Klimaschutz beim G-8-Gipfel:"Die Industrieländer sitzen in der Klimafalle"

Einen Misserfolg können sich die Konferenzteilnehmer auf keinen Fall leisten, sagt der Berater der Bundeskanzlerin, Hans Joachim Schellnhuber. Denn dies wäre ein erheblicher Gesichtsverlust für alle Beteiligten.

Michael Bauchmüller und Jeanne Rubner

SZ: Professor Schellnhuber, welche Hoffnung hegt der Klimaberater der Kanzlerin noch für den G-8-Gipfel?

Schellnhuber: Wenn das ein Fußballspiel wäre, befänden wir uns jetzt in der Verlängerung, denn üblicherweise hätte man sich eine Woche vor dem Gipfel schon auf ein Abschluss-Dokument verständigt. Nun gibt es eben ein richtiges Elfmeterschießen in Heiligendamm.

SZ: Und Bush wechselt den Torhüter aus. Kurz vor Schluss will er ein ganz neues Klima-Abkommen aushandeln.

Schellnhuber: Ich sehe das nicht nur negativ. Immerhin zeigt die Reaktion in letzter Minute, dass die US-Regierung glaubt, sich bewegen zu müssen - wegen des Drucks von außen, aber wohl auch aus innerer Einsicht. Dazu hat nicht zuletzt das Trommelfeuer der wissenschaftlichen Einsichten in den letzten Monaten beigetragen. Europa und seine Klimaschutzverbündeten müssen nun dafür sorgen, dass der durchaus sinnvolle US- Vorschlag, mittelfristige Ziele für die größten CO2-Verschmutzer festzuschreiben, in die langfristige G-8-Strategie, die globalen Emissionen bis 2050 zu halbieren, eingebettet wird. Wichtig ist auch, dass die Glaubwürdigkeit der Vereinten Nationen, die letztlich als Einzige den globalen Klimaschutz organisieren können, nicht unterminiert wird.

SZ: Will Bush nicht gerade das erreichen?

Schellnhuber: So sollte man es erst gar nicht interpretieren. Der US-Ansatz kann den UN-Prozess durchaus vorantreiben helfen, wenn man das langfristige Ziel aller Bemühungen - einen desaströsen Klimawandel zu vermeiden - fest im Visier behält.

SZ: Die Bundesregierung bangt offenbar dennoch um ihren Gipfelerfolg.

Schellnhuber: Die Bundeskanzlerin verfolgt in Heiligendamm ehrgeizige Ziele, für die es sich lohnt zu kämpfen. Alibi-Klimadiplomatie haben wir genug erlebt. Und für große Politik, die tatsächlich die Lebensbedingungen kommender Generationen positiv beeinflussen kann, gibt es keine eingebaute Erfolgsgarantie - auch wenn die Öffentlichkeit diese einfordert. Im Übrigen: Die Amerikaner wären wahrscheinlich richtig enttäuscht, wenn die Europäer schon vor dem Gipfel klein beigeben würden.

SZ: Theoretisch könnte die Welt auch ohne die USA das Klima schützen.

Schellnhuber: Aber eben nicht in der Praxis. China und andere große Schwellenländer rühren keinen Finger für ein Klimaabkommen, wenn das reichste Land der Welt nicht an Bord kommt. Die Blockade kann nur aufgebrochen werden, wenn die USA einen substantiellen Schritt nach vorne machen. Alles andere ist geostrategisch sinnlos.

SZ: Was passiert, wenn beim Gipfel keine Klima-Einigung erreicht wird?

Schellnhuber: Das wäre ein erheblicher Gesichtsverlust für alle Beteiligten. Und der gesamte G-8-Prozess als solcher würde wahrscheinlich geschwächt werden. Denn wofür ist das aufwendige G-8-Format gut, wenn es uns bei der wichtigsten Aufgabe des 21.Jahrhunderts nicht weiterhelfen kann?

SZ: Zumal die großen Industrieländer das allein ohnehin nicht schaffen.

Schellnhuber: Das stimmt. Selbst wenn alle OECD-Länder über Nacht ihre Emissionen einstellen würden, stiege allein durch den erwarteten Treibhausgasausstoß der großen Schwellenländer wie China oder Indien die globale Temperatur noch um mehrere Grad an - gerade weil die Industrieländer schon eine riesige Kohlenstoffschuld in der Atmosphäre angehäuft haben. Die Industrieländer sitzen schon längst in der Klimafalle! Unsere einzige Chance ist, der Welt jetzt ein hochattraktives Modell des kohlenstoffarmen Wirtschaftens anzubieten und natürlich vorzuleben.

SZ: Deutschland will ja bis 2020 schon 40 Prozent der Emissionen gekappt haben. Ist das überhaupt zu schaffen?

Schellnhuber: Ja, indem wir klüger und viel effizienter mit dem bestehenden System umgehen. Aber richtig spannend wird es erst danach. Bis 2050 nämlich müssten die Industriestaaten ihre Emissionen um etwa 80 Prozent vermindern. Das wird extrem schwierig, weil es einen echten Systemwechsel voraussetzt, insbesondere die Umstellung der Energieversorgung auf unerschöpfliche Quellen wie die Sonne.

"Die Industrieländer sitzen in der Klimafalle"

SZ: In Deutschland scheint die Sonne nicht besonders oft.

Schellnhuber: Erstens stimmt das nicht und zweitens lassen sich r:geographische Unterschiede durch ein Supernetz für erneuerbare Energien von Skandinavien bis Sizilien ausgleichen. Im Süden würde man die Sonnenenergie nutzen, im Norden die Windkraft, und Mitteleuropa könnte Strom aus Biomasse beisteuern. Ein vernünftiger Mix kann eine verlässliche Grundlast bereitstellen und die Menschen komfortabel versorgen. Doch die Politik hat die Klima-Energie-Problematik verschlafen. Erst die Einspeisevergütung für Strom aus Sonne und Wind hat jetzt einen Mini-Boom ausgelöst. Wir stehen heute aber vor einer neuen Industriellen Revolution, wir brauchen mindestens etwas vom Kaliber des Apollo-Programms.

SZ: Die Stromkonzerne bauen lieber neue Kohlekraftwerke.

Schellnhuber: Kohle ist ein wichtiger Energieträger, den wir vermutlich für eine ziemlich lange Übergangszeit nutzen werden. Es gibt bereits Techniken, das Kohlendioxid abzuscheiden und unter Tage zu lagern - wir wissen nur noch nicht, ob diese großflächig und kostengünstig funktionieren. Daher brauchen wir eine Reihe von Demonstrationsprojekten. In den Industrienationen sollte kein neues Kohlekraftwerk mehr gebaut werden, das nicht zumindest nachträglich auf CO2-Abscheidung umstellbar ist.

SZ: Müssen wir nicht auch unseren Lebenswandel ändern?

Schellnhuber: Die Wissenschaft kann natürlich Empfehlungen geben, wie wir zum Beispiel Energie effizienter nutzen. Beim Verzicht hingegen endet die Weisheit des Forschers. Ich kann den Menschen nicht vorschreiben, auf Fleisch zu verzichten - obwohl das sehr helfen würde, da jedes Rind einen gewaltigen ökologischen Rucksack an Energieeinsatz, Düngung und Futtermittel mit sich schleppt. Aber für viele Menschen in den ärmeren Ländern ist Verzicht ohnehin eine Luxusdiskussion.

SZ: Was viele Politiker in den vergangenen Monaten nicht davon abgehalten hat, Verzicht zu predigen.

Schellnhuber: Ja, das war ein Karneval der Schnapsideen. Was wir durch Konsumveränderungen in Deutschland einsparen, hätte weltweit kaum einen Effekt. Für die Inder und Chinesen geht es doch darum, wie sie ihre Kinder ernähren und ihnen eine vernünftige Ausbildung ermöglichen. Mich ärgert, dass am Ende jeder Klimadebatte jemand sagt, wir müssen bei uns selbst anfangen und dafür sofort rauschenden Beifall erhält. Das Problem kann letztlich nur durch strukturelle Innovationen gelöst werden. Viele Millionen Gutmeinender erreichen nichts, wenn sie kein Konzept haben.

SZ: Manche werfen Ihnen Alarmismus vor. Muss man als Forscher alarmistisch sein, um Politiker zu überzeugen?

Schellnhuber: Mir hat noch kein Fachkollege ins Gesicht gesagt, ich wäre alar-mistisch. Und wenn man von Verharmlosern so abqualifiziert wird, dann ist man wohl eher Realist. Tatsache ist: Wir suchen in der Klimaforschung seit vielen Jahren nach negativen Rückkopplungen, also nach Naturkräften, welche der menschlichen Klimastörung entgegenwirken. Wir finden aber nur positive Rückkopplungen, zum Beispiel den drohenden Zusammenbruch des Amazonas-Regenwaldes durch die Erderwärmung, wodurch noch mehr CO2 in die Atmosphäre gelänge. Ich wäre froh, wenn wir einen fundamentalen Fehler in unseren Klimamodellen entdeckten und alles sich in Wohlgefallen auflöste. Leider ist die Debatte, ob es einen Klimawandel gibt oder nicht, vorbei. Jetzt müssen wir schleunigst über Lösungen nachdenken.

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