Kennzeichen-Scanning:Nur echte Treffer zählen

Künftig darf die Polizei lediglich Kennzeichen von Verdächtigen speichern, wahlloses Datensammeln ist nicht länger zulässig.

Helmut Kerscher

Eine Woche nach seinem 68. Geburtstag nahm Verfassungsrichter Wolfgang Hoffmann-Riem zum letzten Mal zur Rechten seines Präsidenten Hans-Jürgen Papier Platz - dort, wo jeweils der gerichtsintern zuständige "Berichterstatter" sitzt.

Kennzeichen-Scanning: Hier ist die Polizei nicht Temposündern auf der Spur, sondern erfasst die Kennzeichen der Autos.

Hier ist die Polizei nicht Temposündern auf der Spur, sondern erfasst die Kennzeichen der Autos.

(Foto: Foto: dpa)

Diese Rolle hatte der Hamburger Wissenschaftler sowohl beim jüngsten Urteil zur automatisierten Kfz-Kennzeichenerfassung als auch vor zwei Wochen beim Urteil zum neu geschaffenen "Computer-Grundrecht". Anders als Ende Februar hielt sich an diesem Mittwoch nicht nur der Trubel, sondern auch der Jubel im Gerichtssaal in Grenzen.

Sowohl der Rechtsanwalt eines der drei erfolgreichen Bürger, Udo Kauß von der Humanistischen Union, als auch der hessische Datenschutzbeauftragte Michael Ronellenfitsch sprachen fast pflichtgemäß davon, dass es ein gutes Urteil sei und dass sie zufrieden seien. Aber Sieger sehen anders aus. Sieger finden nicht so viele Haare in der Suppe. Kauß begrüßte es zwar, dass nun die "unglaubliche Hybris der Exekutive" im Allgemeinen und die Forderung des hessischen Innenministers Volker Bouffier (CDU) nach unbegrenzter Kontrolle im Besonderen beendet sei. Es wollte ihm aber partout nicht einleuchten, dass die Methode der "Abfilterung" von massenhaft erhobenen Daten im Kern weiterhin erlaubt sei.

Der Anwalt kritisierte damit jene Aussage des Urteils, wonach der "Nichttrefferfall" gerade kein Eingriff in den Schutzbereich des Rechts auf informationelle Selbstbestimmung sei. Das Gericht meinte damit die große Masse von erfassten Kennzeichen, die nach dem blitzschnellen Abgleich mit Fahndungsdateien durch das Raster fallen. Diese Daten müssten sofort, anonym und spurenlos gelöscht werden, was rechtlich und technisch gesichert sein müsse; dann liege kein Eingriff vor. Seine strengeren Maßstäbe beschränkte der Senat auf die Fälle, in denen ein erfasstes Kennzeichen "im Speicher festgehalten und gegebenenfalls Grundlage weiterer Maßnahmen werden kann".

Hier wiederum differenzierte das Gericht je nach dem Gewicht des Grundrechtseingriffs. Als Beispiel für "vergleichsweise geringe Grundrechtsrelevanz" nannte Gerichtspräsident Papier die Suche nach gestohlenen Fahrzeugen oder nach Fahrzeugen ohne ausreichenden Versicherungsschutz. Im ersten Fall gehe es auch darum, Anschlusstaten mit dem gestohlenen Auto zu verhindern, im zweiten Fall um die Verhinderung der Weiterfahrt. Wesentlich gravierender sei hingegen die Verwendung der gewonnenen Informationen für weitere Zwecke, etwa für das Ansteuern bestimmter Ziele. Die Kennzeichenerfassung könne nämlich durchaus mehr verraten als den bloßen Aufenthaltsort, beispielsweise die Teilnahme an einer Demonstration oder den Besuch eines Fußballspiels. So gesehen effektiviere die neue Methode nicht bloß das bisherige Instrumentarium der Polizei, sondern stelle eine "neuartige Eingriffsmöglichkeit" dar, sagte Papier.

Genau das war in den Verfassungsbeschwerden behauptet worden. Die damit verbundene Forderung nach einem Richtervorbehalt griff Karlsruhe aber, anders als bei der Online-Durchsuchung, nicht auf. Weil das über weite Strecken recht abstrakte Urteil letztlich doch viel Spielraum für Gesetzgeber und Polizei ließ, wirkte nach der Verkündung just einer der Unterlegenen besonders zufrieden.

Bodo Pieroth, der Rechtsvertreter von Schleswig-Holstein, erklärte den Journalisten: "Mehr wollten wir nicht." Nichts anderes als die vom Gericht formulierten Beschränkungen auf bestimmte Anlässe, insbesondere also die Suche nach gestohlenen oder nicht ordnungsgemäß versicherten Fahrzeugen, sei mit dem schleswig-holsteinischen Gesetz beabsichtigt gewesen. Man habe auch keine dauerhaften Kontrollen einrichten wollen, sondern habe nur die vom Gericht jetzt als zulässig bestätigten Stichproben geplant, sagte Pieroth. Eigentlich habe Karlsruhe nur ein etwas schlampig formuliertes Gesetz korrigiert.

Auch ein anderer Professor, Datenschützer Michael Ronellenfitsch, fand die Grenzen sehr weit gesteckt. So könne das Massen-Scanning an Schwerpunkten der Kriminalität oder vor militärischen Schutzgebieten eingesetzt werden. Und die oft gestellte Frage, ob denn wohl die Daten aus dem flächendeckenden Autobahn-System Toll Collect für die Strafverfolgung verwertet werden dürften, beantwortete er mit einem klaren Ja. Dem Bundesgesetzgeber stehe es seiner Meinung nach jetzt frei, mit Hilfe der Mautdaten nach "Autobahn-Tätern" fahnden zu lassen.

So sieht das auch Bundesinnenminister Schäuble (CDU), der das bisherige Verwertungsverbot beseitigen will. Anlass war unter anderem die Tötung eines Parkplatzwächters im November 2005 im Raum Heilbronn. Das Gericht äußerte sich natürlich nicht zu diesem konkreten Gesetzesvorhaben des Bundes. Gut möglich, dass es dazu in ein paar Jahren Gelegenheit haben wird. Berichterstatter wäre dann wohl Hoffmann-Riems Nachfolger Johannes Masing.

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