Kernkraft in Deutschland:Gabriel will alte Atomkraftwerke abschalten

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Der Großen Koalition steht ein neuer Streit über die Zukunft der Kernkraftwerke bevor: Der Umweltminister drängt darauf, sieben störanfällige Reaktoren umgehend vom Netz zu nehmen und moderne dafür länger laufen zu lassen.

Michael Bauchmüller

Nach den Störfällen in den Kernkraftwerken Krümmel und Brunsbüttel dringt Bundesumweltminister Sigmar Gabriel (SPD) darauf, die sieben ältesten Reaktoren in Deutschland umgehend abzuschalten.

Atomkraftwerk Biblis: Die Diskussion um alte Reaktoren in Deutschland entfachte sich, weil es in Krümmel und Brunsbüttel zu Störfällen gekommen war. Nun will der Umweltminister Konsequenzen ziehen. (Foto: Foto: ddp)

Dies bringe "einen hohen sicherheitstechnischen Gewinn", sagte Gabriel der Süddeutschen Zeitung. Der Großen Koalition steht damit ein neuer Streit über die Zukunft der Kernkraftwerke bevor.

Gabriels Vorstoß würde den Atomausstieg für die älteren Kernkraftwerke, ganz im Sinne der SPD, erheblich beschleunigen. Im Gegenzug könnten modernere Kernkraftwerke, etwa Isar 2 bei Landshut oder Neckarwestheim 2 in Baden-Württemberg, länger laufen als bislang geplant.

Das Atomgesetz erlaubt eine solche Umschichtung von Laufzeiten. Die Union bevorzugt den umgekehrten Weg: Sie will - wie die Stromindustrie - Laufzeiten jüngerer Reaktoren auf ältere übertragen und diese auf diese Weise länger am Netz halten.

Den Überlegungen des Umweltministeriums zufolge wären damit 2009 nur noch zehn Kernkraftwerke in Betrieb, der letzte Meiler ginge dann rein rechnerisch erst 2023 vom Netz.

Nach Berechnungen des Ministeriums müssten dazu nur fünf Prozent der gesamten Reststrommenge von alt auf neu verschoben werden. "Damit ließe sich das nukleare Gesamtrisiko erheblich senken", warb Gabriel. "Energiewirtschaftlich wäre diese Strommenge ohne Bedeutung." Sie entspreche einem Achtel der jährlichen Stromproduktion Deutschlands.

Gemessen an der Fünf-Prozent-Formel des Ministeriums könnten bis zur nächsten Bundestagswahl sieben der 17 deutschen Kernkraftwerke vom Netz gehen. Betroffen wären die hessischen Reaktoren Biblis A und B, das Vattenfall-Kraftwerk Brunsbüttel, Neckarwestheim 1 und Philippsburg 1 in Baden-Württemberg sowie Unterweser in Niedersachsen. Das Kraftwerk Isar 1 könnte den Berechnungen zufolge im Juni 2009 außer Dienst gehen.

Gabriel begründet seinen Vorstoß mit den jüngsten Zwischenfällen in Krümmel und Brunsbüttel. Beide Kraftwerke waren Ende Juni nach Problemen außerhalb des Reaktors heruntergefahren worden, in beiden Fällen stellte sich später heraus, dass es dennoch Schwierigkeiten bei der Steuerung des Reaktors gegeben hatte. "Diese Ereignisse haben zwar nicht zu einer unmittelbaren Gefährdung der Bevölkerung geführt", argumentiert der Minister. Sie zeigten aber "die Verwundbarkeit der komplexen Atomtechnologie".

Zwar seien auch die älteren Anlagen häufig nachgerüstet worden. "Das ändert aber nichts an der insgesamt konzeptionell geringeren Sicherheit der älteren Kraftwerke." Zuspruch erhielt Gabriel am Freitag aus dem Bundesamt für Strahlenschutz. "Eine Übertragung brächte einen erheblichen sicherheitstechnischen Gewinn", sagte dessen Präsident Wolfram König der SZ. "Heute wären diese sieben Anlagen nicht mehr genehmigungsfähig."

Verordnen kann das Umweltministerium eine solche Umschichtung jedoch nicht. Die Betreiber selbst müssten sie vornehmen. Die Aussicht darauf ist gering. Für die Kernkraftwerke Biblis A, Brunsbüttel und Neckarwestheim 1 liegen zwar derzeit Anträge auf Laufzeitübertragung im Umweltministerium - allerdings nicht zu Ungunsten, sondern zu Gunsten dieser Meiler.

Die Unternehmen wollen die Verlängerung der Laufzeit ihrer älteren Kernkraftwerke notfalls vor Gericht erstreiten. Erst vorige Woche hatten die Spitzen der Betreiberfirmen RWE, EnBW und Vattenfall Europe Gabriel wissen lassen, dass sie an ihren Klagen festhalten wollen.

© SZ vom 1.9.2007 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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