Koalition in Baden-Württemberg:Was im grün-schwarzen Koalitionsvertrag steht

Koalitionsverhandlungen von Grünen und CDU

Diese Zuneigung soll jetzt fünf Jahre halten: CDU-Landeschef Thomas Strobl und Grünen-Regierungschef Winfried Kretschmann.

(Foto: Franziska Kraufmann/dpa)
  • Grüne und CDU haben in Baden-Württemberg die inhaltlichen Verhandlungen über den Koalitionsvertrag beendet. Am Montag soll er vorgestellt werden.
  • Die Gespräche liefen schleppend. Sie zeigen: Vor allem die CDU ist tief gespalten und muss als Juniorpartner Kompromisse eingehen.
  • Die Eckpunkte: Die Gemeinschaftsschulen bleiben, 1500 Polizeistellen kommen und das Familiengeld ist vom Tisch.

Von Josef Kelnberger, Stuttgart

Es hat bei den Koalitionsverhandlungen zwischen Grünen und Schwarzen in den vergangenen Wochen immer wieder öffentlichen Krach gegeben. Am lautesten wurde es, als der stellvertretende CDU-Vorsitzende Winfried Mack die Führungsrolle für seine Partei beanspruchte.

Der Konter kam sofort: In der Politik sei Kompromissfähigkeit gefragt, wer sich "verwirklichen" wolle, solle besser einen Schrebergarten mieten und Radieschen züchten, sagte EU-Kommissar Günther Oettinger, ehemaliger Ministerpräsident - und ebenfalls CDU. Das zeigt, wo die gefährliche Konfliktlinie in diesem Bündnis verläuft: zwischen CDU und CDU. Ein Vorbote für das Klima in der grün-schwarzen Koalition, die vom 12. Mai an Baden-Württemberg regieren will?

Am Montag, zwölf Uhr, soll der Koalitionsvertrag vorgestellt werden. Ein umfängliches Werk, etwa 200 Seiten lang, Ergebnis eines intensiven Ringens. Übers Wochenende wird noch über den Zuschnitt der Ministerien und deren Verteilung verhandelt, aber die wesentlichen Streitpunkte wurden in der Nacht zum Freitag abgeräumt, wie aus den beiden Delegationen verlautete.

Die nächste historische Marke aus Baden-Württemberg: nach Winfried Kretschmann als erstem grünen Ministerpräsidenten Deutschlands nun bald die erste grün-schwarze Regierung Deutschlands. Wenn denn alles gutgeht.

Die Grünen traten als Block auf

Der Vertrag muss am 6. und 7. Mai noch von den Parteitagen gebilligt werden. Das wird den Grünen leichter fallen als den Christdemokraten. Sie sind als monolithischer Block aufgetreten bei den Verhandlungen, in perfekter staatspolitischer Verantwortung.

Keine roten Linien wurden öffentlich formuliert, selbst die Grüne Jugend hielt still. In der CDU dagegen flammte immer wieder der Streit zwischen Traditionalisten und Modernisierern auf, Nachwehen der Niederlage vom 13. März. Nun muss die Partei einige Kompromisse verkraften in ihrer Rolle als Juniorpartner.

Schulen, Polizisten, Schuldenbremse

Die Gemeinschaftsschulen, das grün-rote Feindbild der CDU schlechthin, werden nicht abgewickelt. Es können weitere genehmigt werden, einige können auch eine gymnasiale Oberstufe anbieten. Im Gegenzug werden die Realschulen gestärkt. Als dieser Kompromiss aus den Verhandlungen heraus bekannt wurde, erhob sich heftiger Protest in Teilen der CDU. Aber so wird es nun offenbar auch im Koalitionsvertrag stehen.

Noch ein heikles Thema: Einsparungen bei Beamten und Kommunen. Den Beamten hatte die CDU im Wahlkampf versprochen, die Sparrunde von Grün-Rot zurückzunehmen. Und die Kommunen sind die Machtbasis der Christdemokraten. "Das schmerzt", sagte diese Woche Thomas Strobl, der CDU-Landesvorsitzende. "Aber die Alternative wäre, weitere Schulden zu machen."

Die im Grundgesetz verankerte Schuldenbremse vom Jahr 2020 an wollen die Koalitionäre in jedem Fall einhalten. Auch das gehört zum Obergriff der "Nachhaltigkeit", dem Grüne und CDU sich verschrieben haben. Strobl erinnerte daran, die Bremse sei in Baden-Württemberg erfunden worden, von Ministerpräsident Oettinger und dem damaligen Grünen-Fraktionschef Kretschmann.

Ein Defizit von offiziell 2,3 Milliarden Euro hinterlässt der scheidende Wirtschafts- und Finanzminister Nils Schmid (SPD) für 2017, in den kommenden Jahren ist es noch höher. "Prekär" nannte Strobl die Lage immer wieder. Das klang, als stünde das reiche Baden-Württemberg am Rande der Insolvenz. Strobl bereitete mit solchen Statements seine Partei darauf vor, dass nicht jedes Wahlversprechen der CDU zu finanzieren ist. Zum Beispiel ein Landesfamiliengeld.

Grün-Schwarz soll keine Konfliktkoalition werden

Sitzverteilung Baden Württemberg

SZ-Grafik; Quelle: Landeswahlleiter

Als Trophäe darf Strobl die Schaffung von 1500 zusätzlichen Stellen bei der Polizei mit aus den Verhandlungen nehmen. Das ist ein zentrales Wahlversprechen der CDU, das er einlösen kann; in dem Punkt habe die CDU beinhart verhandelt, ist von den Grünen zu hören. Wenn Kretschmann ankündigte, jede der beiden Parteien werde sich in der Koalition mit ihrem Markenkern wiederfinden, so ist dieser Kern für die CDU eindeutig die innere Sicherheit.

Sie setzte zudem Vereinbarungen über Vorratsdatenspeicherung und Online-Durchsuchungen durch, die der grünen Parteilinie zuwider laufen. Strobl, bislang Vize-Chef der Unionsfraktion in Berlin und Experte für innere Sicherheit, wird in der grün-schwarzen Regierung als starker Mann der CDU wohl ein auf ihn maßgeschneidertes Innenministerium übernehmen.

Das Zusammenspiel zwischen den Verhandlungsführern Strobl und Kretschmann habe sich bewährt, ist aus den Verhandlungskreisen zu hören. Einige Streitpunkte räumten die beiden offenbar im persönlichen Gespräch ab. Strobl erhofft sich von der Koalition auch einen Modernisierungsschub für die eigene Partei. An den teuren Bau von Radschnellwegen wird sich seine CDU jedenfalls gewöhnen müssen, wie überhaupt die Politik des grünen Verkehrsministers Winfried Hermann - noch so ein Feindbild der CDU - weitgehend unangetastet bleiben soll.

Die einen: "ganz schön arrogant geworden." Die anderen: "ewig gestrig."

Die Grünen werden darauf beharren, dass die ökologische Modernisierung des Landes - ihr Markenkern - den Koalitionsvertrag prägt. Auf beiden Seiten ist aber die Hoffnung zu spüren, diese Koalition könne mehr werden als nur die Summe ihrer beiden Teile, sondern ein gemeinsames Projekt. Es prallten bei den Verhandlungen ja zunächst Welten aufeinander.

Die Grünen bekamen zu hören, sie seien ganz schön arrogant geworden; die Christdemokraten, sie seien ewig gestrig. Irgendwann einigte man sich, Kampfbegriffe zu vermeiden, zum Beispiel "Gender". Mit gleichen Rechten für Mann und Frau kommt man auch ans Ziel. Und so könnte dereinst als Vermächtnis von Grün-Schwarz neben Haushaltsbremse und Digitalisierungsoffensive, neben Investitionen in Straße und Schiene auch eine Reform des Landeswahlrechts stehen: Die Einführung eines Zweitstimmen-Systems gäbe den Parteien die Gelegenheit, Frauen gezielt zu fördern. Die CDU-Frauen haben vehement darauf gedrungen - sehr zur Freude der Grünen.

Der Ministerpräsident hat bereits gefordert, Grün-Schwarz dürfe keinesfalls zu einer "Konfliktkoalition" werden. Das Bündnis müsse mit solider Arbeit die Gesellschaft befrieden und so der AfD Einhalt gebieten, die als stärkste Oppositionsfraktion im Landtag sitzt. Ob aber die Volkspartei CDU zur Ruhe findet als Juniorpartner der Grünen? Am 12. Mai wird man mehr wissen. Bei der Wahl des Ministerpräsidenten wird man es erkennen an der Zahl der Stimmen für Winfried Kretschmann.

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