Kirchen im Ersten Weltkrieg:Unser barmherziger Gott hat uns in den Krieg geschickt

Waffenweihe in Wien, 1914 | Weapon consecration in Vienna, 1914

Waffenweihe in Wien im ersten Weltkriegsjahr 1914: Der Kardinal Friedrich Gustav Piffl weiht in der Wiener Franz-Joseph-Militärakademie die Waffen frischgebackener Offiziere der K.-u.-K.-Armee.

(Foto: Sueddeutsche Zeitung Photo)

Sie trösteten, segneten - und predigten die Schlacht: Warum sich die Geistlichen im Ersten Weltkrieg auf keiner Seite dem Morden entgegenstellten.

Von Matthias Drobinski

Die Professoren scheuten nicht Kosten noch Mühe. In zehn Sprachen ließen sie ihren Aufruf übersetzen, tausende Exemplare verschickten sie nach Europa, Amerika, Asien.

"An die Kulturwelt" appellierten sie: Glaubt nicht den "Lügen und Verleumdungen, mit denen unsere Feinde Deutschlands reine Sache in dem ihm aufgezwungenen schweren Daseinskampfe zu beschmutzen trachten"!

Der deutsche Kaiser Wilhelm II. sei in seiner "unerschütterlichen Friedensliebe" unschuldig am Krieg; erst als "eine schon lange an den Grenzen lauernde Übermacht von drei Seiten über unser Volk herfiel", habe "es sich erhoben wie ein Mann". Und nicht die Deutschen hätten im besetzten Belgien das Kriegs- und Völkerrecht verletzt - die heimtückischen Belgier hätten sich die Strafaktionen selber zuzuschreiben.

Unter den 93 Gelehrten, die da im Oktober 1914 deutsche Kriegspropaganda betrieben, waren auch vier Professoren, die für ihre liberale Theologie berühmt waren: Adolf Deißmann, Adolf von Harnack, Wilhelm Hermann und Friedrich Naumann.

Die Begeisterung für den Krieg hatte 1914 in Deutschland auch die Kirchen, ihre Bischöfe und Theologen ergriffen, über die Konfessionen hinweg. In ganz Europa sahen die Vertreter der Christenheit, die doch eigentlich für den Frieden hätten eintreten sollen, bis auf wenige Ausnahmen den Kampf als gottgewollte Verteidigung von Heimat, Nation und Volk an.

Ihre Predigten gaben den Regierungen und Oberbefehlshabern einen religiösen und ideologischen Überbau für den Krieg, ihre Militärgeistlichen stärkten den Kampfeswillen an der Front, in der Heimat versuchten Pfarrer, die Seelenlage der Bevölkerung zu stabilisieren. Wenn man sieht, wie viele Bücher Historiker der Rolle der Kirchen im Nationalsozialismus gewidmet haben, ist dieses Kapitel des kirchlichen Versagens überraschend wenig aufgearbeitet.

Die allgemeine Kriegsbejahung speiste sich aus recht unterschiedlichen kirchlichen Interessen. Die evangelische Kirche in Deutschland, die orthodoxe Kirche in Russland oder auch die anglikanische in England waren eng mit dem jeweiligen Regenten verbunden - da lag es nahe, als gottgewollt darzustellen, was der aus Gottes Gnade heraus regierende Kaiser, König oder Zar tat.

Hasserfüllte Predigten

Die Katholiken in Deutschland wiederum sahen nach Jahrzehnten der Konflikte mit der preußisch-protestantischen Obrigkeit den Krieg als Chance, endlich als treue Bürger anerkannt zu werden. Vom damaligen Speyerer Bischof und Militärdekan Michael Faulhaber heißt es, er wäre am liebsten selber mit dem Gewehr in der Hand in den Schützengraben gesprungen.

In Frankreich wiederum schlossen der laizistische Staat und die katholische Kirche, die sich bis dahin heftig befehdet hatten, einen Burgfrieden; die schärfsten antideutschen Predigten jedoch kamen von den Protestanten, die fürchteten, als Agenten ihrer Glaubensbrüder im Deutschen Reich zu gelten.

Und scharf und hasserfüllt waren viele Predigten, die gerade in den Anfangsjahren des Krieges gehalten wurden. Das erste Mal hatte der Krieg ein ganzes Land erfasst, und erstmals wurde auch die Kriegspropaganda totalitär.

Die Prediger ermahnten nicht mehr nur die Gläubigen zu Demut, Gebet und Pflichterfüllung, dazu, das Leid zu tragen und tapfer für die gottgewollte Obrigkeit zu kämpfen. Nun wurde der Krieg zum Kampf des Guten gegen das Böse, des Christlichen gegen den Teufel - und der Teufel, das waren die Anderen. "Wir ziehen in den Kampf für unsere Kultur gegen die Unkultur, für deutsche Gesittung wider die Barbarei, für die freie, deutsche, an Gott gebundene Persönlichkeit wider die Instinkte der ungeordneten Masse", verkündete der Berliner Oberhofprediger Ernst Dryander.

Der Franzose ist falsch, der Russe unzivilisiert, der Engländer ein kalter Zyniker und Krämer - so tönte es tausendfach von den Kanzeln des Reiches. "Welche Barmherzigkeit unseres Gottes, dass er diesen Krieg uns gesandt", schrieb ein Greifswalder Professor, sein bayrischer Kollege stimmte ins Lob des Kampfes ein: "ein heiliger Krieg nach Anlass und Anfang fürwahr!"

Ja, man müsse die Deutschen töten, sagte der Bischof: "Um die Welt zu retten"

In Frankreich dagegen galt es, das Land vor den deutschen Barbaren zu bewahren - das Land, die "französische Seele" war angegriffen worden und musste sich in einem gerechten Krieg verteidigen, gegen die mordlüsternen Deutschen in ihrer "moralischen Inferiorität".

Die katholische Zeitschrift La Croix dichtete das Vaterunser um: "Ich glaube an die Macht des Rechts, an den Kreuzzug der Zivilisierten und an das ewige Frankreich". Kindern wurden bestimmte Frontabschnitte zugewiesen, die sie mit ihren Gebeten beschützen sollten. "Ihr Gott ist nicht der unsere", sagten die französischen Calvinisten über die Deutschen, "wir verabscheuen ihn".

Eine der furchtbarsten Predigten auf alliierter Seite sollte jedoch am Ersten Advent 1915 der Londoner Bischof Arthur Winnington-Ingram halten. Ja, man müsse die Deutschen töten, sagte er, "nicht um des Tötens willen, sondern um die Welt zu retten. Getötet werden sollen die Guten ebenso wie die Bösen; getötet werden sollen diejenigen, die sich gegen unsere Verwundete freundlich verhielten wie auch jene Unmenschen, die den kanadischen Feldwebel kreuzigten (...). Sie sind zu töten, weil andernfalls die Zivilisation der Welt getötet würde."

Pazifismus und Christentum - das schloss sich plötzlich aus

Doch, es gab Gegenstimmen. Es gab in Deutschland wie in Frankreich Pfarrer, die im August 1914 ihren Bischöfen berichteten, dass die Landbevölkerung keinesfalls die Kriegsbegeisterung vieler Bürger und Intellektueller in den Städten teilte.

Je länger der Krieg dauerte, je mehr Menschen im Stellungskrieg verreckten, desto weniger verfing das Pathos, desto nachdenklicher wurden die Predigten, die des mittlerweile zum Münchner Erzbischof und Kardinal aufgestiegenen Faulhaber genauso wie die des Londoner Bischofs Winnington-Ingram.

szw

Dieser Text stammt aus dem SZ-Buch "Menschen im Krieg", mit vielen Bildern aus dem SZ-Archiv und Essays. Unter sz-shop.de. 24,90 €, für SZ-Abonnenten 21,10 €

In Rom mahnte Papst Benedikt XV. zum Frieden, mit so drastischen wie erfolglosen Worten. Auch seine Friedensinitiative im Jahr 1917 bewirkte nur, dass 1919 die Siegermächte den Vatikan aus den Friedensverhandlungen ausschlossen. Die Kriegsgegner blieben in der Minderheit, auch in England, wo Friedenskirchen wie die Quäker konsequent jede Beteiligung am Kampf ablehnten - Pazifismus und Christentum, das schloss sich in den Augen der meisten Bischöfe und Theologen schlicht aus.

Zu Beginn des globalen Gemetzels sahen das viele Christen noch anders. Noch am 3. August 1914 hatten sich 70 evangelische Christen aus Europa und den USA in Konstanz zu einer Friedenskonferenz versammelt, da war der Krieg zwei Tage alt. Gescheitert sei nicht "die christliche Idee des Friedens und der Versöhnung", sondern ein "System, das versucht hatte, Sicherheit auf ein immer weiter gesteigertes Wettrüsten zu gründen".

Man versprach einander feierlich, geistlich verbunden zu bleiben. Doch das Versprechen verhallte im Kriegslärm.

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