Katastrophenschutz:Deutschland ist nicht Hawaii

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Das zuständige Bundesamt hält einen falschen Raketenalarm, wie er in dem US-Bundesstaat passierte, hierzulande für unwahrscheinlich. Wie sähe allerdings der Ernstfall aus?

Von Max Ferstl und Dominik Fürst, München

Menschliches Versagen hat am Samstag dazu geführt, dass ein ganzer US-Bundesstaat in Panik geriet. 38 Minuten lang rechneten die Bewohner Hawaiis mit einem Raketenangriff, weil ein Mitarbeiter des Katastrophenschutzes beim Schichtwechsel aus Versehen einen falschen Mausklick gemacht hatte. 38 Minuten Angst, 38 Minuten Chaos, und nun die vorsichtige Überlegung: Ist so etwas etwa auch in Deutschland möglich?

Zuständig für den militärischen Ernstfall ist hierzulande das Bundesamt für Bevölkerungsschutz und Katastrophenhilfe (BBK), das dem Innenminister untersteht. Das BBK ist die Behörde, die die deutsche Bevölkerung warnen würde, wenn eine Rakete im Anflug wäre. Alle sonstigen Krisen, von Naturkatastrophen über Stromausfälle, Epidemien und Terrorattacken, sind Sache der Länder.

In den 60 Jahren des Bestehens des Bundesamts habe es noch keinen Fehlalarm gegeben

Die Ersten, die einen bevorstehenden Raketenangriff registrieren, sind jene BBK-Mitarbeiter, die in den Luftabwehr-Einrichtungen von Bundeswehr und Nato sitzen. Sie sind es auch, die im Ernstfall den Knopf drücken, um eine Katastrophen-Warnung zu verschicken. Weil das sehr schnell gehen muss, informieren sie vorher lediglich das Innenministerium. Wenn das nicht binnen weniger Minuten möglich ist, wird der Knopf ohne Rücksprache gedrückt. Es herrscht das Vier-Augen-Prinzip: Zwei Menschen vergewissern sich, dass es sich um einen Ernstfall handelt, das Risiko eines Irrtums sinkt dadurch deutlich. "Wir sind seit 60 Jahren zuständig für die Katastrophen-Warnung in Deutschland, aber einen Fehlalarm hat es nie gegeben", sagt der Präsident des BBK, Christoph Unger. Natürlich könne er menschliches Versagen aber nie ganz ausschließen.

Stünde Deutschland also ein Luftangriff bevor, würde das BBK eine Warnmeldung satellitengestützt über verschiedene Kanäle verschicken: Medienbetreiber, Nachrichtenagenturen, Fernseh- und Rundfunkanstalten werden einbezogen, wenn nötig auch die Deutsche Bahn. Sie dienen als "Multiplikatoren", um den Warnhinweis an die Bevölkerung weiterzuleiten. Die Bevölkerung soll "gezielt, schnell und wirksam" gewarnt werden, heißt es beim BBK.

Beim Bürger kommt die Katastrophenwarnung als Fernseh- oder Radiodurchsage an, weil die öffentlich-rechtlichen Anstalten ihre Sendungen unterbrechen, wozu sie staatsvertraglich verpflichtet sind. Sie landet nicht als ungefragte SMS auf dem Smartphone, wie es in Hawaii der Fall war, weil der Staat "nicht in die Datenhoheit des Einzelnen eingreift", wie es BBK-Präsident Unger beschreibt.

Warnungen aufs Smartphone erhält nur, wer zuvor die passende App geladen hat

Einen Warnhinweis auf dem Handy erhält nur, wer sich vorher eine Katastrophenwarn-App heruntergeladen hat, zum Beispiel die App Nina vom BBK. Sie dient in erster Linie als Alarm und schlägt los, wenn Gefahr droht. Das wäre nicht nur bei einem drohenden Raketeneinschlag der Fall, sondern auch, wenn es besonders heftig stürmt oder ein Hochwasser bevorsteht. Der Nutzer erfährt, wie er sich in der Situation am besten verhält. "Fenster schließen" könnte etwa ein Hinweis bei austretenden Gefahrstoffen lauten.

Der zivile Katastrophenschutz in Deutschland war zu Zeiten des Kalten Krieges besser ausgestattet. Weil die Sicherheitslage sich seit 1989 deutlich entspannt hat, wurden Schutzräume, Sirenen und andere Vorrichtungen stark zurückgebaut. Immerhin 40 000 Sirenen sind es aber noch, die aufheulen würden, wenn ein Angriff droht. 2016 legte Innenminister Thomas de Maizière ein neues Zivilschutzkonzept vor. Darin wird Privatpersonen erstmals wieder empfohlen, für Katastrophenfälle einen Vorrat an Lebensmitteln und Medikamenten zu halten. Mindestens für 14 Tage sollte jeder vorsorgen. Das heißt: pro Person 28 Liter Trinkwasser, mehr als 20 Kilogramm Lebensmittel sowie Medikamente und Hygieneartikel.

Bei chemischen, biologischen, radiologischen oder nuklearen Gefahren stehen in jedem Bundesland nur für ein Prozent der Bevölkerung Schutzräume bereit. Mehr ist nicht realisierbar. BBK-Präsident Unger hält einen Raketenangriff auf Deutschland in der gegenwärtigen Sicherheitslage für unwahrscheinlich. Die drei großen Herausforderungen für den Katastrophenschutz seien vielmehr, so skizziert er es, der Klimawandel, Stromausfälle und Cyberangriffe.

© SZ vom 16.01.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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