Klimaschutz:Märkte ohne Gesetze

Zertifikate für Emissionen? Ein perfektes Instrument - in der Theorie. Nun legen Betrüger offen, was passiert, wenn die Kontrollen fehlen.

Von Michael Bauchmüller

Zumindest von den Ölmärkten haben die Hungernden derzeit wenig zu befürchten: Der Ölpreis sinkt. Wenn der Ölpreis sinkt, dann bringt auch Biosprit wenig ein. Dann pflanzen Bauern und Agrarkonzerne Lebensmittel statt Energiepflanzen, und der Preis für Nahrungsmittel fällt. Diese haarsträubende, ja zynische Verbindung zwischen Öl- und Agrarmärkten ist Resultat einer Idee, die mal dem Klima helfen sollte: die Produktion von Treibstoff aus Pflanzen. Sie machte den Hunger zur Variablen der Öl-Spekulation; angeblich sogar für einen guten Zweck.

So etwas nennt sich dann das "Gesetz des Marktes". In Wahrheit aber sind hier Märkte ohne Gesetze am Werk. Denn wo die Regeln fehlen oder falsche Anreize setzen, da findet sich noch für jedes Geschäft einer, der es auch machen will, und sei es noch so schmutzig. Selten tritt das so offen zutage wie nun in Russland und der Ukraine - wo Firmen Millionen für Klimaschutz absahnten, ohne auch nur ein Gramm Treibhausgas einzusparen.

Betrüger machen viel Geld - wenn die Anreize falsch sind

Auch hier war die Sache mit den Marktkräften eigentlich ganz anders gedacht. Ein globales System von Klimazertifikaten sollte bewirken, dass sich Klimaschutz überall auf der Erde lohnt. Wer also in Indien Treibhausgas-Emissionen verminderte, sollte daran verdienen können. Er erhielt für seine Anstrengungen Zertifikate, die er an andere verkaufen konnte. Zum Beispiel an Firmen in Europa: Die konnten mit diesen Zertifikaten bequem ihre eigene Klimabilanz aufpolieren, ohne selbst in saubere Technologien zu investieren. Dahinter stand eine - zumindest rein theoretisch - bestechende Logik. Der Klimaschutz begann so dort, wo er sich am günstigsten bewerkstelligen ließ. Wo auf der Welt die Emissionen eingespart werden, ist der Atmosphäre schließlich egal.

Wohin das in der Praxis geführt hat, haben Forscher des "Stockholm Environment Institute" dieser Tage eindrucksvoll dargelegt. In Russland steigerten Firmen systematisch die Produktion von Treibhausgasen, um die brennbaren Gase anschließend abzufackeln und die entsprechenden Zertifikate einzukassieren. In der Ukraine steigerten Kohleminen ihren Profit, indem sie aus Abraumhalden Kohle einsammelten - und zwar so fleißig, dass sie dort ein Drittel der gesamten ukrainischen Kohle fanden; zumindest auf dem Papier. Als Gegenleistung gab es Zertifikate. Die billigen Zertifikate wiederum überschwemmten in Europa den Markt - und hielten Firmen hier davon ab, selbst etwas für das Klima zu tun. So absurd können die Wirkungen eines an sich guten Instruments sein.

Biosprit und Zertifikatebetrug - beides spiegelt das heikle Verhältnis zwischen Klimaschutz und Marktwirtschaft. Nie sind solche Geschäfte nur Ergebnis der Skrupellosigkeit Einzelner. Sie sind auch Belege für Fehler im System, für falsche Anreize und fehlende Kontrolle. Das nächste Beispiel widersinniger Anreize bahnt sich schon an: der Ölpreis. Denn wenn die Industriestaaten über die Abkehr von fossiler Energie nicht nur reden, sondern sie auch durchziehen, dann sitzen Scheichs und Ölkonzerne auf Reichtümern, die sie nicht mehr werden verkaufen können - es sei denn, sie rufen zum Schlussverkauf. Womöglich ist der jüngste Ölpreis-Verfall schon ein Vorbote, das Kalkül wäre klar: Sinken die Ölpreise, fällt es der Weltwirtschaft umso schwerer, von der fossilen Droge loszukommen.

Deshalb wird sich, trotz allen Missbrauchs und Marktversagens, die Entziehungskur nicht ohne die Hilfe der Märkte, nicht ohne einen Preisaufschlag für klimaschädliches Wirtschaften bewerkstelligen lassen. Denn die Grenzen der Atmosphäre werden auf der Erde nur dann rechtzeitig spürbar, wenn sich der zunehmend knappe Deponieraum für Treibhausgase auch in wachsenden Preisen widerspiegelt. Nichts taugt besser als Gradmesser von Knappheit als der Preis. Vernünftig organisiert, könnte dies endlich die positiven Kräfte des Marktes entfachen. Etwa den Wettbewerb um Alternativen, um Antriebe ohne Öl und Kraftwerke ohne Kohle. Noch sind viele dieser Alternativen im Vergleich zu etablierten Technologien schlicht zu teuer. Ein Aufschlag kann zumindest diesen Nachteil ausgleichen - sofern er denn hoch genug ist.

Der Emissionshandel bleibt dafür das beste, das flexibelste Instrument; windige Geschäftsleute können daran nichts ändern. Nur braucht er bessere Regeln. Wenn die Staatengemeinschaft im Dezember in Paris ein neues Klimaabkommen aushandelt, dann wird sie über Obergrenzen an Emissionen reden müssen, die sich dem Klima noch zumuten lassen. Dann wird sie auch schärfere internationale Kontrollen verabreden müssen. Das ist die gute Nachricht: Noch ist Zeit, aus den Fehlern zu lernen.

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