Kaukasus-Konflikt:Tiflis: "Vollständiger Krieg gegen Russland"

Der Konflikt um Südossetien eskaliert weiter. Nach russischen Angaben hat er bisher mindestens 1500 Menschenleben gekostet. Wladimir Putin verteidigt das russische Eingreifen und droht der NATO

Die Regierung in Tiflis spricht im Konflikt um Südossetien von einem "vollständigen Krieg Russlands gegen Georgien". Am Samstag verhängte der georgische Präsident Michail Saakaschwili das Kriegsrecht. In der Region Abchasien tut sich unterdessen eine weitere Front auf.

Kaukasus-Konflikt: Russische Panzer in der Nähe von Alagir auf dem Weg zur Grenze Südossetiens.

Russische Panzer in der Nähe von Alagir auf dem Weg zur Grenze Südossetiens.

(Foto: Foto: AP)

Georgien und Russland machen sich weiter gegenseitig für die Eskalation des Konflikts verantwortlich. Überraschend traf der russische Ministerpräsident Wladimir Putin derweil im Grenzgebiet zu Südossetien ein.

Die Gefechte in der von Georgien abtrünnigen Region kosteten nach russischen Angaben bislang mindestens 1.500 Menschenleben. Bei einem russischen Angriff in der georgischen Stadt Gori wurden zudem zahlreiche Zivilpersonen getötet und verletzt.

Russische Truppen brachten nach eigenen Angaben die südossetische Hauptstadt Zchinwali unter ihre Kontrolle. Nach Zeugenberichten kamen dort nach dem georgischen Beschuss Hunderte ums Leben. "98 Prozent Zchinwalis" liege in Ruinen, sagte der russische NATO-Botschafter Dmitri Rogozin.

Laut Saakaschwili machten die eskalierenden Kämpfe um Südossetien die Verhängung des Kriegsrechts durch das Parlament notwendig. Der Erlass gilt zunächst für 15 Tage. Der Präsident erklärte außerdem, er unterstütze eine Waffenruhe in Südossetien und schlug vor, die Konfliktparteien zu trennen.

Unverzüglich Verhandlungen

Es müsse "unverzüglich" mit Verhandlungen über die Südossetien-Frage begonnen und der "Wahnsinn" gestoppt werden, sagte Saakaschwili am Samstag laut Berichten des georgischen Fernsehens bei einem Besuch in einem Krankenhaus in Tiflis.

Dem US-Nachrichtensender CNN sagte Saakaschwili: "Wir sind zu einem sofortigen Waffenstillstand bereit, wenn die andere Seite aufhört zu schießen und zu bomben." Er beschuldigte Russland, mit den Angriffen seiner Luftwaffe auf Ziele in Georgien Kriegsverbrechen zu begehen. "Tatsache ist, dass die kleine Nation Georgien von seinem großen Nachbarn Russland brutal attackiert wird", sagte der Präsident. Russische Panzer seien unbegründet in Georgien eingedrungen. Die russische Armee greife von allen Seiten an und treffe dabei auch zivile Ziele.

Kämpfe in Abchasien eröffnen zweite Front

Als Reaktion auf den Konflikt in Südossetien hat Abchasien eine Luft- und Bodenoffensive gegen die georgischen Streitkräfte gestartet. Ziel sei es, die georgischen Soldaten aus dem Kodori-Tal zu vertreiben, erklärte der abchasische Außenminister Sergej Schamba.

Der nördliche Abschnitt dieser Schlucht ist der einzige Teil Abchasiens, der noch von der georgischen Regierung verwaltet wird. Schamba betonte, dass Abchasien sich von der Anwesenheit der georgischen Truppen im Kodori-Tal ernsthaft bedroht fühle.

Putin im benachbarten Nordossetien

Wladimir Putin traf unterdessen am Samstag aus Peking kommend in Wladikawkas, der Hauptstadt der russischen Region Nordossetien, ein. Medienberichten zufolge will er dort ein Treffen zur Koordinierung der Unterstützung für die Flüchtlinge aus dem angrenzenden Südossetien leiten. Seit Beginn der georgischen Offensive am Freitag sind schon etwa 5.000 Zivilpersonen auf russisches Territorium geflohen.

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Tiflis: "Vollständiger Krieg gegen Russland"

Putin verteidigte das militärische Eingreifen seines Landes in Südossetien. Das Vorgehen Russlands in der abtrünnigen Region sei absolut legitim, sagte er in Wladikawkas. Georgien habe mit der Militäroffensive in der abtrünnigen Region Südossetien einen "Völkermord" am ossetischen Volk begangen, sagte Putin. Die Regierung in Tiflis habe damit der territorialen Einheit Georgiens "den Todesstoß" versetzt.

Kaukasus-Konflikt: Wladimir Putin verteidigt das militärische Eingreifen seines Landes in Südossetien.

Wladimir Putin verteidigt das militärische Eingreifen seines Landes in Südossetien.

(Foto: Foto: Reuters)

Russland befinde sich nicht im Krieg mit dem georgischen Volk, betonte der Ministerpräsident. Viele Georgier und Russen verbinden familiäre und freundschaftliche Beziehungen. Er habe große Achtung vor der georgischen Nation, die er stets als Brudervolk empfunden habe. Das Problem sei aber eine "verbrecherische Politik" der derzeitigen Führung in Tiflis, kritisierte Putin.

Blutige Abenteuer

Zugleich rief er Georgien dazu auf, die "Aggressionen" gegen die abtrünnige Region Südossetien umgehend zu stoppen. Das Streben Georgiens nach einer Mitgliedschaft in der Nato sei getrieben von dem Versuch, andere Länder in seine "blutigen Abenteuer" hineinzuziehen.

Außerdem warnte Putin die NATO angesichts des Kriegs im Südkaukasus erneut scharf vor einer Aufnahme Georgiens. Die Regierung in Tiflis würde bei einer NATO-Mitgliedschaft andere Länder in ihre "blutigen Abenteuer" hineinziehen, sagte Putin der Agentur Interfax zufolge. "Jeder sieht jetzt, dass es Georgien bei seinem Beitrittswunsch nicht um einen Beitrag zur internationalen Sicherheit geht", kritisierte der 55-Jährige.

Der russische Präsident Dmitri Medwedew sagte, die russischen Truppen sollten Georgien zu einer Waffenruhe zwingen. Der russische Botschafter bei der NATO, Dmitri Rogosin, forderte das westliche Militärbündnis zu Neutralität auf.

US-Präsident George W. Bush bezeichnete die Kämpfe als Bedrohung für den Frieden in der gesamten Region. Die Ausweitung der Gefechte über das eigentliche Konfliktgebiet hinaus sei eine gefährliche Eskalation.

Im Namen der Europäischen Union forderte der französische Staatspräsident Nicolas Sarkozy angesichts der eskalierenden Gewalt einen sofortigen Waffenstillstand. Anfang kommender Woche soll es eine Sitzung der EU-Außenminister zur Lage im Kaukasus geben. Außenminister Bernard Kouchner werde noch am Sonntag in die Region aufbrechen, hieß es am Samstag in Paris weiter.

Keine Einigung im Weltsicherheitsrat

Unterdessen ging eine zweite Dringlichkeitssitzung des UN-Sicherheitsrats ohne Ergebnis zu Ende. Die Beratungen sollten am Samstag in New York fortgesetzt werden. Die internationale Gemeinschaft ermahnte Georgien und Russland, den Konflikt friedlich beizulegen. Südossetien hat sich 1992 von Georgien abgespalten und ist seither de facto unabhängig. International gilt die Region jedoch als Teil Georgiens.

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