Kita-Plätze:Recht der Kinder, nicht der Eltern

Haben Mütter Anspruch auf Schadenersatz, wenn sie wegen fehlender Kita-Plätze später in den Job zurückkehren können? Nein, urteilt jetzt ein Gericht.

Von Annette Zoch

Nicht einmal 15 Wochen ist es her, dass auf dem Schwangerschaftstest ein kleiner rosafarbener Strich erschien. Wird es wohl ein Junge oder ein Mädchen? Und wie nennen wir das Kind? Noch bevor sich werdende Eltern diesen elementaren Fragen widmen können, wird ihnen in manchen Großstädten empfohlen, ihren ungeborenen Nachwuchs schon mal für einen Krippenplatz vormerken zu lassen. Statt eines Vornamens schreiben sie dann "xy" ins Formular. Betreuungsplätze sind heiß begehrt, Städte und Gemeinden kommen mit dem Ausbau der Einrichtungen kaum hinterher, und nicht immer findet sich rechtzeitig zum Wiedereinstieg in den Job ein passender Platz für das Kind.

Eltern, die wegen fehlender Krippenplätze später als geplant an ihren Arbeitsplatz zurückkehren können, haben allerdings keinen Anspruch auf Schadenersatz von ihrer Kommune. Das hat das Oberlandesgericht Dresden am Mittwoch entschieden und damit die Klage dreier Mütter aus Leipzig in zweiter Instanz abgewiesen.

Eine der klagenden Mütter ist Claudia Menschel. Die Architektin wollte ein Jahr nach der Geburt ihres Sohnes wieder an ihren alten Arbeitsplatz zurückkehren. Obwohl sie rechtzeitig bei der Stadt Leipzig Bedarf angemeldet hatte, bekam sie keinen Kitaplatz - es gab schlicht nicht genug. Nur weil die Familie parallel zum Weg über die Stadt auch nach anderen Betreuungsmöglichkeiten gesucht hatte, fand sie für ihren Sohn eine private Kita - Claudia Menschel konnte allerdings erst mit fast zweimonatiger Verspätung in ihr Büro zurückkehren.

Den in dieser Zeit entstandenen Verdienstausfall wollte die Klägerin von der Stadt zurückhaben, inklusive Zinsen und Anwaltskosten. Im Februar gab das Landgericht Leipzig ihr und zwei anderen Müttern in einer ähnlichen Lage recht und verurteilte die Stadt Leipzig in einem viel beachteten Urteil zur Zahlung von insgesamt 15 100 Euro Schadenersatz. Die Stadt Leipzig legte dagegen Berufung ein.

Die Stadt Leipzig hat sich zwar tatsächlich einer Amtspflichtverletzung schuldig gemacht, weil sie nicht rechtzeitig genügend Plätze für Kleinkinder bereitgestellt hat, entschied nun das Oberlandesgericht Dresden. Schadenersatzpflichtig ist die Stadt damit aber noch lange nicht. Denn für die Dresdner Richter ging es am Ende um eine Kernfrage: Für wen gilt eigentlich der Rechtsanspruch auf einen Kita-Platz - für die ein- bis dreijährigen Kinder selbst oder für deren Mütter und Väter? Die Dresdner Richter urteilten: Nur die Kinder werden im Gesetz (siehe Kasten) explizit genannt, nur sie haben einen Anspruch, und zwar einen auf frühkindliche Förderung. Nicht aber darauf, dass ihre Mütter oder Väter schnell wieder arbeiten können. Diese seien in diesem Verfahren "nicht geschützte Dritte" und ihr Schaden - wie ein Verdienstausfall - sei nur ein mittelbarer. Sprich: Die Eltern und ihr Wunsch nach Berufstätigkeit sind nicht geschützt. Die bessere Vereinbarkeit von Familie und Beruf sei nur die notwendige Folge einer breiten Schaffung von Kindertagesstätten, so das Gericht.

Die Leipziger Kita-Initiative bezeichnete das Urteil als "Schlag ins Gesicht". Man müsse sich fragen, was der Rechtsanspruch dann überhaupt wert sei, wenn Eltern keine Verdienstausfälle geltend machen könnten. Das Gesetz lässt aber noch andere Lücken - vor diesem Hintergrund ist es bisher erst zu vergleichsweise wenigen Verfahren gekommen. Nach einer Umfrage des Handelsblatts waren es seit August 2013 bisher rund 900, die befürchtete Klagewelle ist ausgeblieben. So hat das Bundesverwaltungsgericht Leipzig im September 2013 entschieden, dass Eltern die Mehrkosten für eine selbst organisierte private Betreuungsstelle von der Kommune zurückverlangen können, wenn diese keinen Kita-Platz anbieten kann und sich die Eltern nachweisbar frühzeitig um einen Platz bemüht haben. Eine weitere Streitfrage ist die zumutbare Distanz, die Eltern auf dem Weg zu einer Kita zurücklegen müssen. Das Verwaltungsgericht München hält 30 Minuten mit Bus und Bahn je Strecke für vertretbar, das Verwaltungsgericht Köln spricht von fünf Kilometern Distanz.

Rechtsanspruch

Seit 1. August 2013 gilt das Kinderförderungsgesetz (KiföG). Wörtlich heißt es in Paragraf 24 Absatz 2, Satz 1 Sozialgesetzbuch VIII: "Ein Kind, das das erste Lebensjahr vollendet hat, hat bis zur Vollendung des dritten Lebensjahres Anspruch auf frühkindliche Förderung in einer Tageseinrichtung oder in Kindertagespflege." Eltern, die an ihrem Wohnort keinen Kita-Platz oder keine Tagesmutter finden, können auf Basis dieses Gesetzes vor Gericht ziehen. Allerdings gibt es kein gesetzlich verbrieftes Recht auf die Aufnahme in einer ganz bestimmten Wunsch-Kindertagesstätte. SZ

In der Frage nach Schadenersatz ist das letzte Wort wohl noch nicht gesprochen: Das Dresdner Oberlandesgericht hat eine Revision vor dem Bundesgerichtshof in Karlsruhe zugelassen.

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