Kaukasus-Konflikt:Gehemmter Tatendrang

In der Georgien-Krise muss Europa den Westen führen - und hat erst einmal mit sich selbst zu tun.

Nico Fried

Autoritäre Herrscher haben's gut. Sie können schneller handeln als demokratische Regierungen. Stehen beide Systeme in einem Konflikt, wie jetzt in der Georgien-Krise, so vermag ein Staat wie Russland ruckzuck Tatsachen zu schaffen, weil der Präsident und das Parlament nach der Pfeife eines starken Mannes namens Wladimir Putin tanzen. Der demokratische Westen dagegen ergeht sich in vielstimmigen Diskursen, Ratschlägen und Appellen und wirkt dabei sehr hilflos. So entsteht eine Asymmetrie der Aktionen, in der die Erwartung wächst, nun müsse man doch auch was tun. Nur was?

Kaukasus-Konflikt: Ein georgischer Soldat zwischen den Flaggen der USA und der EU

Ein georgischer Soldat zwischen den Flaggen der USA und der EU

(Foto: Foto: AP)

Der Westen - was so homogen klingt, ist in Wahrheit ein äußerst heterogenes Gebilde: Weil zum Westen inzwischen einige Länder gehören, die vor zwei Jahrzehnten noch Osten waren, was ihre Sicht der Dinge in besonderer Weise definiert; weil der Westen im Widerspruch zu eigenen Prinzipien den georgischen Präsidenten Saakaschwili protegiert, der selbst massiv zur Krise beigetragen hat; vor allem aber weil die Führungsmacht Amerika ausfällt. Eine militärische Reaktion wäre Irrsinn, politisch jedoch sind die USA gelähmt: Der Präsident hat seine Kräfte und seine Glaubwürdigkeit verbraucht. Seine potentiellen Nachfolger können zwar viel reden, haben aber noch nichts zu sagen.

Bleibt als ernstzunehmender Akteur - wer hätte das gedacht - nur die Europäische Union. 27 Staaten, fast ebenso viele Interessen, innenpolitische Rücksichten, historische Prägungen - ein starker Akteur sieht definitiv anders aus. Wenn es wirklich noch eines Beweises für die Notwendigkeit bedurft hätte, die Integration der Europäischen Union gerade in der gemeinsamen Außenpolitik zu forcieren, dann hat ihn der Konflikt in Georgien jetzt schon erbracht. Deshalb führt auch die EU zunächst nur einen Abwehrkampf: Das politische Pendant zur militärischen Spaltung Georgiens ist Russlands Versuch, auch die Europäer auseinanderzutreiben. Sollte das gelingen, hätte Putin mehr gewonnen als mit zwei neuen Mini-Republiken im Kaukasus.

Es ist aber nicht nur die eigene Diversität, die Europa hemmt, es ist glücklicherweise auch der Konsens, auf eine militärische und politische Maßlosigkeit nicht mit denselben Mitteln zu antworten. Was nach Schwäche aussieht, ist ein Wert an sich. Russlands Aggression in Georgien ist genau jenes Verhalten aus vergangenen Zeiten, deren Überwindung die Existenzgrundlage der EU darstellt - nach innen wie nach außen.

Europa und die USA haben deshalb gemeinsam nur die Möglichkeit, Moskau von dem Schaden zu überzeugen, den es sich mit jeder weiteren Eskalation selbst zufügt: politisch, aber auch wirtschaftlich. Das Instrument des Westens dafür ist der Dialog, eine wichtige Ressource die Geduld und das entscheidende Argument die gegenseitige Abhängigkeit. Weil niemand weiß, wie weit Russland - zum Beispiel in der Ukraine - noch geht, kann das zu einer harten Prüfung werden. Eine Alternative aber gibt es nicht.

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