Kenia:Kampf um ein Stück vom Kuchen

In dem ostafrikanischen Land wurden Wahlen stets entlang ethnischer Linien entschieden. Diesmal soll es anders sein - die Furcht vor Gewalt ist trotzdem groß. In Umfragen liegen die Kontrahenten Kopf an Kopf.

Von Bernd Dörries, Kapstadt

Vor einigen Wochen wurde Nairobi zur zweitschlimmsten Stadt der Welt gewählt, was die Verkehrsituation angeht. Kenias Hauptstadt musste sich nur knapp dem indischen Kalkutta geschlagen geben, wo die Menschen noch länger im Stau stehen. In diesen Tagen aber fließt der Verkehr in Nairobi, wo sich sonst stundenlang die Autos stauen. Viele Bewohner haben sich aufs Land geflüchtet - aus Angst, dass die Wahlen für das Parlament und die Präsidentschaft am Dienstag wieder von so viel Gewalt begleitet werden wie vor zehn Jahren. Damals starben etwa 1200 Menschen, als die verfeindeten politischen Lager aufeinander losgingen. Eine halbe Million Menschen wurde vertrieben.

Vor der Wahl an diesem Dienstag sind sich die Konkurrenten in der Theorie zwar einig, dass sich die Gewalt nicht wiederholen darf. Im Alltag aber beschimpfen sich die Gegner und drohen, dass das Land im Falle einer Niederlage "brennen werde". In der vorigen Woche wurde ein Mitglied der Wahlbehörde tot aufgefunden, brutal gefoltert, die Hintergründe sind unklar.

Wahlen in Kenia wurden in der Vergangenheit nicht durch Programme oder Sympathiewerte entschieden, sondern entlang ethnischer Linien. Man wählt seine Leute, die dann versprechen, ein kleines Stückchen vom Kuchen abzugeben. In der Heimatregion des Präsidenten sind die Straßen immer besonders gut. Dort, wo die Opposition zu Hause ist, sieht es nicht ganz so rosig aus. Wahlen sind aus Sicht vieler Kenianer deshalb vor allem ein Kampf um Ressourcen, der nicht nur mit dem Wahlzettel ausgetragen wird.

Auch auf Druck der internationalen Geber hat die kenianische Politik in den vergangenen Jahren versucht, das demokratische System offener zu gestalten und den Einfluss der ethnisch orientierten Klientelpolitik zu beschränken. Bei den aktuellen Wahlen muss der Präsident mehr als 50 Prozent erreichen und auch erstmals in mindestens der Hälfe aller 47 Distrikte über ein Viertel der Stimmen erringen, also auch außerhalb der eigenen Region und Ethnie einen gewissen Rückhalt haben. "Es geht nicht mehr nur um die Stammeslinien", versicherte Amtsinhaber Uhuru Kenyatta denn auch brav im Wahlkampf, und er versprach, alle Regionen des Landes gleichwertig zu entwickeln.

"Ich habe ihn wirklich satt", sagt Herausforderer Odinga über Präsident Kenyatta

Mehr als 500 Kundgebungen hat der Präsident abgehalten, doppelt so viele wie bei der Wahl 2013, viele davon im Gebiet der Opposition. Er und sein Hauptkonkurrent Raila Odinga gehören den größten Ethnien im Land an - Kenyatta den Kikuyu, die seit der Unabhängigkeit die kenianische Politik dominieren. Odinga den Luo, die nun endlich auch einmal an die Macht kommen wollen. Inhaltlich unterscheidet sie wenig, außer dass jeder den anderen für völlig inkompetent hält. "Ich habe Uhuru wirklich satt", sagt Oppositionskandidat Odinga über den Präsidenten. "Was wir brauchen, ist Wandel." Amtsinhaber Kenyatta kann für die fünf Jahre seiner Amtszeit bestenfalls eine gemischte Bilanz vorweisen. Der Sohn des ersten kenianischen Präsidenten stammt aus einer so reichen Familie, dass viele die Hoffnung hatten, er würde sich und seine Sippe nicht noch weiter bereichern, was sich als Trugschluss erwies.

Beim Bau der neuen Eisenbahnlinie von Mombasa nach Nairobi verschwanden Hunderte Millionen Euro. Insgesamt geht nach Schätzungen bis zu einem Drittel des Staatshaushalts von 18 Milliarden Euro an die Korruption verloren. Die Wirtschaft wächst etwa fünf Prozent im Jahr, die Arbeitslosigkeit bleibt aber hoch. Gewisse Erfolge gab es bei der Verbesserung der Infrastruktur, viele Straßen wurden gebaut, auch die Ärmsten haben Zugang zum Stromnetz bekommen. Die großen Hoffnungen, die vor jeder Wahl geweckt wurden, haben sich für die meisten der 46 Millionen Kenianer aber nicht erfüllt. Das Land ist zwar wirtschaftlich stärker als andere ostafrikanische Staaten, bleibt aber immer unter seinen Möglichkeiten. Nairobi ist eine moderne Metropole mit einer wachsenden Mittelschicht und vielen Internet-Firmen. Auf dem Land hat sich in den vergangenen Jahren aber wenig verändert. Wegen einer langen Dürreperiode sind die Lebensmittelpreise gestiegen. Das Leben wird teurer, die Löhne bleiben gleich. Oppositionskandidat Odinga will vor allem die Lebensmittelpreise senken, so hat er es im Wahlkampf versprochen.

Es ist das vierte Mal, dass er zur Wahl um das höchste Amt antritt. Mit 72 Jahren ist es wohl auch seine letzte Chance. Odinga kam mit 17 Jahren in die damalige DDR und studierte in Magdeburg Maschinenbau, nach seiner Rückkehr wurde er bald Berufspolitiker. Wie Präsident Kenyatta stammt er aus einem einflussreichen politischen Clan - mit dem Unterschied, dass die Odingas immer zweite waren. Sein Vater war der erste Vize-Präsident des Landes - unter dem Vater des heutigen Präsidenten. Der Ausgang der Wahl an diesem Dienstag ist ungewiss, in Meinungsumfragen liegen Odinga und Kenyatta Kopf an Kopf. Ein zweiter Wahlgang gilt als wahrscheinlich.

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