Kinderehen:"Vielfach schlicht unerträglich"

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Der Gesetzentwurf gegen Kinderehen hat im Bundestag scharfe Kritik geerntet. Rechtsexperten und Menschenrechtsorganisationen waren sich aber nur in einem einig.

Von Constanze von Bullion, Berlin

Die Bundesregierung will sogenannte Kinderehen bekämpfen, doch das von Justizminister Heiko Maas (SPD) geplante Gesetz stößt auf ungewöhnlich scharfe Kritik. Unverhältnismäßig, rechtswidrig, gefährlich für Mädchen, "vielfach schlicht unerträglich", hieß es am Mittwoch im Rechtsausschuss des Bundestags. Rechtsexperten und Menschenrechtsorganisationen nahmen dort zum Entwurf des "Gesetzes zur Bekämpfung von Kinderehen" Stellung. Einig mit der Regierung war man sich nur darin: dass der Gesetzgeber sich dem Thema zuwenden sollte.

1475 verheiratete Minderjährige wurden 2016 in Deutschland gezählt, die meisten Mädchen, seit 2015 stieg ihre Zahl. Union und SPD wollen nun Entschlossenheit gegen Zwangsehen und Missbrauch zeigen. Das Mindestalter für Ehen soll auf 18 Jahre hochgesetzt werden. Im Ausland geschlossene Ehen, in denen ein Partner zwischen 16 und 18 Jahren alt ist, sollen nach dem Entwurf von einem Gericht aufgehoben werden, nach Anhörung der Betroffenen. Wie bei Scheidung gelten dann gegenseitige Unterhaltsansprüche. Eine deutlich schärfere Regelung ist für unter 16-Jährige geplant. Ihre Ehen sollen pauschal für nichtig erklärt werden, als hätten sie nie bestanden. Eine Anhörung soll es hier nicht geben, Kinder solcher Ehen gelten als unehelich, Unterhalts- und Erbansprüche müssen erst ermittelt werden.

Hier nun setzt die Expertenkritik an. Thomas Pfeiffer, Professor für internationales Privat- und Wirtschaftsrecht, warnte vor "zum Teil gravierenden Nebenfolgen" des Entwurfs. Bei Auslandsehen sei zwischen "Zwangsverbindungen" und "Liebesheiraten" zu differenzieren. Zwangsehen seien "nicht hinnehmbar" und für nichtig zu erklären. "Unzumutbar" sei aber, wenn eine über Jahre freiwillig und gutgläubig gelebte Ehe zum "Nullum" erklärt werde. Die Folgen, etwa für gemeinsame Kinder, seien vielfach "unerträglich". Die Genfer Flüchtlingskonvention verpflichte zudem zur Anerkennung ausländischer Personenstandsverhältnisse. Auch widerspreche es EU-Recht, wenn Paare aus EU-Staaten, in denen Jugendliche heiraten dürften, in Deutschland mit Aufhebung ihrer Ehe rechnen müssten. Einzelfallbetrachtung statt Pauschallösungen - das forderten die meisten Juristen, der Deutsche Anwaltsverein und die Kinderrechtsorganisation Save the Children. Das Deutsche Institut für Menschenrechte betonte die "Subjektstellung" des Kindes in der UN-Kinderrechtskonvention. Auch Minderjährige müssten vor Gericht gehört werden. Die Familienrechtlerin Naza Simsek und die Frauenrechtsorganisation Terre des Femmes sahen das ganz anders. Die Vorstellung, vor Gericht klären zu können, ob eine Minderjährige freiwillig geheiratet habe, sei "unrealistisch". Viele Mädchen würden unter Druck gesetzt. Auch fehle es an professioneller staatlicher Begleitung.

© SZ vom 18.05.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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