Klimaschutz:"Das ist schon in der DDR schiefgegangen"

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Brandenburgs Wirtschaftsminister Albrecht Gerber bezweifelt, dass die Energiewende rasch gelingen kann - und will auf Braunkohle so lange nicht verzichten.

Interview von Jens Schneider

Brandenburg muss seine Ziele beim Klimaschutz korrigieren. Es wird sein Ziel bei der Einsparung von Kohlendioxid wohl nicht erreichen. Umweltverbände sehen das als Offenbarungseid. Wirtschaftsminister Albrecht Gerber (SPD) beklagt dagegen fehlenden Realismus bei der Energiewende.

SZ: Der Ausstoß an Kohlendioxid liegt in Brandenburg weit über dem Bundesschnitt. Warum wollen Sie von Ihrem Ziel abrücken, die Emissionen bis 2030 deutlich zu senken?

Albrecht Gerber: Es geht um Ehrlichkeit in der Debatte. Die zentrale Frage ist doch, wie bringen wir die Energiewende zum Gelingen. Ich glaube, dass wir uns auf die falschen Prioritäten konzentrieren. Die Debatte über Ausstiegsdaten hilft da nicht weiter. Brandenburg ist auf Platz eins beim Ausbau der erneuerbaren Energien. Wir sind ein Energieland, das andere versorgt - insbesondere Berlin. Wir exportieren 60 Prozent unseres Stroms.

Mit hohen Kohlendioxid-Emissionen, die es nun noch länger geben soll. Muss man die Energiewende also abhaken?

Bei der Energiewende hakt es bundesweit. Im Unterschied zu Gesamtdeutschland werden wir auf jeden Fall die CO₂-Minderungsziele schaffen, die der Bund für alle gesetzt hat: eine Reduzierung von 40 Prozent gegenüber 1990 bis 2020 und eine Reduzierung um 55 Prozent bis 2030. Die meisten anderen Bundesländer schaffen das nicht.

Sie tragen als Land überproportional zu dieser Belastung bei. Sollten Sie nicht auch überproportional reduzieren ?

Für das Jahr 2030 hatten wir uns selbst ein sehr ambitioniertes Ziel gesetzt, nämlich die Reduktion des CO₂-Ausstosses um 72 Prozent. Es sieht tatsächlich so aus, dass wir das nicht erreichen können. Aber ich bin da reinen Herzens.

Woran liegt das?

Wir haben mehr Verkehr und mehr Wirtschaftswachstum als erwartet. Vor allem aber konnten wir den geplanten Einsatz von CCS - also die Abscheidung und Einlagerung von CO₂ - beim Kraftwerk Jänschwalde nicht realisieren.

Das Kraftwerk Jänschwalde im Lausitzer Braunkohlerevier produziert Strom für 5,7 Millionen Haushalte - und reichlich Kohlendioxid. (Foto: Patrick Pleul/dpa)

Würden Sie diese Technik gerne einsetzen?

Sie ist in Deutschland leider politisch nicht durchsetzbar, obwohl sie technisch funktioniert. Ich bin überzeugt, dass wir international auf CCS nicht verzichten können, wenn wir die CO₂-Emissionen in die Atmosphäre reduzieren wollen.

Warum setzen Sie nicht etwa auf eine andere Verkehrspolit ik?

Wir haben einen sehr guten Verkehrsverbund mit Berlin. Aber wir sind ein Flächenland mit Pendlern, die weit fahren müssen und das Auto brauchen. Hinzu kommt, nicht nur in Brandenburg: Immer mehr Menschen bestellen online. Lieferfahrten nehmen zu. Wir als Bürger tragen also dazu bei, dass es nicht funktioniert.

Der wichtigste Faktor in Brandenburg bleibt die Braunkohle. Wenn das Land früher ausstiege - würde der Druck, Alternativen zu stärken , nicht steigen?

Das ist eine kindliche Annahme. Wenn wir zu früh auf die Braunkohle verzichten, fehlt uns die für unser Land überlebenswichtige verlässliche Stromversorgung. Wir dürfen das Schiff nicht versenken, bevor wir das sichere Ufer erreicht haben.

Dann wird es also nichts mit der Energiewende?

Sie wird zumindest nicht so schnell und leicht gelingen, wie manche uns glauben machen wollen. Wir sind derzeit nicht in der Lage, gleichzeitig aus Atom und Kohle auszusteigen und eine sichere Versorgung zu gewährleisten. Die Energiewende steht erst am Anfang, sie lässt sich nicht mit einem Ausstiegsdatum für Braunkohle verordnen. Wir sind auf Nebengleisen unterwegs und vernachlässigen die zentralen Herausforderungen.

Welche wären das?

Wenn man eine Energieversorgung will, die sich aus erneuerbaren Energien speist, muss man deren zentrale Schwäche beheben. Das ist ihre Unzuverlässigkeit. Oft gibt es entweder zu wenig oder zu viel Strom aus Windrädern. Und wir bekommen ihn nicht dahin, wo er gebraucht wird.

Es werden Speicher gebraucht.

Ja, und das in ganz anderen Dimensionen: Als Industrieland, das wir ja bleiben wollen, brauchen wir ein System von Speichern, um Dunkelflauten zu überbrücken. Da liegt unglaublich viel Forschungs- und Entwicklungsarbeit vor uns, um das nicht nur technisch, sondern auch wirtschaftlich umzusetzen. Solange das nicht gelingt, brauchen wir ein Sicherheitssystem aus konventionellen Energieträgern. Dazu gehört auch die Braunkohle.

Albrecht Gerber, vor 50 Jahren in Westfalen geboren, macht seit dem Fall der Mauer Politik in Brandenburg. Der Sozialdemokrat war Chef der Staatskanzlei und ist seit 2014 Minister für Wirtschaft und Energie. (Foto: Patrick Pleul/dpa)

Welche Rolle spielt der Netzausbau?

Zur Energieversorgung gehören die Erzeugung und der Transport. In Brandenburg sind wir gut vorangekommen. In anderen Ländern stockt das. Da wird oft die um ein Vielfaches teurere Erdverkabelung geplant, es gibt viel Widerstand von Bürgern und Umweltschutzverbänden. Das ist nach der Rechtslage nicht zu vermeiden.

Das dauert Ihnen zu lange.

In Deutschland vergeht bei großen Infrastrukturvorhaben generell zu viel Zeit zwischen planerischen Entscheidungen und der Umsetzung.

Nun fehlen die großen Leitungen.

Es ist ein Irrsinn: Dieser Strom ist da, aber wird nicht genutzt. Solange der Netzausbau nicht funktioniert, wird es Zwangsabschaltungen von Windrädern geben, wenn die Netze überlastet sind. Die Kosten gehen in die Milliarden.

Sie wollen eine andere Energiewende.

Wir brauchen andere Instrumente. Der Ausbau der erneuerbaren Energien hat gigantische Summen verschlungen. Allein für das Erneuerbare-Energien-Gesetz sind das 650 Milliarden Euro. Da ist eine unsoziale Umverteilungsmaschinerie in Gang gesetzt worden, die Menschen mit kleinem Einkommen unverhältnismäßig belastet. Der CO₂-Ausstoß ist dabei sehr wenig zurückgegangen. Was wir in der Energiepolitik erleben, ist eine Art planwirtschaftliche Mikrosteuerung. Das ist schon in der DDR schiefgegangen.

Was ist nun Ihre Antwort?

Eine Lösung erfordert neue technologische Entwicklungen, wie etwa den Einsatz der CCS-Technologie offshore. Ohne das wird es nicht gehen. Wir können doch in Deutschland nicht die für die Versorgungssicherheit unerlässliche Energieproduktion verbieten.

Es geht doch nur um die Braunkohle.

Was helfen uns kühne Abschaltszenarien, die wir nicht einhalten können?

Kritiker nennen Sie wegen Ihrer Haltung schon den Trump von Potsdam.

Ach, so ein Vergleich fällt doch auf die zurück, die ihn gebrauchen. Ich weiß auch, dass wir aus der Braunkohle aussteigen müssen. Aber wir sind in Deutschland noch nicht so weit. Alle müssen sich Gedanken machen. Ich bin es so leid, die Energiewende auf der Ebene zu diskutieren, wer das schnellste Ausstiegsdatum nennt, ist der Gute, und alle anderen sind die Bösen. Das ist intellektuell erbärmlich.

© SZ vom 16.08.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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