Kirche:Der Zorn des Kardinals

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Lautstark und wortreich wie lange nicht mehr mischen sich namhafte Kirchenvertreter in die Flüchtlingspolitik ein. Das war überfällig.

Von Matthias Drobinski

Ausgerechnet Kardinal Rainer Woelki ist zur Symbolfigur des Streits geworden, der Erzbischof von Köln: ein grundkonservativer Kirchenmann, im Zweifel eher linkisch als links. Dieser Rainer Woelki also hat der CSU unchristliche Positionen in der Flüchtlingspolitik vorgeworfen, und dass die Partei die Gesellschaft spalte. Woelkis Münchner Amtsbruder Kardinal Reinhard Marx wiederum, der Vorsitzende der katholischen Bischofskonferenz, tritt dem CSU-Generalsekretär Andreas Scheuer ordentlich vors Schienbein für seinen Satz, dass ein ministrierender, fußballspielender Senegalese kaum mehr abzuschieben sei. Und Heinrich Bedford-Strohm, der Ratsvorsitzende der Evangelischen Kirche in Deutschland, tritt mit: Solche Sätze seien "Futter für Rechtspopulisten".

Die Flüchtlingsdebatte hat CSU und Kirchen entfremdet

Die Unionsparteien und die christlichen Kirchen leben schon länger nicht mehr in Symbiose. Das Jahr der Flüchtlingskrise aber hat vor allem die CSU und die Kirchen derart entfremdet, dass nun Zorn und Gift in den Sätzen übereinander enthalten sind. Schon lange nicht mehr haben sich Deutschlands Kirchenvertreter so klar politisch positioniert: für Merkel, gegen Seehofer, für eine großzügige Aufnahme der Geflohenen und gegen Obergrenzen - gegen jeden Rechtspopulismus sowieso. Sie nehmen dafür den Unmut in Teilen des Kirchenvolkes in Kauf. Der reicht von üblen Hassmails bis hin zum scharfzüngigen Vorwurf des Bundesfinanzministers Wolfgang Schäuble, es gehe, gerade in der evangelischen Kirche, manchmal mehr um die Politik als um den Glauben. Was ist da passiert?

Man kann die Entwicklung mit der schwindenden Macht der Kirchen erklären: Das kleine Wort eines Kardinals wird eben nicht mehr selbstredend zu einem großen bei der Union, und für einen CSU-Generalsekretär ist es politisch nicht mehr tödlich, sich mit den Kirchen anzulegen. Für die Kirchen heißt das: Sie müssen lauter als bisher ihre Positionen vertreten, sich ihre Verbündeten immer wieder neu suchen, und manches Geschehen läuft an ihnen vorbei.

Doch die Konflikte zwischen den Kirchen und ihren einstigen politischen Verbündeten sind nicht einfach als Säkularisierungsschmerz zu interpretieren. Sie berühren grundsätzlich das Verhältnis von Glaube und Politik. Es hat sich ja das ganze Land politisiert in diesem Flüchtlingsjahr und auch polarisiert. Es ist in einen ängstlichen Erregungszustand geglitten - und das, obwohl Deutschland wirtschaftlich stark, sozial befriedet und auch sicher ist und die Zinspolitik der Europäischen Zentralbank mehr Einfluss aufs Leben des Einzelnen hat als der Flüchtling aus dem Heim um die Ecke. Doch viele Menschen zweifeln, dass das so bleibt. Sie sehen, dass die Globalisierung auch Deutschland verändern wird. Und die Antworten, wie darauf zu reagieren ist, sind unsichere Wechsel auf die Zukunft: Es könnte sein, dass es so klappt - doch eine Garantie gibt es nicht.

In dieser Situation gewinnen Grundsatz- und Identitätsfragen an Gewicht: Was ist der Kompass im unübersichtlichen Gelände? In welche Richtung soll es gehen? Dass sich da die Kirchen zu Wort melden, liegt nahe. Dass sie sich dabei nicht in frommen Allgemeinplätzen ergehen, sollte man ihnen nicht vorwerfen. Und auch nicht, dass sie klar und konfessionsübergreifend zu ihren Grundsätzen stehen: dass die Nächstenliebe vor dem Egoismus kommt; dass die Sorge für die Armen im eigenen Land und der Welt vor dem großen "Wir zuerst!" zu stehen hat, dass die Menschenwürde weder verhandelbar noch verkäuflich ist.

Das erklärt, warum Kardinal Woelki so harsch auf die CSU-Forderung nach einer Obergrenze für Flüchtlinge reagiert: Die - berechtigte - Auffassung der CSU, dass die Aufnahme Grenzen hat, reibt sich mit dem Recht auf Schutz und menschliche Behandlung des Einzelnen. Diese grundsätzliche Haltung klärt nicht jede politische Tagesfrage. Und es kann tatsächlich zum Problem werden, wenn die Kirchen sich zu sehr als tagespolitische Akteure sehen, politische Fragen zu Glaubensfragen machen und den moralisch abwerten, der eine andere Meinung hat. Mit dieser Selbstsäkularisierung hat vor allem die evangelische Kirche schlechte Erfahrungen gemacht. Eine Kirche muss klarmachen können, als welchem Grund heraus sie wann Partei ergreift.

Mit Glauben und Moral alleine lässt sich kein Staat machen. Doch was wäre ein Staat ohne das Querstehende, Unbequeme und Kratzende der Moral? Was wäre er ohne die Frage nach dem ethisch Richtigen (die ja längst nicht nur von den Kirchen kommt), nach der Verantwortung über die eigenen Interessen hinaus? Er wäre ärmer. Und müsste sich Sorgen um seine Zukunft machen.

© SZ vom 22.09.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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