Klars Biographie:Ein Kriegsdienstverweigerer, der zum Krieger wurde

Der RAF-Terrorist Klar war an neun Morden beteiligt - für die Angehörigen der Opfer fand er bis heute kein Wort der Reue.

Willi Winkler

Es sei, erklärte der Antragsteller, seine "zutiefst lebensbejahende Haltung", die ihn dazu bewege, den Dienst an der Waffe abzulehnen, denn nichts könne ihn veranlassen, "einen Menschen zu verletzen oder zu töten". Mit dieser Begründung verweigerte der Karlsruher Geschichtsstudent Christian Klar 1973 den Wehrdienst.

klar begnadigung köhler dpa

Ging 1973 in den Untergrund: der ehemalige RAF-Terrorist Christian Klar.

(Foto: Foto: dpa)

1973 war das Jahr, in dem in Chile das Militär gegen den demokratisch gewählten Präsidenten Salvador Allende putschte und dafür von führenden Politikern der CDU und CSU auch noch gerühmt wurde. 1973 war das Jahr, in dem die Kampagne gegen die "Isolationsfolter" begann, mit der die Gefangenen der Roten Armee Fraktion (RAF) auf ihre Situation aufmerksam machten und neue Kämpfer für ihren Krieg rekrutieren wollten. Der Wehrdienstverweigerer Klar sollte sich zu einem besonders eifrigen Krieger entwickeln.

An den Kämpfern der ersten Generation, an Andreas Baader, Ulrike Meinhof und Gudrun Ensslin, bewunderte er den "Mut zur Konsequenz" und folgte ihrem Beispiel nach. Er beteiligte sich an der Besetzung des Hamburger Büros von amnesty international 1974 und ging bald danach in den Untergrund.

Am Gründonnerstag 1977 gehörte er nach Erkenntnissen der Bundesanwaltschaft zu den Tätern, die Generalbundesanwalt Siegfried Buback, dessen Fahrer und den begleitenden Polizisten umbrachten. Das Morden ging weiter. Im Juli verschaffte Susanne Albrecht Klar und Brigitte Mohnhaupt Einlass bei ihrem Nenn-Onkel Jürgen Ponto, dem Vorstandssprecher der Dresdner Bank.

Ponto sollte, wie fünf Wochen später Arbeitgeberpräsident Hanns Martin Schleyer, entführt werden. Mit diesen Geiseln sollten die in Stammheim eingesperrten RAF-Gründer freigepresst werden. Die Entführung scheiterte, weil sich Ponto wehrte; Klar und Mohnhaupt erschossen ihn kurzerhand. Am Versuch, mit einer selbstgebauten Stalinorgel die Bundesanwaltschaft in Karlsruhe anzugreifen, war Klar ebenso beteiligt wie an der Schleyer-Entführung.

Die gesamte "Offensive '77" scheiterte, Schleyer wurde nicht ausgetauscht, die Gefangenen in Stammheim begingen Selbstmord, aber Klar konnte so wenig wie die übrige RAF aufgeben. 1978 führte Klar eine Gruppe von Terroristen an, die, als Filmteam getarnt, vom Hubschrauber aus erkundete, wie sich der in der Zwischenzeit verhaftete Stefan Wisniewski aus dem Gefängnis im pfälzischen Frankenthal befreien lasse.

Passantin erschossen

Die Polizei fotografierte die Beteiligten mit dem Teleobjektiv - und merkte nicht, dass es sich um RAF-Terroristen handelte. Diese konnten prompt entkommen. Bei einem Banküberfall in Zürich erschoss Christian Klar 1979 eine Passantin; Edith Kletzhändler musste sterben, weil sie den Terroristen auf der Flucht im Weg stand. Klar erkrankte an Tuberkulose und war fürs erste außer Gefecht. Im Jemen und auch in der DDR konnte er sich erholen.

1981, als die Diskussion über die Nachrüstung auf dem Höhepunkt angekommen war, griff die RAF auf ihre Art in den Raketen-Streit ein. Christian Klar kampierte in Heidelberg in einem Igluzelt über der Durchgangsstraße am Neckar und wartete in seinem uneinsehbaren Versteck auf den Morgen, an dem der amerikanische Armeegeneral Frederick J. Kroesen unter ihm auftauchen würde.

Am 15.September beschoss er Kroesen mit einer sowjetischen Panzerfaust vom Typ RPG 7, wie sie um diese Zeit die Mudschahedin in Afghanistan gegen die sowjetischen Besatzer verwendeten. Klar traf mit seiner 85-mm-Rakete die gepanzerte Limousine, doch blieben der General und seine Frau unverletzt, weil das Geschoss zwischen den beiden hindurch nach vorne durch den Wagen raste.

Die RAF feierte auch diesen Angriff als Sieg. "widerstand heisst angriff gegen den konterrevolutionären angriff. widerstand heisst die eigene praxis in den zusammenhang der Guerilla stellen", hieß es im Bekennerschreiben des "Kommando Gudrun Ensslin", in dem auch noch mal klargestellt wurde, gegen wen sich das Attentat richtete: gegen die amerikanische "militärmaschinerie"; "kroesen ist frontgeneral".

Die RAF befand sich weiter im Krieg, und auch Christian Klar konnte nicht aufgeben. Zusammen mit Inge Viett bewerkstelligte er die Übersiedlung von zehn RAF-Aussteigern in die DDR. Dort schoss er auf einem Truppenübungsplatz auf ein Auto, in dem ein Schäferhund hockte und zu Übungszwecken ebenfalls sterben musste.

Bis heute ist umstritten, ob Klar die Schießübungen mit der RPG 7 vor oder nach dem Anschlag auf General Kroesen veranstalten durfte, ob also die Stasi nicht doch dabei behilflich war, im damaligen Westdeutschland Anschläge auf das US-Militär zu unternehmen.

Ein Kriegsdienstverweigerer, der zum Krieger wurde

Klar wurde über Jahre observiert und entging seinen Bewachern doch immer wieder. Am 16. November 1982 schließlich erwischte ihn die Polizei an einem Erdversteck im Sachsenwald nahe Hamburg. Die Beamten nahmen einen ausgemergelten Jogger mit einem dänischen Pass fest, der ein Grabschäufelchen dabei hatte.

Es gibt die Vermutung, dass Klar nach der Verhaftung Mohnhaupts und seiner Freundin Adelheid Schulz fünf Tage zuvor ohnehin aufgeben wollte. Er wurde wegen neunfachen Mordes und vielfachen Mordversuchs zu mehrfach lebenslanger Haft verurteilt. Vor 2009 kann er nicht entlassen werden. Dann wäre er länger als 26 Jahre in Haft.

Kein Weg zurück in befriedetes Land

Am 15.September beschoss er Kroesen mit einer sowjetischen Panzerfaust vom Typ RPG 7, wie sie um diese Zeit die Mudschahedin in Afghanistan gegen die sowjetischen Besatzer verwendeten. Klar traf mit seiner 85-mm-Rakete die gepanzerte Limousine, doch blieben der General und seine Frau unverletzt, weil das Geschoss zwischen den beiden hindurch nach vorne durch den Wagen raste.

Die RAF feierte auch diesen Angriff als Sieg. "widerstand heisst angriff gegen den konterrevolutionären angriff. widerstand heisst die eigene praxis in den zusammenhang der Guerilla stellen", hieß es im Bekennerschreiben des "Kommando Gudrun Ensslin", in dem auch noch mal klargestellt wurde, gegen wen sich das Attentat richtete: gegen die amerikanische "militärmaschinerie"; "kroesen ist frontgeneral".

Die RAF befand sich weiter im Krieg, und auch Christian Klar konnte nicht aufgeben. Zusammen mit Inge Viett bewerkstelligte er die Übersiedlung von zehn RAF-Aussteigern in die DDR. Dort schoss er auf einem Truppenübungsplatz auf ein Auto, in dem ein Schäferhund hockte und zu Übungszwecken ebenfalls sterben musste.

Bis heute ist umstritten, ob Klar die Schießübungen mit der RPG 7 vor oder nach dem Anschlag auf General Kroesen veranstalten durfte, ob also die Stasi nicht doch dabei behilflich war, im damaligen Westdeutschland Anschläge auf das US-Militär zu unternehmen.

Ein Wort der Reue hat er weder für die Angehörigen noch gegenüber dem Bundespräsidenten finden können. Klars Worte für die Angehörigen der Opfer klingen kalt, sie können aber kaum anders klingen bei jemandem, der zwar dem bewaffneten Kampf abgeschworen hat, aber seine mörderische Konsequenz nicht aufgeben kann: "Ich überlass' der anderen Seite ihre Gefühle und respektiere ihre Gefühle, aber ich mach's mir nicht zu eigen." Seine Konsequenz hatte den Kriegsdienstverweigerer zum Mörder gemacht, und aus seinem Krieg führt vorläufig kein Weg zurück in befriedetes Land.

Als ihn der Journalist Günter Gaus Ende 2001 in der Haftanstalt Bruchsal befragte, traf er auf einen Menschen, der sich aus seiner Situation nicht mehr herausdenken konnte. "Ich habe die Illegalität als Gebiet von großer Freiheit erlebt", sagte er und klang wie jemand, der sich eine andere Freiheit gar nicht mehr vorstellen kann.

Im Januar schickte er eine Grußadresse an die Teilnehmer der Rosa-Luxemburg-Konferenz und wünschte sich eine "Niederlage der Pläne des Kapitals", um damit die "Tür für eine andere Zukunft aufzumachen". Auch wenn er in knapp zwei Jahren auf Bewährung freikommen sollte: Christian Klar wird sein Gefängnis nicht mehr verlassen.

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