Kerry, der Kandidat:Heiße Luft aus Massachusetts

Die merkwürdige Schwäche des Präsidentschaftskandidaten John Kerry: "Er möchte halt von allen geliebt werden." Seine Kampagne ist dilettantisch, sein politisches Profil unklar, seine Reden sind schwer konsumierbar - warum Bush ihn trotzdem fürchten muss.

Von Wolfgang Koydl

Washington, im Mai - Es ist ja kaum zu fassen, womit sich ein Mann nicht alles herumschlagen muss, der Präsident der Vereinigten Staaten von Amerika werden will. Bei John Kerry ging es unlängst um eine Entscheidung zwischen Huhn, Maulesel und Pinocchio, und die Frage erschien dem Wahlkampfteam des demokratischen Kandidaten immerhin so wichtig, dass die Spitzenstrategen der Kampagne sich deswegen eine ganze Nacht um die Ohren schlugen.

Kerry, der Kandidat: Über dem Amtsinhaber mögen schlechte Nachrichten zusammenbrechen wie Trümmer eines Hauses, aber in Umfragen liegt Kerry in der Wählergunst nur eine Nasenspitze vorne.

Über dem Amtsinhaber mögen schlechte Nachrichten zusammenbrechen wie Trümmer eines Hauses, aber in Umfragen liegt Kerry in der Wählergunst nur eine Nasenspitze vorne.

(Foto: Foto: ap)

Die Kerry-Leute wollen nämlich nach Art eines Pennäler-Streichs einen verkleideten Mann auf den Parteitag der rivalisierenden Republikanischen Partei im Sommer in New York schmuggeln, und in dessen Kostüm soll eine witzige politische Botschaft stecken: ob die Demokraten US-Präsident George Bush eher als Lügner vom Schlage eines Pinocchio, als hühnerhaft flatternden Feigling oder vielleicht doch nur als eseligen Starrkopf sehen.

Es ist nicht bekannt, ob das Team Kerry in dieser Nacht zu einer abschließenden Entscheidung fand. Doch die Episode illustriert etwas anderes: Den leichtfertigen Dilettantismus, mit dem die Kampagne des Senators aus Massachusetts noch immer den Wahlkampf gegen Bush führt; und einen der Gründe, weshalb es Kerry noch immer nicht gelungen ist, von den politischen Problemen Bushs zu profitieren.

Über dem Amtsinhaber mögen schlechte Nachrichten zusammenbrechen wie Trümmer eines Hauses, aber in Umfragen liegt Kerry in der Wählergunst nur eine Nasenspitze vorne. "Die Benzinpreise sind hoch, die Aktien niedrig, der Irak ist ein einziges Schlamassel, und John Kerry fragt sich: Wie um alles in der Welt kann ich diesen Kerl schlagen", spottete der TV-Komiker David Letterman.

Mehr nach Verzweiflung als nach Ironie ist Parteifreunden und demokratischen Wählern zumute. "Einige Leute sind ein wenig nervös geworden, wenn sie sich ansehen, was in den letzten drei, vier Wochen geschehen ist", sorgte sich Steny Hoyer, der demokratische Kongressabgeordnete aus dem zuverlässig liberalen Bundesstaat Maryland.

"Demokraten, die meinen, dass Bush sich jämmerlich geschlagen hat, sind ein wenig verwundert darüber, dass das Rennen (zwischen ihm und Kerry) noch immer ausgeglichen ist." Und Joseph Biden, der Gentleman-Senator aus dem Bundesstaat Delaware, erinnerte eher an einen Mann, der Gespenster mit einem zitternden Pfeifen vertreiben wollte, als er betonte: "Ich mache mir keine Sorgen, nein, wirklich nicht. Die Demokraten sind so, so, so hungrig, Bush zu schlagen, dass sie ... gleich so niedergeschlagen sind, wenn die Dinge schlecht aussehen."

Heiße Luft aus Massachusetts

In der Zentrale der demokratischen Partei und bei den Kerry freundlich gesinnten Medien hat die Suche nach den Gründen für die merkwürdige Schwäche des Kandidaten begonnen. Am Geld kann es nicht liegen, denn Kerry scheffelt mittlerweile mehr Spenden als das Team Bush/Cheney.

Vielmehr glaubt man, dass es der Kandidat versäumt hat, sich rechtzeitig den Wählern vorzustellen. Nur wenige Amerikaner können mit dem Namen des Senators etwas anfangen, und deshalb sprach die vom Nachrichtenmagazin Time unlängst zitierte 18-jährige Jungwählerin Krystal Brown aus Arkansas wohl für viele, als sie sagte: "Ich bin gegen Bush, und deshalb stimme ich für - wie heißt der gleich noch mal?"

Weil sich Kerry darauf konzentrierte, jeden politisch-propagandistischen Hieb des Gegners Schlag für Schlag zu parieren, konnte die Bush-Kampagne die Aufgabe übernehmen, den Kandidaten Kerry einer breiten Öffentlichkeit vorzustellen - freilich durch die republikanische Brille gesehen.

Die Ausstrahlung einer "Duschhaube"

Demnach ist Kerry ein elitärer Neu-Engländer, der hemdsärmelige Typen am Bar-Tresen mit Zitaten des französischen Denkers Alexis de Tocqueville verwirrt und seine Meinung noch öfter wechselt als seine viel zu pastellfarbenen Krawatten. Wie jede Karikatur enthält auch dieses Zerrbild einen Kern von Wahrheit, und deshalb ist es nicht weiter erstaunlich, dass diese Darstellung Kerrys bei vielen Amerikanern haften geblieben ist.

Selbst Parteifreunde schreiben ihm die Ausstrahlung einer "Duschhaube" zu, und als eine Erhebung des Senders CBS und der Zeitung New York Times die Wähler unlängst fragte, welchen der beiden Männer sie von der Persönlichkeit her mehr schätzten, lag Bush mit 57 zu 48 Prozent deutlich vor Kerry. Mit einer Mehrheit von 62 zu 52 Prozent halten sie Bush zudem für die stärkere Führungspersönlichkeit.

Der Kandidat hat bislang auch nicht viel getan, um dem negativen Image entgegenzutreten. Genüsslich werden Anekdoten kolportiert wie jene, als Kerry in Washington wegen einer Verkehrswidrigkeit von einem Polizisten angehalten wurde. In Kerrys Wagen saß ein Journalist mit Notizblock, und deshalb hätte der Senator vielleicht still und freundlich die Strafe zahlen sollen. Stattdessen erteilte er dem Ordnungshüter und dem Reporter eine staatsbürgerliche Nachhilfestunde: "Sie wissen schon, dass ich nach den Buchstaben der Verfassung als Senator nicht angehalten werden darf, wenn der Senat tagt."

Heiße Luft aus Massachusetts

Mitunter ist die Situation reichlich bizarr. Etwa, wenn sich die Republikaner über Kerrys Reichtum lustig machen, denn schließlich ist auch Bush ein Multi-Millionär. Aber nur von Kerry weiß man eben, dass er unter fünf Luxus-Residenzen zwischen Massachusetts und Idaho wählen kann und für einen Haarschnitt 75 Dollar ausgibt.

Wochenlang zierte sich seine schwerreiche Ehefrau Teresa Heinz, ihre Steuererklärung zu veröffentlichen, und aus Kerrys Unterlagen ging hervor, dass er im letzten Jahr 175000 Dollar durch den Verkauf eines holländischen Meisters verdient hatte - mehr, als sein gesamtes Senatorengehalt.

Noch schwieriger fällt es Kerry, ein anderes Etikett abzustreifen, das seit Beginn des Wahlkampfes an ihm klebt: das des Wendehalses, der jedem nach dem Munde redet und seine Meinung nach Belieben ändert. Flipflops nennt man das im amerikanischen Polit-Jargon. Das Wort bezeichnete ursprünglich lautmalerisch das Geräusch einer im Winde hin- und herschlagenden Fahne. Im Deutschen wird daraus ein Mäntelchen, das man in die jeweilige Brise hängt, und wenn es natürlich zutrifft, dass auch George Bush seine Meinung schon häufig um 180 Grad gedreht hat, so stimmt es freilich auch, dass sich der Präsident nicht so leicht dabei ertappen lässt.

Ganz anders Kerry. Als er am Earth Day gefragt wurde, wie er es denn mit seinem umweltpolitischen Bekenntnis vereinbaren könne, dass in der Garageneinfahrt eines seiner Häuser ein benzinschlürfendes Allrad-Fahrzeug geparkt sei, redete er sich lahm heraus: "Das ist nicht mein Auto, das gehört der Familie." Doch als er wenige Wochen vorher in der Automobilstadt Detroit vor Arbeitern den Schwund amerikanischer Arbeitsplätze beklagte, zählte er stolz auf, wie sehr er die einheimische Auto-Industrie unterstützte: "Wir haben mehrere SUV's, einen Jeep, zwei Chrysler Mini-Vans, und oben in Boston haben wir einen PT Cruiser. Ich habe einen alten Dodge 600, und wir haben auch einen Chevy, einen ganz großen Suburban."

"Aber er überintellektualisiert eben seine Erklärungen."

Bei einer anderen Gelegenheit sollte Kerry unlängst erklären, wo er denn all die ausländischen Staatsmänner getroffen habe, die ihm im Kampf gegen George Bush die Daumen drückten, da er doch gar nicht ins Ausland verreist sei. Kerry kam ins Schwitzen, bevor ihm schließlich eine Antwort einfiel: In New York, denn da könne man in jedem Restaurant einen ausländischen Politiker treffen. Er wisse ja nicht, wo der Senator üblicherweise speise, ließ sich daraufhin vor Hohn triefend der republikanische Abgeordnete Tom DeLay vernehmen. "Aber bei uns im Taste of Texas Steakhouse in Houston heißt der einzige ausländische Leader Filet Mignon."

Kerrys Mitarbeiter winden sich bei jedem Patzer ihres Mannes schmerzhaft und ringen um eine Antwort. "Er möchte halt von allen geliebt werden", fiel einem früheren Berater dazu ein, der ungenannt bleiben wollte. "Es ist nicht so, dass er der Wahrheit eine andere Schattierung verleihen möchte", formulierte es ein wenig gewundener ein anderer Berater.

"Aber er überintellektualisiert eben seine Erklärungen." Den arbeitslosen Stahlarbeiter in Pennsylvania wird diese Erklärung freilich ebenso wenig zufrieden stellen wie den Rentner in Florida, und deshalb registrierte das Nachrichtenmagazin Time eine Besorgnis erregende Entwicklung: "Viele Demokraten werden nervös, wenn der Senator aus Massachusetts seinen Mund öffnet, ohne dass er ein Manuskript vor sich hat."

Heiße Luft aus Massachusetts

In der Tat scheinen es Kerrys eigene Worte zu sein, die von den Bush-Männern zu den schärfsten Waffen in ihrem Arsenal umgeschmiedet werden. Das Online-Magazin Slate, das vor vier Jahren als erstes Bushs sprachliche Schnitzer aufspießte, hat nach den Bushismen nun die Kerryismen entdeckt: die unsäglichen Satzungetüme, mit denen der Senator seine Zuhörer derart malträtiert, dass sie häufig noch während seiner Reden die Veranstaltung verlassen.

Denn wo ein Bushismus klein und knackig ist wie eine taube Nuss, da ist der Kerryismus aufgeblasen und teigig wie ein Windbeutel: Lecker als Gebäck, unverdaulich als Form der freien Rede. Höflich drückte es der demokratische Abgeordnete Harald Ford aus Tennessee aus: "Wir müssen uns ehrlich eingestehen, dass unser Kandidat sich nicht für Sound Bites von 30 Sekunden Länge eignet."

Kerrys größte Schwäche freilich ist nicht sprachlicher, sondern politischer Natur. Bislang ist es ihm noch nicht gelungen, dem Wähler zu zeigen, wofür er eigentlich steht. Viele seiner Positionen, vor allem in der Irak- und der Nahost-Politik, sind von jener George Bushs nicht zu unterscheiden. Zugegeben: Kerry war von Anfang an für einen multilateralen Ansatz, Bush wurde erst durch die Umstände dorthin geprügelt. Aber auch Kerry würde den Irak nicht Hals über Kopf verlassen, auch Kerry hat sich nibelungentreu zu Israel bekannt.

Viele Wähler sind für Kerry allein deshalb, weil sie George Bush abwählen wollen. "Niemand kann den Satz 'Ich bin für John Kerry, weil ...' beenden, ohne zu sagen, '...er nicht George Bush ist'", umschrieb der britische Economist die Situation. Für einen Wahlsieg reicht dies nicht aus. Frühere demokratische Präsidentschaftskandidaten versprachen einen Neuanfang, einen Aufbruch. Das war bei Bill Clinton der Fall, bei Jimmy Carter, sogar bei Al Gore. Doch von John Kerry ist bislang mehr heiße Luft ausgegangen als frischer Wind. Als "sklerotisch" bezeichnete sogar der liberale Kolumnist Joe Klein dessen Kampagne.

George Bush sollte sich gleichwohl nicht zu sicher fühlen - nicht nur, weil der Missmut der Wähler stetig wächst. Das lässt sich an einer der wichtigsten Umfragen ablesen, mit denen regelmäßig die Befindlichkeit der Nation getestet wird. Es ist die Frage, ob sich das Land auf dem richtigen Kurs befindet, und diese Frage wurde beim letzten Mal von 57 Prozent der Befragten verneint.

Bush würde aber auch einen Fehler machen, wenn er der Karikatur glauben würde, die seine Leute von Kerry gezeichnet haben. Bekannte des Senators warnen davor, ihn zu unterschätzen. Sie erinnern daran, dass er in jedem seiner Wahlkämpfe seine Anhänger erst zur Verzweiflung getrieben habe - bevor er im Endspurt siegte. Im Lexikon der amerikanischen Polit-Sprache gibt es den Begriff der "Oktober-Überraschung". Damit ist ein unvorhergesehenes Ereignis gemeint, das dem Wahlkampf kurz vor dem Wahltag Anfang November eine neue Richtung gibt. In diesem Jahr könnte die Oktober-Überraschung Kerry sein.

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