Kinder- und Jugendbericht der Bundesregierung:Schon Zweijährige sollen in den Kindergarten

Der neue Kinder- und Jugendbericht der Bundesregierung, der am Donnerstag veröffentlicht wird, fordert umfassende Reformen des Bildungs- und Erziehungssystems. Demnach sollen Kindergärten bereits Zweijährige aufnehmen; notwendig seien auch frühere Einschulungen sowie mehr und bessere Ganztagsschulen.

Felix Berth

"Ohne finanzielle Anstrengungen ist das nicht zu realisieren", heißt es in dem Bericht, der der Süddeutschen Zeitung vorliegt. Allein für den Ausbau der Kinderbetreuung müsse der Staat jährlich bis zu 2,7 Milliarden Euro zusätzlich zur Verfügung stellen.

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Kinder ab zwei Jahren profitieren vom Kindergarten

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Der Kinder- und Jugendbericht, der laut Gesetz einmal pro Legislaturperiode erarbeitet wird, entstand in einer siebenköpfigen Kommission unter Leitung von Thomas Rauschenbach, dem Direktor des Deutschen Jugendinstituts. "Bildung, Erziehung und Betreuung müssen Kindern aller Altersstufen zugänglich sein", fordert Rauschenbach. Nach seiner Ansicht gibt es derzeit zu strikte Trennungen: Bildung sei vorrangig Ziel der Schulen; Betreuung sei für kleinere Kinder vorgesehen. "In Zukunft muss Schule mehr Betreuung und Erziehung leisten; Kindergärten und Krippen müssen sich stärker um Bildung kümmern", verlangt Rauschenbach.

Ausgehend davon regt der Bericht zahlreiche Veränderungen an. So sollen Kindergärten nicht erst Dreijährigen offen stehen, sondern bereits Zweijährige aufnehmen: "Nach Vollendung des zweiten Lebensjahres profitieren alle Kinder davon", argumentiert die Kommission. Etwa vom zweiten Geburtstag an habe jedes Kind ein starkes Bedürfnis nach Kontakt zu Gleichaltrigen und nach Erfahrungen, die sich nicht in der Familie machen lassen.

Um bereits Jüngere in Kindergärten aufzunehmen, müsse die Kinderbetreuung vor allem in Westdeutschland deutlich ausgebaut werden. Die Kommission errechnet hierfür Kosten von maximal 2,7 Milliarden Euro jährlich, sofern überall im Westen das Versorgungsniveau von Sachsen-Anhalt erreicht würde.

"Mittelfristig Kindergartengebühren abschaffen"

Parallel dazu könne der Rechtsanspruch der Eltern auf Kinderbetreuung erweitert werden: "Bis zum Jahr 2008 sollten alle Zweijährigen einbezogen werden." Von 2010 an solle der Rechtsanspruch bereits ab Geburt eines Kindes gelten. Die in Westdeutschland dominierende Halbtagsbetreuung in Kindergärten müsse verlängert werden: Bildung und Erziehung seien einfacher, wenn Kinder täglich mindestens fünf Stunden im Kindergarten blieben. Mittelfristig seien die Kindergartengebühren abzuschaffen; übergangsweise seien einkommensabhängige Elternbeiträge akzeptabel.

Im Schulalltag sei eine "umfassende Reform" nötig: Die notwendige Ganztagsschule dürfe "keine Verlängerung der bisherigen Unterrichtsschule" sein. Stattdessen müssten Lehrer, unterstützt von Sozialarbeitern, mehr Betreuungsaufgaben übernehmen. Sinnvoll seien "längere Präsenzzeiten von Lehrkräften in der Schule" sowie die Einrichtung von persönlichen Arbeitsplätzen für Lehrer. Die Personalkosten der Ganztagsschulen würden etwa dreißig Prozent über denen heutiger Schulen liegen.

Verlängerung der Grundschulzeit

Die Kommission plädiert moderat für eine frühere Einschulung. Derzeit liegt das Alter der Schulanfänger bei 6,7 Jahren; es soll allmählich auf 6,0 Jahre gesenkt werden. Dass in vielen Bundesländern bereits nach der vierten Klasse der Übertritt an weiterführende Schulen vorgesehen ist, hält die Kommission für fragwürdig - anzustreben sei eine Verlängerung der Grundschulzeit wie in den meisten europäischen Nachbarländern.

Auch die Ausbildung von Erziehern und Pädagogen müsse sich ändern, fordert der Kinder- und Jugendbericht. So solle das Leitungspersonal von Kindergärten auf Hochschulniveau ausgebildet werden. Lehrer müssten bereits an den Universitäten stärker auf ihre Tätigkeiten als Erzieher und Betreuer vorbereiten werden.

(SZ vom 24.8.2005)

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