Kernkraft:Mathe für Atom-Einsteiger

Mit komplizierten Formeln will die Bundesregierung von den Gewinnen der Atomindustrie profitieren. Die Konzerne feiern den Vertrag als großen Coup. Sie haben sich einige Hintertürchen sichern lassen.

M. Balser, M. Bauchmüller und C. Hulverscheidt

Der Betrieb eines Atomkraftwerks war bisher vor allem eine Frage der Physik. Brennstäbe setzen eine Reaktion in Gang, Hitze erwärmt Wasser, Dampf treibt Turbinen an, Turbinen erzeugen Strom. Künftig werden sich auch Mathematiker mit der Kernkraft befassen - zumindest, wenn es bei der Vereinbarung bleibt, die die Regierung und die vier großen Energieunternehmen am vorigen Montag unterzeichnet haben.

Kernkraft: Komplizierte Rechnungen: Künftig befassen sich Mathematiker mit der Atompolitik.

Komplizierte Rechnungen: Künftig befassen sich Mathematiker mit der Atompolitik.

(Foto: SZ-Grafik)

Auf fünf Seiten ist dort beschrieben, wie der Bund von den Zusatzgewinnen der Atomkonzerne aus der Verlängerung der Kraftwerkslaufzeiten profitieren will. Es ist ein kompliziertes Werk aus Zahlen und Daten, aus Vorbehalten und Hintertürchen. Der Bund will sich so etwa die Hälfte der zusätzlichen Gewinne sichern.

145 Euro an die Bundeskasse

Die neue Kernbrennstoffsteuer ist dabei noch das einfachste Instrument. Zwischen 2011 und 2016 müssen die Konzerne je eingesetztem Gramm Uran oder Plutonium 145 Euro an die Bundeskasse zahlen; pro Jahr sollen so 2,3 Milliarden Euro zusammenkommen. Allerdings dürfen die Firmen die Zahlung als Betriebsausgabe auf die Körperschaftsteuer anrechnen - de facto wird ihre Belastung somit um etwa 700 Millionen Euro geringer. Zudem ist das Aufkommen der Kernbrennstoffsteuer gedeckelt: Nimmt der Staat mehr als 2,3 Milliarden Euro ein, weil die Firmen mehr Strom produzieren, "wird der überschießende Betrag auf die Folgejahre bis einschließlich 2016 vorgetragen", heißt es in der Vereinbarung, die der Süddeutschen Zeitung vorliegt.

Zahlen die Firmen zu viel, müssen sie im Gegenzug weniger in den neuen Regierungsfonds zum Ausbau der Ökoenergie einzahlen. Nach bisheriger Planung sollen sie den Topf bis 2016 mit 1,4 Milliarden Euro füllen, ab 2017 richtet sich der sogenannte Förderbeitrag nach der produzierten Strommenge: Für jede Megawattstunde, die von den jetzt zusätzlich gewährten 1800 Terrawattstunden abgeht, zahlen sie dann neun Euro.

Der Beitrag erhöht sich parallel zur allgemeinen Inflationsrate - bei einer jährlichen Teuerung von zwei Prozent würde er nach 20 Jahren bei 13,40 Euro liegen. Steigt zudem der Strompreis je Megawattstunde um mehr als 10,17 Euro über den heutigen Wert von 53,83 Euro, werden weitere Erhöhungen fällig: Bei einem Preis von 90 Euro im Jahr 2037, dem womöglich letzten Jahr der Kernenergienutzung, läge der Förderbeitrag bei 26,90 Euro.

Große Zweifel bei den Experten

Nimmt man Kernbrennstoff-, Körperschaft- und Gewerbesteuer sowie den Förderbeitrag zusammen, kommt man zum Ergebnis, dass der Staat bis zu drei Viertel der Konzerngewinne aus der Laufzeitverlängerung abschöpft. In der Praxis wird die Quote allerdings erheblich niedriger ausfallen, weil die Firmen Kosten etwa zur Verbesserung der Kraftwerkssicherheit vom Förderbeitrag abziehen dürfen. Nach Angaben der Regierung bleibt die Abschöpfungsquote jedoch über der 50-Prozent-Marke.

Experten haben daran unverändert große Zweifel. So habe die Bundesregierung in ihren Berechnungen nicht berücksichtigt, dass die Konzerne nun länger als geplant über ihre steuerfreien Rückstellungen verfügen können, kritisiert Felix Matthes vom Berliner Öko-Institut. Sie sind eigentlich für den späteren Rückbau der Meiler geplant, müssen aber jetzt erst später aufgelöst werden. So lange werfen sie Milliardenerträge ab. Unter Berücksichtigung dieser Rückstellungen kommt das Öko-Institut in einer neuen Studie auf eine Abschöpfung von höchstens 46 Prozent.

In den Energiekonzernen wird der Vertrag als Coup gefeiert. Er mache es künftigen Regierungen juristisch wie finanziell schwer, die Laufzeitverlängerung rückgängig zu machen. Zwar können die Förderbeiträge bis 2016 auch bei einem früheren Atomausstieg nicht zurückgefordert werden. Die weitaus höheren Zahlungen von 2017 an könne die Branche aber kurzfristig einstellen. Zudem sinke die finanzielle Belastung der Betriebe, wenn die Kernbrennstoffsteuer auslaufe. Die Branche rechne ab 2017 mit Belastungen von höchstens zwei Milliarden Euro.

Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: