Koalition:Das böse Wort "Regierungskrise"

Winterklausur der CSU-Landtagsfraktion - Fortsetzung

Gegenwind in Kreuth: Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) spricht auf der Klausurtagung der CSU-Landtagsfraktion.

(Foto: dpa)
  • Krisen konnten Merkel bislang nichts anhaben, sie schwamm stets wie der Schnittlauch auf der Suppe.
  • Das ändert sich, weil nun ihre Flüchtlingspolitik die Koalition spaltet.
  • Innerhalb des Kabinetts herrschen Konfusion und Planlosigkeit.
  • Die Frage stellt sich: Ist das nun also eine Regierungskrise?

Analyse von Michael Bauchmüller, Stefan Braun und Nico Fried

Am Mittwoch nahmen zwei Koalitionspolitiker als Erste das Wort "Regierungskrise" in den Mund, die berufener nicht hätten sein können. Der eine, SPD-Fraktionschef Thomas Oppermann, forderte, die "Chaostage in der Union" müssten aufhören, sonst werde aus der Flüchtlingskrise "am Ende eine Regierungskrise". Der andere, Hans-Peter Friedrich, Ex-Bundesminister von der CSU, war schon weiter: "Deutschland steckt in einer handfesten Regierungskrise."

Oppermann und Friedrich - da war doch was? Ganz am Anfang der Legislaturperiode hatte der CSU-Politiker von seinem neuen Amt als Landwirtschaftsminister zurücktreten müssen, nachdem Oppermann offenbart hatte, dass die SPD vom einstigen Innenminister Friedrich über die Ermittlungen gegen den Abgeordneten Sebastian Edathy informiert worden war. Die CSU war mächtig sauer, die SPD in Bedrängnis, nur Merkel schwamm trotz des veritablen Fehlstarts ihrer dritten Koalitionsregierung wie der Schnittlauch auf der Suppe: keine Untergangsgefahr.

Gut zwei Jahre später sind die Probleme weitaus größer als damals. Die Flüchtlingskrise dominiert die Politik. Die Bedrängnis der SPD ist wegen schwacher Umfragewerte und eigener Fehler zum Dauerzustand geworden. Sauer ist diesmal nicht nur die CSU, sondern auch ein Teil der CDU. Doch der größte Unterschied zur ersten Krise liegt darin, dass es diesmal um die Kanzlerin geht. Vor allem um die Kanzlerin.

Auf Vorwürfe reagiert Merkel gar nicht mehr. Sie lässt reagieren

Gegen Merkels Flüchtlingspolitik rumort es in der CSU, in ihrer eigenen Partei, in der Fraktion und mittlerweile auch im Kabinett. Als erster Ressortchef ging Verkehrsminister Alexander Dobrindt die Kanzlerin diese Woche öffentlich an. Es reiche nicht mehr aus, ein freundliches Gesicht zu zeigen, so Dobrindt in Anspielung auf Merkels im September ausgegebene Devise in der Flüchtlingspolitik. Die Regierung müsse sich vielmehr auf Grenzschließungen vorbereiten. Ein Affront gegen die Linie der Bundesregierung.

Merkel aber vermeidet es wenn möglich, auf Kritik zu reagieren. Sie weiß, dass ein Wort von ihr die Gegner nur aufwertet. In der letzten Unions-Fraktionssitzung ergriff sie trotz zahlreicher Redebeiträge der Kritiker nicht das Wort zur Flüchtlingspolitik. Im CDU-Vorstand am Montag wiesen die wahlkämpfende Vize-Vorsitzende Julia Klöckner und Fraktionschef Volker Kauder die Kritiker der Kanzlerin in die Schranken. Merkel reagiert nicht, sie lässt reagieren. Entsprechend wehrte Regierungssprecher Steffen Seibert am Mittwoch auch Fragen nach einer Reaktion Merkels mit der fadenscheinigen Begründung ab, Dobrindt habe als CSU-Politiker gesprochen.

Ist das nun also eine Regierungskrise? In der bayerischen Schwesterpartei gehört die Kritik an Merkel mittlerweile zum Brauchtum. In der CDU aber wirkt der Widerstand gegen Merkels Politik oftmals noch punktuell. Und wo er sich organisiert, ist er zu schwach. Die etwa 50 Unterzeichner eines Briefes, in dem eine Kursänderung gefordert wird, erzielten nur begrenzte Durchschlagskraft und mussten sich in der Bild-Zeitung als Kuschelkritiker mit Wattestäbchen verhöhnen lassen.

Streit über Familiennachzug für Flüchtlinge spaltet die Koalition

Doch hinter den Kulissen zeigt die Unruhe Wirkung. "Sie glauben nicht, welcher Druck mittlerweile auf uns alle ausgeübt wird", erzählt einer der Unterzeichner. Und ein anderer berichtet, dass er derart harsche Angriffe aus der Spitze von Fraktion und Partei in zehn Jahren Parlamentsmitgliedschaft nicht erlebt habe. Der angebliche oder tatsächliche Druck dient freilich auch als willkommene Begründung für die eher moderate Beteiligung an dem offenen Brief: "Jüngere Kollegen wollen nicht mit Namen genannt werden, weil sie um ihre Karriere, ihre politische Zukunft fürchten", sagt einer der Unterzeichner.

Regierungskrise? Fest steht, dass die Koalition nicht vorankommt: Merkel kann weder bei den Verhandlungen in der Europäischen Union noch mit der Türkei bislang greifbare Ergebnisse vorweisen. Und auch die innenpolitische Krisenbewältigung stockt. So hat man sich im Kanzleramt mittlerweile offenbar damit abgefunden, dass es mit dem Asylpaket II erst mal nichts wird. "Das ist verhakt und versperrt", heißt es. "Da können wir derzeit nichts machen. Ist blöd, aber nicht zu ändern."

Dabei sind zahlreiche Punkte, darunter Schritte zur schnelleren Abschiebung abgelehnter Asylbewerber oder die Beteiligung der Flüchtlinge an den Kosten der Integrationskurse seit Wochen unstrittig. Doch der Streit über Einschränkungen des Familiennachzugs für syrische Flüchtlinge spaltet die Koalition.

Manchmal hat keiner einen Plan. Manchmal mehrere Minister den gleichen

Auch an anderer Stelle produziert der Apparat zu viel Konfusion, wie am Mittwoch ausgerechnet Kanzleramtsminister Peter Altmaier (CDU), zugleich oberster Flüchtlingskoordinator der Kanzlerin, und Bauministerin Barbara Hendricks (SPD) demonstrierten. Hendricks erstattete im Kabinett Bericht zur Lage des Wohnungsbaus, vor allem mit Blick auf die Unterbringung von Flüchtlingen. Das Ergebnis stellte sie dann der Presse vor, mitsamt der Forderung, die Mittel für den sozialen Wohnungsbau abermals zu verdoppeln.

Keine drei Stunden später lud auch Altmaier zur Pressekonferenz. Mit der Staatsbank Kreditanstalt für Wiederaufbau (KfW) stellte er neue Kreditprogramme für Flüchtlingsunterkünfte vor - auch eines für sozialen Wohnungsbau. Hendricks aber wusste nichts von Altmaiers Auftritt, Altmaier kannte später die Forderungen der Bauministerin nicht. Von Koordinationsschwierigkeiten wollen aber beide nichts wissen. Nur ein Missverständnis.

Alexander Dobrindt immerhin, bislang nicht gerade ein Leistungsträger im Kabinett und meist in Kämpfe um die Pkw-Maut verstrickt, stellte in der Sitzung am Mittwoch das nationale Hafenkonzept vor. Regierungssprecher Seibert würdigte das 400-Millionen-Euro-Programm auch als Ausdruck der guten Zusammenarbeit Merkels mit ihrem Verkehrsminister.

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