Kino:Hollywood am Lido

Europäische Produktionen prägten die Filmfestspiele. In den vergangenen Jahren aber hat sich der Cineasten-Treff mehr und mehr zu einer Startrampe für die Oscar-Preisverleihung entwickelt.

Von Susan Vahabzadeh

Matt Damon wird da sein. Wieder einmal. George Clooney zeigt seinen neuesten Film, eine Kriminalkomödie im amerikanischen Vorstadtidyll der Fünfzigerjahre. Am Wochenende feiert er Premiere im Wettbewerb um den Goldenen Löwen. Auch da spielt Matt Damon die Hauptrolle. Ach ja, die alten Haudegen Jane Fonda und Robert Redford, eine bewährte Hollywood-Paarung, werden ebenfalls zu sehen sein in einer neuen US-Produktion, allerdings läuft ihr Film außer Konkurrenz. Auch in diesem Jahr wird also bei den Filmfestspielen von Venedig, die an diesem Mittwoch beginnen, der Star- und Sternchen-Faktor wieder ganz weit ausschlagen auf der nach oben offenen Glamour-Skala. Und wieder wird das amerikanische Kino das Festival, die Mostra del Cinema, das älteste Filmfest überhaupt, als ein erstes Schaulaufen benutzen. Hier am Lido eröffnet es das Rennen um die großen Filmpreise.

Und das europäische Kino? Vergleichbare Blitzlicht-Magneten hat es schon lange nicht mehr zu bieten, Stars in der Größenordnung von Jean-Paul Belmondo, Romy Schneider oder Brigitte Bardot. Es gab damals, von der Nachkriegszeit bis in die frühen Achtzigerjahre, genauso wenig wie heute einen gemeinsamen europäischen Film - aber für die Zuschauer waren Filme wichtig, die auch auf diesem Kontinent gemacht wurden. Filme von Michelangelo Antonioni und Ingmar Bergman, Luchino Visconti und François Truffaut wurden überall in Europa gezeigt und gesehen.

Heute führen europäische Filme eher ein Nischendasein, selbst in Venedig, auch wenn die meisten der gezeigten Filme von dem Kontinent stammen. Gesetzt für einen Erfolg sind sie indes bestimmt nicht, wenn, dann sind sie für eine Überraschung gut. Ist die Mostra also mehr denn je nur mehr eine Startrampe für die Oscar-Preisverleihung? Welche Rolle spielen die Festspiele am Lido, spielen die großen Filmfestivals überhaupt noch in Zeiten der TV-Serienproduktion und Streamingdiensten, die dem Kino Konkurrenz machen?

Ira von Gienanth fährt schon seit mehr als 2o Jahren zu den Filmfestspielen. Sie führt beim deutschen Verleih Prokino die Geschäfte und kauft die Filme ein. Auch bei der Mostra ist es nicht anders als im richtigen Leben, sagt sie: Irgendwie wird alles immer unübersichtlicher. Das Angebot ist enorm, das Programm immens. "Ich merke das an meiner schwindenden Freizeit", sagt die Film-Fachfrau.

Der europäische Film wird sehr gefördert - das ist auch wieder nicht gut

Für Gienanth läuft das wirklich Wichtige in Venedig ohnehin "in einer Parallelwelt zum roten Teppich ab. Der erste Film um 8.30 Uhr, mit einem Cappuccino im Becher an den Kontrolleuren vorbeieilend. Und dann bis in die Nacht: Screenings, Meetings, Screenings, Meetings." Für Einkäufer gibt es Markt-Vorführungen, es gibt beim Filmfest mehrere kleine Nebenreihen. Und allein im Hauptwettbewerb, in der Konkurrenz um den Goldenen Löwen, laufen in diesem Jahr 21 Filme.

Neben denen von Clooney oder dem US-Regisseur Alexander Payne sind einige asiatische Filme dabei, die meisten aber sind tatsächlich europäische Filme. Vier italienische Filme, mehrere französische - unter anderem der neue Film von Abdellatif Kéchiche, der 2014 in Cannes die Goldene Palme gewonnen hatte, und ein Sorgerechtsdrama von Xavier Legrand. Das sind zwei Filmemacher, die schon einmal sehr erfolgreich waren, die aber trotzdem nicht nach Amerika schielen. Die zwei Briten im Wettbewerb nehmen mit amerikanischen Filmen teil: Andrew Haigh hat seinen neuen Film in den USA gedreht. Das Gleiche gilt für Martin McDonagh, dessen neuer Film "Three Billboards Outside Ebbing, Missouri" heißt - weil er in Ebbing, Missouri spielt. Ein deutscher Film läuft nicht im großen Wettbewerb. Aber in der Nebenreihe Orrizonti (Horizonte) wird immerhin "Krieg" von Rick Ostermann gezeigt, ein Film eigentlich fürs Fernsehen produziert.

Auch Fernsehsender und Streamingplattformen wie Netflix suchen die Nähe der Festivals, wollen ihre Produktionen zeigen. Fernsehen und Streaming-Dienste, sorgen aber gerade nicht für mehr Vielfalt, die Erfahrung hat Ira von Gienanth, die deutsche Filmeinkäuferin, gemacht. Mit der Ausnahme von Arte werden überwiegend amerikanische und deutsche Produktionen eingekauft. Auch in anderen Ländern sind es fast nur die jeweils einheimischen und die amerikanischen Produktionen, die gezeigt werden.

Prokino zeigt überwiegend europäische Filme. Doch der Markt hat sich verändert. "Prinzipiell geht es dem europäischen Kino sehr gut, wir haben mehr Stimmen als je zuvor, starke nationale Finanzierungsmöglichkeiten, Koproduktionen innerhalb von Europa sind heute leichter. Allerdings werden seit etwa zehn Jahren viel mehr Filme gedreht." Und das ist dann auch wieder ein Problem: Mehr Filme bedeuten, dass für jeden einzelnen Film weniger Publikum bleibt. "Das Publikum für das Autorenkino ist relativ stabil", sagt Gienanth, aber es altert. Viele Deutsche gehen höchstens einmal im Monat ins Kino - und für diesen Besuch stehen dann, selbst wenn man die amerikanischen Superhelden-Filme weglässt, noch zwei Dutzend Titel zur Auswahl. Unter den zehn erfolgreichsten Filmen in Deutschland waren in den Jahren 2011 bis 2015 jeweils noch zwei oder drei europäische Filme, 2016 war es nur einer, "Willkommen bei den Hartmanns".

Das Festival bleibt eines: der beste Ort, um sich ins Gespräch zu bringen

Schon deswegen haben die Festivals, auch die Glamour-Tage von Venedig, für die europäischen Filmemacher eine entscheidende Funktion: Sie sind einfach noch immer der beste Ort, um sich ins Gespräch zu bringen - und, wer weiß, um doch den Überraschungserfolg zu landen.

Ira von Gienanth wird diesmal in sechs Tagen 32 Filme sehen, "durch alle Sektionen des Festivals hindurch". Zu manchen kennt sie längst das Drehbuch, andere werden ganz neu sein. "Es gibt immer wieder Titel, über die wissen wir nichts. Das ist dann ein Griff in die Wundertüte." Bulgarische und ungarische Filme hatten in den letzten Jahren viel künstlerisches Potenzial, sagt sie, und natürlich gebe es immer wieder starke Filme aus Großbritannien, Frankreich, Deutschland. "Sobald es dunkel wird im Kinosaal", sagt sie, "und die Geräusche verstummen, hoffe ich, dass dies der neue Film für unser Programm sein könnte." Und wenn er es dann wieder nicht ist, dann bietet das Filmfest am Ende doch eines in der neuen Unübersichtlichkeit der Filme: ein Stück weit Orientierung.

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