Kindesmisshandlung:Blaue Flecken, weiße Flecken

Wenn Verletzungen nicht vom Spielen und Toben herrühren, müssen Mediziner wissen, wo sie Alarm schlagen können. In einem von Familienministerin von der Leyen geschaffenen Zentrum sollen nun Gesundheitswesen und Jugendhilfe besser miteinander verzahnt werden.

Jens Schneider

Die beklemmende Situation ist Ursula von der Leyen noch heute präsent, auch wenn die Geschichte einige Jahre zurückliegt. Sie arbeitete damals als junge Ärztin in der Gynäkologie, ihr gegenüber stand eine 17-jährige Frau, die gerade von einem Kind entbunden worden war.

Kindesmisshandlung: Ärzte und andere Helfer sollen nach dem Wisllen von Familienministerin Ursula von der Leyen wissen, wann sie sich wohin wenden müssen

Ärzte und andere Helfer sollen nach dem Wisllen von Familienministerin Ursula von der Leyen wissen, wann sie sich wohin wenden müssen

(Foto: Foto: AP)

Die junge Frau war drogenabhängig und verließ nach drei Tagen die Klinik. Damals habe sie sich gefragt, so die Bundesfamilienministerin: "Was passiert mit den beiden?" Wer, überlegte sie, würde sich kümmern, wenn die junge Mutter überfordert wäre?

In dieser Situation müsse ein Geburtshelfer wissen, so die Ministerin, welche Hilfen es für die Mutter gebe - und wen man beim Jugendamt benachrichtigen und auf eine mögliche Gefährdung des Kindes hinweisen sollte.

Nach Schätzungen werden in Deutschland fünf bis zehn Prozent aller Kinder unter sechs Jahren vernachlässigt. Die Zahl der Anzeigen wegen Vernachlässigung oder Misshandlung hat sich seit 1990 - auch wegen der gestiegenen Aufmerksamkeit für diese Fälle - fast verdreifacht.

Besonders das erste Lebensjahr ist laut Familienministerium eine kritische Phase. Oft aber erführen Jugendämter zu spät von gefährdeten Kindern oder es mangele am Austausch von Informationen zwischen Kinderärzten, Hebammen und Jugendhilfe.

Netzwerke fehlen

"Wir müssen die Hilfen früher und besser abstimmen, damit der Teufelskreis von Isolation und Gewalt innerhalb einer Familie gar nicht erst entsteht", sagt die Ministerin. Es dürfe nicht dem Zufall überlassen bleiben, ob man auf ein gefährdetes Kind aufmerksam werde.

Deshalb hat sie jetzt ein "Nationales Zentrum Frühe Hilfen" ins Leben gerufen. Das Zentrum soll bundesweit regionale und kommunale Netzwerke fördern, in denen die Zusammenarbeit zwischen Ärzten und Hebammen auf der einen und der Kinder- und Jugendhilfe auf der anderen Seite verzahnt wird.

Jede Kommune, die sich auf den Weg machen wolle, werde Hilfe bekommen, wirbt von der Leyen. Mancherorts wird diese Unterstützung offenbar dringend gebraucht, weil Netzwerke, die wie Frühwarnsysteme funktionieren, ganz fehlen. "Wir haben", sagt sie, " weiße Flecken in Deutschland, wo nichts aufgebaut ist und es dem Zufall überlassen bleibt, ob etwas schiefgeht oder nicht."

Gestützt mit 3,9 Millionen Euro Fördermitteln vom Bund wird das "Zentrum Frühe Hilfen" mit Sitz in Köln von der Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung und dem Deutschen Jugendinstitut getragen. Es soll Erfahrungen aus rund 70 Modellprojekten bündeln und weitergeben.

Dabei erwartet die Familienministerin zum Beispiel auch, dass Checklisten entwickelt werden, nach denen Ärzte oder Jugendarbeiter gewissermaßen vor ihrem inneren Auge prüfen, ob ein Kind gefährdet ist. "Die Risikodiagnose muss verbessert werden", bestätigt der Direktor des Deutschen Jugendinstitutes, Thomas Rauschenbach.

Je früher die soziale Isolation einer gefährdeten Familie durchbrochen werde, desto größer seien die Chancen, zu helfen. Jeder müsse erkennen können, so erklärt es Ursula von der Leyen, wenn blaue Flecken an den Beinen eines Kindes nicht vom Hinfallen beim Spielen rühren könnten.

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