Integrationsgesetz:Die Koalition lebt von der Hand in den Mund

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Die Koalition einigt sich - Integrationsgesetz und Anti-Terror-Paket. (Foto: dpa)

Es ist nicht die Regierung, die die Dinge in Deutschland vorantreibt. Sie wird von den Dingen vorangetrieben. Das zeigt nicht nur das Integrationsgesetz.

Von Nico Fried

Selten genug kommt es vor, dass Angela Merkel, Horst Seehofer und Sigmar Gabriel zusammen auftreten. Wenn sie sich dann aber für eine Pressekonferenz nur 45 Minuten Zeit nehmen und auch noch zu spät erscheinen, ist völlig klar, dass es ihnen nicht um vertiefte Information geht, sondern um inszenierte Symbolik.

Nur das Bild der Gemeinsamkeit soll bleiben von diesem Tag und wenigstens bis zum nächsten Krach vergessen machen, dass zwei tief zerstrittene Unionsführer und ein sozialdemokratischer Parteichef im Überlebenskampf dieses Land regieren.

Was die Koalition nach sieben Stunden Sitzung vorgelegt hat, sieht zunächst nach überraschend viel aus. Das hat aber weniger damit zu tun, dass die Ergebnisse wirklich üppig wären, als damit, dass die Erwartungen an diese Regierung zuletzt stark nachgelassen haben.

Anders gesagt: Zum ersten Mal seit Langem ist bei einem der vielen Spitzentreffen überhaupt wieder etwas mehr herausgekommen als nur Flickwerk an Streitthemen. Vor einigen Wochen erschien das endlose Ringen um ein Detail wie den Familiennachzug für subsidiär schutzbedürftige Flüchtlinge schon nicht mehr wie der Ausdruck eines temporären Effizienzdefizits, sondern bereits als Menetekel für den ultimativen Verschleiß.

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Diese Regierung treibt die Dinge nicht voran

Diesem Eindruck hat die Koalition nun gerade noch einmal entgegengewirkt, nicht schwungvoll und tatendurstig, eher getrieben und der Not gehorchend. Immerhin haben einige Minister im Schatten des Parteienstreits zielgerichtet und vergleichsweise geräuschlos gearbeitet.

Doch ändert das nichts daran, dass vor allem die Kraft der Verhältnisse die schwarz-roten Partner vor sich herschiebt - und nicht die Regierung aus sich heraus noch einen überzeugenden Gestaltungsanspruch erkennen lassen würde.

Auch in diesem Koalitionsausschuss wurden wieder mindestens so viele Themen vertagt wie entschieden. Natürlich hat das auch etwas mit der Komplexität mancher Materie zu tun. Bei der Lektüre der Ergebnisprotokolle findet der Leser nicht nur allerhand politische Willensbekundung, sondern auch ungelöste Fragen, die als "Prüfpunkt" gekennzeichnet sind.

Union und SPD sind mithin auf dem Konkretisierungsniveau angelangt wie CDU, CSU und FDP im Jahr 2009 in ihrem Koalitionsvertrag. Der war letztlich ein einziger Prüfauftrag und besiegelte ein Bündnis, dessen Zeit nicht gerade als glorreich in Erinnerung geblieben ist.

Integrationsgesetz wird zur historischen Leistung aufgeblasen

Zwei Themen beschreiben besonders deutlich, wie diese aktuelle Regierung entweder von der Hand in den Mund lebt oder politisch schon Hunger leidet: Da ist zum einen das Integrationsgesetz, das einen großen Namen trägt, obwohl es sich um eine Ansammlung eher kleinteiliger Maßnahmen handelt, und das am Donnerstag auch von Angela Merkel und Horst Seehofer plötzlich zu einer historischen Leistung aufgeblasen wurde - gerade so, als hätten ihre beide Parteien seit Jahrzehnten für mehr Bemühungen um Zuwanderer und deren Eingliederung gekämpft (und nicht dagegen, wie es in Wahrheit war).

Jetzt ist es allein der Zustrom an Flüchtlingen, der dieses Gesetz erzwungen hat; mithin brüsten sich CDU und CSU paradoxerweise auch noch der Einigkeit im Umgang mit einem Problem, über dessen Entstehung sie noch immer völlig unterschiedlicher Meinung sind.

Beim Thema Rente sind sich alle einig

Das andere Thema ist die Rente. Man sei einig darüber, dass etwas getan werden müsse, hat Horst Seehofer gesagt. Das - wie auch die ähnlichen Einlassungen Merkels und Gabriels - hörte sich an, als sei das Problem drohender Altersarmut für die Generationen, die derzeit die Renten finanzieren, völlig neu.

Das Gegenteil ist der Fall. Doch erst am Ende des dritten Jahres ihrer zweiten gemeinsamen Regierungszeit und am Ende des elften Jahres der Kanzlerin Merkel soll nun das Gespräch mit Wirtschaft und Gewerkschaften gesucht werden - ein Bündnis für die Rente quasi, wie weiland Gerhard Schröders Bündnis für Arbeit, das damals im Nichts endete. So dürfte es auch diesem Gesprächskreis im Jahr vor der Bundestagswahl beschieden sein.

Natürlich wird diese Regierung halten bis zur nächsten Wahl. Dem Land geht es zu gut, als dass es unter dieser Regierung wirklich leiden würde. Und es gibt unter den gegebenen Verhältnissen keine Alternative - schon gar nicht für die drei Parteichefs.

Angela Merkel hat schon immer am liebsten mit der SPD regiert. Dank ihrer Flüchtlingspolitik gilt das mittlerweile auch umgekehrt. Horst Seehofer braucht die Bundespolitik, um vor der CSU seine Unersetzlichkeit zu zelebrieren. Und Sigmar Gabriel kann nur aus den Aufgaben als Wirtschaftsminister und Vizekanzler jene Autorität ableiten, die er als SPD-Chef eingebüßt hat.

© SZ vom 15.04.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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