Koalition streitet um Steuersenkung:Milliarden sprudeln, Schwarz-Gelb stockt

Knapp 40 Milliarden Euro zusätzliche Steuereinnahmen prophezeien die Schätzer dem Staat bis 2015 - aber die Koalition schafft es nicht, sich auf eine noch so kleine Entlastung für die Bürger zu einigen. Vor dem schwarz-gelben Gipfeltreffen am Sonntag fordern manche entnervt ein Ende der Debatte. Dabei hängt womöglich das Überleben der FDP an dieser Frage.

Thorsten Denkler, Berlin

Das hätten die schwarz-gelben Streithähne viel einfacher haben können. Es war ja auch eigentlich schon alles geregelt. Vor zwei Wochen hatten FDP-Chef Philipp Rösler und Bundesfinanzminister Wolfgang Schäuble ein gemeinsames Konzept für eine Abflachung des so genannten Mittelstandsbauches in der Steuerkurve vorgestellt. Kleine und mittlere Einkommen sollen so von den überproportional hohen Steuern befreit werden, die die kalte Progression verursacht.

Regierung will ab 2013 Steuern senken

Steuern runter? Soli absenken? Ob Plan A oder Plan B - Schwarz-Gelb kann sich bislang auf keine Entlastung für die Bürger einigen.

(Foto: dapd)

Damit ist der Effekt gemeint, den Gehaltserhöhungen haben können: Ein Arbeitnehmer bekommt zwar mehr Geld, hat wegen der Inflation aber kaum mehr im Portemonnaie. Trotzdem berechnet ihm das Finanzamt höhere Steuern, weil er in eine andere Steuerklasse gerutscht ist.

Sechs bis sieben Milliarden Euro hätte die Entlastung den Staat kosten sollen. Eine überschaubare Summe, angesichts der an diesem Freitag veröffentlichten Steuerschätzung. Bis 2015 wird der Staat demnach 39,5 Milliarden Euro mehr einnehmen, als noch im Mai prognostiziert. Allein für das laufende Jahr gehen die Steuerschätzer von einem Plus für Bund, Länder und Gemeinden in Höhe von 16,2 Milliarden Euro aus.

Wir haben es wenigstens versucht

Finanzpolitisch scheint also alles in Butter. Von der Kleinigkeit abgesehen, dass CSU-Chef Horst Seehofer in die Steuersenkungs-Überlegungen von Rösler und Schäuble nicht eingebunden war. Der bayerische Ministerpräsident tobte und ließ den Deal platzen. Ein bisschen mehr Feingefühl gegenüber Seehofer, dann könnte die Regierung jetzt mit einem halbwegs tragfähigen Steuerentlastungskonzept dastehen.

Der Ball läge im Feld des Bundesrates, der das Ansinnen ablehnen würde. Dort müssten die Ländervertreter den Bürgern erklären, warum sie bei den vielen Milliarden für Griechenland ihren Bürgern nicht ein paar Euro weniger Steuern gönnen wollen. Die Regierung könnte sagen: Wir haben es wenigstens versucht - und das Thema endlich beerdigen.

Jetzt aber stehen Union und FDP blank da. Wobei, ganz richtig ist das nicht. Sie haben sich immerhin einen veritablen Koalitionskrach geleistet. Was nur deshalb nicht auffällt, weil in Europa gerade ganz andere Stürme toben. Und weil Streit auch nicht wirklich etwas Neues ist in dieser schwarz-gelben, einstigen Wunschkoalition.

Die Chancen schwinden

Am kommenden Sonntag treffen sich die Spitzen von Union und FDP zum Koalitionsausschuss im Kanzleramt. Ursprünglich auch, um endlich das leidige Steuerthema abzuräumen. Doch die Chancen dafür schwinden Stunde für Stunde. Eine Vorbesprechung mit den Unions-Ministerpräsidenten an diesem Freitag hat wie erwartet keine Einigung gebracht. Eine weitere Sitzung soll es vor dem Koalitionsgipfel nicht geben.

Soviel ist sicher: Der Mittelstandbauch bleibt rund wie er ist. Seehofer hat klar gemacht, er werde keiner Lösung zustimmen, die im Bundesrat definitiv scheitern wird. Und das würde sie - nicht nur wegen der SPD- und Grün-geführten Länder.

Auch CDU-Ministerpräsidenten wollen trotz der positiven Steuerschätzung auf Steuereinnahmen nicht verzichten. Wegen der Schuldenbremse brauchen sie jeden Cent, um ihre Haushalte in den kommenden Jahren auf null Euro Neuverschuldung herunterzufahren. Von den zwischen Rösler und Schäuble ausgehandelten sechs bis sieben Milliarden Euro hätten Länder und Gemeinden 57,5 Prozent zu tragen.

Plan B: Runter mit dem Soli

Als Plan B gilt vor allem der FDP die Absenkung des Solidaritätszuschlages. Darüber kann der Bund alleine verfügen und könnte mit Koalitionsmehrheit beschlossen werden. Aber auch da: Probleme über Probleme.

[] Problem eins: Für den Bund würde das erheblich teurer. Hinter die versprochenen mindestens sechs Milliarden Euro Entlastung kann die Regierung kaum zurückfallen. Beim Mittelstandsbauch wäre ihr Anteil etwa drei Milliarden Euro gewesen. Beim Soli müsste der Bund die Summe alleine tragen.

[] Problem zwei: Die Ostländer gehen schon jetzt auf die Barrikaden. Die ostdeutschen Bundestagsabgeordneten haben an Unions-Fraktionschef Volker Kauder einen gepfefferten Brief geschrieben. Darin heißt es, sie würden es nicht akzeptierten, "wenn die Vollendung des Aufbaus Ost riskiert wird, weil die Senkung des Solidaritätszuschlags als einfachster Weg zur Durchsetzung einer Steuersenkung im Bundesrat erscheint".

[] Problem drei: Menschen mit geringem Einkommen hätten von der Absenkung nichts. Fällig wird der Soli erst ab einem Monatseinkommen von 972 Euro für Singles und 1944 Euro für Verheiratete. Das von Union wie FDP erklärte Ziel, kleine und mittlere Einkommen zu entlasten, würde verfehlt. Außerdem läuft der Soli ohnehin 2019 aus. Das relativiert etwas die Entlastungsbemühungen der Koalition.

Die neuste Volte: Statt Soli und Mittelstandsbauch könnte ja die Stromsteuer gesenkt werden. Das Handelsblatt berichtet, dass darüber in der CDU ernsthaft nachgedacht wird. Aus der gleichen Partei aber kommen auch schon die Kritiker dieser Idee.

"Das hat mit der Stromsteuer nichts zu tun"

Thomas Bareiß, energiepolitischer Sprecher der CDU, nannte es "verwirrend und nicht zielführend", die Debatte um die Beseitigung der kalten Progression mit der Stromsteuer zu vermischen. Die Menschen erwarteten bei den Steuern mehr Gerechtigkeit und Vereinfachungen. Bareiß bleibt dabei: Wenn, dann müsse die kalte Progression angepackt werden. Nur: "Das hat mit der Stromsteuer nichts zu tun."

Bei alledem bleibt Schäuble einfach stur. Mittelstandsbauch abflachen oder gar nichts - das ist seine Devise. Für etwas anderes gebe es "keine Spielräume". Er hat erkannt: Um eine vernünftige Steuerpolitik geht es offensichtlich längst nicht mehr. Sondern nur noch darum, irgendwie, irgendwo den Wählern ein paar Steueralmosen hinzuwerfen. Damit FDP-Chef Rösler sagen kann, er habe sein Versprechen gehalten. "Ab jetzt werden wir liefern!", hat Rösler nach seiner Wahl im Frühjahr großmundig erklärt. Nur was genau, das hat er nicht gesagt. Irgendwas mit Steuern, soviel war klar.

CDU-Landesminister will Steuern erhöhen

Vielleicht streicht Schwarz-Gelb am Ende gar die Branntweinsteuer. Brächte auch knapp zwei Milliarden Euro. Oder die Schaumweinsteuer: wäre für gut 500 Millionen gut. Hauptsache runter mit den Steuern.

Um das koalitionäre Steuer-Chaos noch perfekt zu machen, fordern manche in der CDU jetzt sogar Steuererhöhungen. Ähnlich wie die SPD will Niedersachsens Justizminister Bernd Busemann den Spitzensteuersatz heraufsetzen. Und zwar auf 50 Prozent. Und dazu will er noch einen flächendeckenden Mindestlohn von 8,50 Euro. Den gleichen Wert fordert auch die SPD.

In der Union nervt die Steuer-Debatte einige inzwischen gewaltig. Reiner Haseloff, CDU-Ministerpräsident in Sachsen-Anhalt sagt: "Die große Mehrheit innerhalb der Union lehnt Steuersenkungen ab." Oberste Priorität habe, dass Bund und Länder künftig ohne neue Schulden auskommen könnten. "Wir sollten die Debatte über Steuersenkungen schleunigst beenden." Das findet auch genannter Bernd Busemann: "Steuergeschenke verbieten sich angesichts der immer noch viel zu hohen Staatsschulden."

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