Klimakonferenz:Im Rampenlicht der Peinlichkeit

Diesen Preis will keiner haben: Der "Fossil of the Day" wird von einer mächtigen Allianz aus 950 Umweltgruppen verliehen. Sie stellt mehr Beobachter als der größte Staat.

Von Michael Bauchmüller, Paris

In den Messehallen der Klimakonferenz stehen vier Leute und singen sich warm. Einer, ein Mann, trägt ein weißes Kleid. Ein anderer hat einen Frack übergezogen, auf den aus weißem Filz die Konturen eines Skeletts genäht sind. Die anderen zwei tragen merkwürdige Schiffchen aus Papier auf dem Kopf. Gleich kommt der fulminante Höhepunkt eines anstrengenden Tages. Es ist der Pranger von Paris.

Wer hier angeklagt wird, der hat einen langen Prozess durchlaufen. Er wurde den Tag über beobachtet, vorgeschlagen, fand eine Mehrheit im Plenum - im Plenum der am besten vernetzten Gruppe auf der Klimakonferenz: dem "Climate Action Network", kurz Can, einer Allianz von 950 Umweltgruppen aus allen Teilen der Erde, einem gut eingespielten Apparat inmitten der Klimakonferenz. Greenpeace-Chef Kumi Naidoo nennt das schlicht "den Mikrokosmos im Mikrokosmos".

Der Mann mit dem Skelett-Frack tritt jetzt auf die Bühne, er peitscht das Publikum ein. "Ich brauche euch so laut, so crazy wie möglich", ruft er. Nach drei Testläufen für ein "Buuuh" ist er zufrieden, so kann die Show beginnen. Es soll schließlich keiner das "Buuuh" überhören, auch nicht die Internationale Schifffahrtsorganisation Imo. Sie wolle vom Klimaschutz so wenig wissen wie die Luftfahrt-Organisation Icao, obwohl beide so viel CO₂ produzierten wie Japan und Deutschland zusammen. Zur Illustration erscheinen auf einem Bildschirm eine Brezel und ein Sushi, während die vier Gestalten nun den Shanty "What shall we do with the drunken sailor" singen, nur mit Klimasündern statt Seeleuten im Text, und zugedacht ist ihnen der Meeresgrund. Die Zuschauer singen mit. Normalerweise wird der "Fossil of the day", das "Fossil des Tages", an Staaten verliehen, eine Art Anti-Oscar für die Totengräber des Weltklimas. Seit 1997 gibt es ihn schon. "Der Preis ist ein Werkzeug", sagt Wael Hmaidan, "und zwar ein äußerst wirkungsvolles." Wael, schwarzer Anzug, buntes Band am Handgelenk, ist der Kopf von Can, ein flinker Libanese. Gerade ist er aus dem einen Saal herausgerauscht, gleich wird er in den nächsten hineinrauschen. Es gebe Staaten, die sich angstvoll an Can wendeten, erzählt er. Aus Sorge, sie könnten den "Fossil" bekommen. "Die versuchen dann zu erklären, warum sie den Preis nicht verdienen." Platz zwei übrigens trägt an diesem Abend die Türkei davon. Alle Industriestaaten haben ihn schon bekommen, jeder stand mal im Rampenlicht der Peinlichkeit, auch Deutschland.

A visitor walks past the European Union pavilion during the World Climate Change Conference 2015 at Le Bourget, near Paris

196 Parteien beteiligen sich an der Welt-Klimakonferenz, im Pavillon der EU finden Zusatzveranstaltungen zum Thema statt.

(Foto: Jacky Naegelen/Reuters)

Gegründet hat sich das Netzwerk 1989. Damals hatten die Staaten gerade beschlossen, auf den Klimawandel mit einem ersten Vertragswerk zu antworten, der späteren Klimarahmenkonvention. Selbst die Umweltbewegung erwischte das auf dem falschen Fuß - sie hatte sich mit allem möglichen beschäftigt, Waldsterben, Tschernobyl, Giftmüll. Aber Klima? So wurde das Climate Action Network zur ersten internationalen Klimaschutz-Organisation, gegründet, um Verhandlungen zu begleiten. Damals mit ein paar Dutzend Leuten, die den unterschiedlichen Umweltgruppen angehörten. Bei der Klimakonferenz in Paris sind allein 1000 Umweltschützer in dem Netzwerk organisiert, als gesellschaftliches Gegengewicht zu den Staaten.

Halle 4 auf dem Messegelände, Saal 11. Normalerweise treffen sich hier die Can-Leute zu ihren Sitzungen, jetzt aber sind die Stühle zu vier Kreisen zusammengeschoben wie bei vier parallelen Uni-Seminaren. Das Thema: Klimakonferenz für Anfänger. An die hundert Neulinge sind nach Paris gekommen, sie sollen lernen, was es mit "Klimafinanzierung" auf sich hat, mit "Anpassung" an den Klimawandel, warum ein "long-term goal", ein Langfristziel, für das Klima so wichtig ist. Alle 15 Minuten wechseln sie den Workshop, nach einer Stunde ist die Druckbetankung vorbei. Sie können jetzt der eigentlichen Arbeit des Netzwerks nachgehen - dem Verfolgen der Verhandlungen. Dass sie dabei möglichst viel trinken, dass sie sich nicht verzetteln sollen, bekommen sie auch noch gesagt.

klimagipfel

Selbst mächtige Staaten bitten das "Climate Action Network" um Informationen

Kein noch so großes Land bringt es auf 1000 Beobachter, die ständig den Lauf der Dinge beim Klimagipfel verfolgen. Viele Verhandlungen laufen parallel. "Selbst die mächtigsten Staaten kommen zu uns und fragen, was habt ihr über die Gespräche zum Thema x oder y gehört? Wo steht Land A und wo Land B?", sagt Greenpeace-Chef Naidoo. "Wenn wir das Gefühl haben, dass es der Sache nutzt, teilen wir unser Wissen." Kleine Staaten, die keine großen Delegationen einfliegen können, haben Can-Leute sogar zu Verhandlern gemacht. Umgekehrt ist so mancher mittlerweile ein angesehener Klimadiplomat, der in der 26-jährigen Geschichte selbst einmal Teil des Netzwerks war. Christiana Figueres etwa, die Klimachefin der Vereinten Nationen.

Wer dieses Netzwerk durchlaufen hat, der weiß auch, wie viel Arbeit die Suche nach Kompromissen macht. "Zivilgesellschaft ist ein Spiegel der Gesellschaft, sie ist auch voller Spannungen", sagt Naidoo. "Aber wir haben mit den Jahren gelernt, Konsens zu finden." Auch zwischen Umweltschützern aus armen und aus reichen Ländern, aus Industrie- und aus Schwellenländern, aus Nord oder Süd gehen die Meinungen gelegentlich weit auseinander. Dann sind die Sitzungen des Netzwerks wie ein Abbild der Konferenz.

Anders aber als im Plenum der Konferenz gibt es bei Can-Sitzungen keine Verlängerung: nach einer Stunde ist Schluss. "Die Sitzungen sind extrem durchgetaktet", sagt Rixa Schwarz, die für Germanwatch im Netzwerk ist. Gibt es mal unterschiedliche Auffassungen, gehen die Kontrahenten vor die Tür, bis sie zu einem Konsens kommen. "Umso stolzer sind wir, wenn wir uns am Ende geeinigt haben."

Wie zum Beispiel auf den "Fossil-of-the-day"-Preis für die Schifffahrts-Organisation. Den übernimmt schließlich ein fiktiver Lobbyist der Imo, und zumindest auf der Bühne ist er auch noch stolz auf die Auszeichnung. Das Publikum quittiert es, wie geplant, mit einem lauten "Buuuh".

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