel gemütlicher erscheinen mag. Auch hier hilft Hinsehen. Rot-Rot-Grün hieße, Sahra Wagenknecht wird Ministerin - vermutlich für Finanzen, wenn es nach ihr ginge. Undenkbar? Dann vielleicht das Ressort Verteidigung für die rote Dame? Inneres mit Flüchtlingen? Außenpolitik? Allen Grünen, denen sich jetzt die Fußnägel aufstellen, sei mehr Fleiß ans Herz gelegt und Mut zum Konflikt. Nur wenn sich die Partei ehrlich auseinandersetzt und rechtzeitig die Schmerzen möglicher Koalitionen durchdenkt, kann sie verhindern, wonach es in Umfragen aussieht: dass es für eine Regierung mit den Grünen eh nicht reicht.

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