Kiel:Schildbürger vom Hindenburgufer

Eigentlich wollte die Kieler Ratsversammlung nur eine Straße umbenennen. Doch nach dem Diebstahl der missliebigen Schilder überschlagen sich die Ereignisse.

Von Marc Widmann, Hamburg

Der Blick vom Ufer der Kieler Förde aus ist durchaus majestätisch. Segler ziehen vorbei, die Fähre gen Göteborg, so groß wie ein Häuserblock, bisweilen auch ein Kriegsschiff. Das zumindest passte ganz gut zum Namen der Uferstraße, einer der feinen Adressen in Kiel: dem Hindenburgufer. So hieß es seit Frühjahr 1933, seitdem die Nationalsozialisten viele Orte nach ihren Idolen umbenannten. Hindenburg war eines ihrer größten Idole. Er hatte Hitler kurz zuvor zum Reichskanzler ernannt. Danach erließ der Reichspräsident mehrere Notverordnungen "zum Schutze des Volkes" und ermöglichte damit den Nazis, ihre Gegner massenhaft zu verhaften, zu foltern.

Es war also noch verständlich, was die Kieler Ratsversammlung im Januar beschloss: Einem wie Hindenburg gebühre diese Ehre nicht. Die Uferstraße sollte fortan Kiellinie heißen, und man hätte es dabei belassen können, einfach die alten Schilder auszutauschen, wie man es meistens macht in solchen Fällen. Stattdessen wollten die Abgeordneten pädagogisch besonders wertvoll handeln: Die Hindenburgufer-Schilder sollten bleiben, durchgestrichen sollten sie unter den neuen hängen. Damit die Flaneure mal richtig ins Nachdenken kommen. Willkommen in Schilda.

Grübeln im Tiefbauamt

Über Nacht jedoch verschwanden die alten Schilder, spurlos. Wer sie klaute, bleibt ein Mysterium. Waren es Hindenburg-Hasser? Oder die schlagenden Burschenschaftler, die nebenan residieren? Alles Gerüchte. Hindenburg war endgültig Geschichte, man hätte es dabei belassen können. Stattdessen wurde die FDP aktiv, eine kleine Oppositionspartei im Kieler Rat, deren Vorschläge von der rot-grünen Mehrheit meist überhört werden. "Dass die Schilder geklaut wurden, ist ganz klar gegen den Ratsbeschluss", sagt FDP-Frau Christina Musculus-Stahnke. Überhaupt sei es falsch, die Spuren der Geschichte zu tilgen. Also beantragte die FDP speziell angefertigte, "körperlich einheitliche" Schilder mit zweizeiliger Aufschrift: Oben soll Kiellinie stehen, darunter, auf dem selben Schild, Hindenburgufer, durchgestrichen. Die würden auch seltener geklaut.

Man hätte die FDP überhören können, wie immer. Diesmal jedoch stimmten sie zu, die Schildbürger von Kiel. Ausgerechnet diesmal. Im Tiefbauamt grübeln sie nun, in welcher Farbe sie Hindenburg streichen sollen. Das hat der Rat offen gelassen.

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