Kaukasus-Konflikt:Der Preis des Hasses

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Russland wird für die Invasion Georgiens noch bezahlen - und dessen Präsident Saakaschwili wird das strategische Denken lernen müssen.

Richard Holbrooke

Wenn man sich den immensen Schaden besieht, der Georgien von Russland zugefügt wurde, mag man leicht zu dem Ergebnis kommen, dass Moskau seine Ziele erreicht hat. Aber sein wahres Ziel hat Moskau bisher verfehlt: Georgiens pro-demokratischen, pro-amerikanischen Präsidenten Michail Saakaschwili loszuwerden.

Richard Holbrooke - während der Präsidentschaft von Bill Clinton US-Botschafter in Deutschland sowie bei den Vereinten Nationen (Foto: Foto: AP)

Wohl hat Russland seine Kontrolle über die separatistischen Enklaven Südossetien und Abchasien verstärkt. Es hat das georgische Militär zerschmettert, Georgiens Wirtschaft ernsthaft beschädigt und Zwietracht in der westlichen Allianz gesät. Seit drei Jahren hat Moskau jede erdenkliche Taktik versucht, Saakaschwili zu Fall zu bringen: inneren Aufruhr angestachelt, eine Wirtschaftsblockade verhängt, seine Streitkräfte in den Enklaven verstärkt, und schließlich einen Krieg geführt. Aber immer noch ist Saakaschwili an der Macht.

Die Anspannung in Tiflis ist verständlicherweise hoch. Russische Panzer stehen immer noch im Land, und als ich im August an russischen Checkpoints vorbei kam, um in die verwüstete, damals noch besetzte Stadt Gori zu kommen, fuhr ich an Weizenfeldern entlang, die in Flammen standen, in Brand gesteckt von russischen Truppen (Die bemerkenswerteste Beobachtung dabei: Betrunkene russische Soldaten in gestohlenen georgischen Uniformen - "weil die besser als unsere sind".)

Die russische Invasion wird die strategische Landschaft, mit der der nächste US-Präsident konfrontiert sein wird, neu formen. Aber während der Westen noch diskutiert, wie er Russland "bestrafen" soll, kommt es entscheidend darauf an, daran zu erinnern, dass die Hauptfront immer noch in Georgien ist. Das Gerede darüber, Russland die Winterspiele 2014 wegzunehmen oder aus den G-8 auszuschließen, mag einige Wirkung auf Moskau haben, aber das Wichtigste, was der Westen nun tun kann, ist, die Regierung in Tiflis zu stärken. Die Rechnung ist einfach: Wenn Saakaschwili überlebt, verliert Putin.

Zwischen beiden Männern besteht persönlicher Hass. Wahrscheinlich hat Moskau die Chance, Saakaschwili zu entfernen, durch den offenkundigen Gebrauch von Gewalt verloren - obgleich finstere, heimtückischere Mittel nicht ausgeschlossen werden können. Ich habe neulich mit ihm in einem Restaurant zu Abend gegessen, und ich wünschte, die Sicherheitsvorkehrungen für ihn wären ein bisschen schärfer. (Sein Vorgänger Eduard Schewardnadse entging mehreren Attentaten, die nach allgemeiner Annahme russisch gesteuert waren, nur knapp). Moskaus größte Hoffnung besteht nun darin, dass die georgische Wirtschaft schnell zerfallen, die Währung zusammenbrechen und das gemeine Volk, ermutigt von einem Oppositionsführer (der vielleicht von Moskau finanziert wird), Saakaschwili um die Macht bringen wird.

Langfristiges Ziel: Ein friedliches Nebeneinander

Die Antwort des Westens auf diese Herausforderung muss über Rhetorik hinausgehen. Worauf es nun am meisten ankommt, ist massive ökonomische und militärische Unterstützung. Öffentliche Zusicherungen, Georgien beim Wiederaufbau zu helfen, sind der beste Weg, um zu verhindern, dass Russland sein Ziel erreicht. Der georgische Premierminister Wladimir Gurgenidze schätzt, dass es mindestens eine Milliarde Dollar kosten wird, Schienen, Brücken, Häfen und weitere Infrastruktur wiederherzustellen; von humanitären Hilfen, der Wiederansiedlung von Flüchtlingen und dem Wiederaufbau des georgischen Militärs ganz abgesehen. Gurgenidze spricht darüber hinaus von negativem Wirtschaftswachstum, einem hohen Etatdefizit und einem Zusammenbruch des Tourismus, der sich in dem schönen Land gerade entwickelte.

Langfristig müssen Georgien und Russland friedlich koexistieren. Dazu muss Georgien das seine beitragen. Saakaschwili, ein immens talentierter 41-Jähriger, bewahrte sein Land im Jahr 2003 vor dem Zerfall. Aber er muss strategisch über die Zukunft nachdenken. Gelegentlich hat er die Europäer wegen mangelnder Unterstützung beschimpft - keine gute Taktik für jemanden, der versucht, sich der EU anzuschließen - und über Moskau in einer Rhetorik gesprochen, die, wenn sie auch verständlich ist, nur die Gefahr für ihn selbst vergrößert. Jahrhundertelang hat Georgien sich abgemüht, mit seinem gigantischen Nachbarn klarzukommen. Saakaschwili kann sein winziges Land schlecht packen und nach Mexiko verlegen. Er muss die Situation mit größerer Vorsicht managen.

Ein schmaler Grat für den Westen

Natürlich wird die Invasion Konsequenzen für Russlands Beziehungen zum Westen haben. Aber die Entscheidungen darüber werden vom nächsten Präsidenten getroffen. (Dass Bush diese russische Bedrohung nicht beachtet hat - was dramatisch illustriert wurde durch seine Umarmung für Putin in Peking, während dessen Panzer nach Georgien rollten -, mag Moskau zu der Annahme geführt haben, es könne einfach so davonkommen.) Obwohl der Westen wegen Georgien keinen Krieg anfangen wird, so muss Russland doch verstehen, dass es für die Anwendung oder Androhung von Gewalt gegen Nachbarn, die einst Teil des sowjetischen Raums waren, bezahlen muss. Dies gilt besonders mit Blick auf die Fälle Ukraine und Aserbaidschan, die Moskaus nächste Ziele für Einschüchterungsversuche sein könnten.

Zum ersten Mal nach dem Ende des Kalten Kriegs hat Moskau Truppen in ein Nachbarland geschickt und damit Erinnerungen an Ungarn 1956, Prag 1968 und Afghanistan 1979 geweckt. Saakaschwili für den Krieg verantwortlich zu machen, wie einige Europäer es getan haben, heißt, das Opfer für die Aggression verantwortlich zu machen. Nun muss die transatlantische Allianz eine neue Politik finden - und den Grat begehen, der zwischen einem neuen Kalten Krieg liegt (was nicht zur Debatte steht) und dem Ignorieren der unmissverständlichen Signale einer russischen Politik, die versucht, Nachbarregierungen, die man nicht mag, zu stürzen. Moskau klarzumachen, dass ein solches Verhalten zu realen Kosten führt, wird eine amerikanisch-europäische Einheit erfordern, an der es in den zurückliegenden Jahren schmerzlich gefehlt hat. Die Regeln der Welt nach dem Kalten Krieg ändern sich - aber nicht unbedingt zum Vorteil von Russland, das vielleicht sogar unterschätzt hat, welch einigende Wirkung seine Aktionen auf den Westen noch haben werden. Wie sich die Beziehungen entwickeln, das hängt davon ab, was jede Seite in den kommenden Wochen unternimmt - vor allem in Georgien.

Richard Holbrooke war während der Präsidentschaft von Bill Clinton US-Botschafter in Deutschland sowie bei den Vereinten Nationen. Übersetzung: Detlef Esslinger.

© SZ vom 03.09.2008/vb - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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