Katalonien:Katalanische Politikerin gibt sich vor Gericht überraschend folgsam

Catalan Parliament Speaker Attends Spain's Supreme Court

Die katalanische Paralamentspräsidentin Carme Forcadell vor dem Obersten Gericht in Madrid.

(Foto: Getty Images)
  • Vor dem Obersten Gericht in Madrid erklärt die katalanische Parlamentspräsidentin Forcadell, die Unabhängigkeitserklärung vom 27. Oktober habe nur "symbolischen Charakter" gehabt.
  • Forcadell gilt eigentlich als eiserne Verfechterin der katalanischen Sezession. Dass sie überhaupt aussagte, wurde von spanischen Medien mit Überraschung aufgenommen.
  • Anders als die Chefs der katalanischen Exekutive ist sie noch im Amt und führt die Parlamentsgeschäfte bis zur Neuwahl am 21. Dezember.
  • Das Gericht hat Untersuchungshaft angeordnet, aber eine Freilassung auf Kaution in Aussicht gestellt.

Von Sebastian Schoepp

Eine Woche, nachdem ein Madrider Gericht acht Mitglieder der abgesetzten katalanischen Regionalregierung in Untersuchungshaft geschickt hatte, hat am Donnerstag die katalanische Parlamentspräsidentin Carme Forcadell in Madrid ausgesagt - und sich als überraschend folgsam präsentiert. Vor dem Obersten Gericht erklärte sie, die Unabhängigkeitserklärung von Barcelona vom 27. Oktober habe nur "symbolischen Charakter" gehabt. Die Anwendung von Artikel 155 der Verfassung, also die Aussetzung der katalanischen Autonomie, werde sie "achten und befolgen". Die Staatsanwaltschaft wirft Forcadell und fünf anderen Parlamentariern "Rebellion", Aufruhr und Veruntreuung vor - genau wie den acht inhaftierten Ex-Ministern. Bei einer Verurteilung drohen ihnen bis zu 25 Jahre Haft.

Forcadell gilt eigentlich als eiserne Verfechterin der katalanischen Sezession. Dass sie überhaupt aussagte, wurde von spanischen Medien mit Überraschung aufgenommen. Vor einer Woche hatten die acht Ex-Minister noch von ihrem Recht auf Aussageverweigerung Gebrauch gemacht - und wurden prompt in Untersuchungshaft geschickt. Möglicherweise wollte Forcadell diesem Schicksal entgehen. Das Oberste Gericht hatte erkennen lassen, dass es sich mit einer Kaution zufriedengibt, wenn sich Forcadell von der "einseitigen Unabhängigkeitserklärung" distanziert.

Am späten Donnerstagabend präsentierte das Gericht seine Entscheidung: Untersuchungshaft für die katalanische Parlamentspräsidentin und vier weitere sezessionistische Abgeordnete. Der Richter setzte nach der Anhörung eine Kaution von 150 000 Euro für Forcadell und 25 000 Euro für die vier Abgeordneten fest. Leistet Forcadell die Zahlung, kommt sie vorläufig frei. Anders als die Ex-Minister war Forcadell bislang noch im Amt, führte die Parlamentsgeschäfte bis zur Neuwahl am 21. Dezember.

Generalstreik in Katalonien

Die U-Haft für acht Minister und zwei Aktivisten hat in Katalonien allerhand Unruhe ausgelöst. Die Gerichtsentscheidung von vor einer Woche weckte auch in Menschen separatistische Wallungen, die diese sonst nicht hegen. Für ihre Anhänger sind die Eingesperrten "politische Gefangene", auch wenn Amnesty International dieser Einordnung am Donnerstag widersprach.

Um der Forderung nach Freilassung Nachdruck zu verleihen, hatten regionale Gewerkschaften am Mittwoch zum Generalstreik in Katalonien aufgerufen, der jedoch nach einer Bilanz der Madrider Zentralregierung nur geringen Widerhall fand. Richterin Carmen Lamela in Madrid ließ sich auch nicht beeindrucken und entschied: Die acht katalanischen Politiker müssen in U-Haft bleiben.

Spaniens Ministerpräsident Mariano Rajoy verlieh bei einer Rede im Parlament der Hoffnung Ausdruck, dass am 21. Dezember eine "neue Ära" anbrechen möge, "ein neues politisches Zeitalter der Koexistenz", in dem "die Gesetze geachtet werden und sich die Wirtschaft Spaniens erholt". Am 21. Dezember wird in Katalonien ein neues Parlament gewählt. Die Madrider Regierung, die Katalonien zwangsverwaltet, hat den Tag für schulfrei erklärt, was die Wahlbeteiligung fördern soll, von der Rajoy hofft, dass sie "massiv" ausfällt. Er setzt darauf, dass es eine schweigende Mehrheit gibt, die die katalanische Unabhängigkeitserklärung nicht mitträgt, welche am Mittwoch sowieso vom spanischen Verfassungsgericht annulliert wurde.

Am Donnerstag warnte Rajoy, möglicherweise müsse die Prognose für das Wachstum im nächsten Jahr wegen der Krise gesenkt werden. Am Donnerstag drohten die Macher der wichtigen Mobilfunkmesse Mobile World Congress, Barcelona zu verlassen, sollte sich die Situation nicht stabilisieren. Weil spanische Apotheker katalanische Produkte boykottieren, erwägt der deutsche Arzneimittelhersteller Stada, aus Katalonien wegzugehen.

Das ganze Land starrt also in gebannter Erwartung auf 21 D, wie der Tag in den Medien genannt wird. Spanien fragt sich: Geht das Ringen mit den Separatisten so weiter wie die letzten Monate? Vieles deutet darauf hin. Die Parteien, die für eine Loslösung von Spanien sind, würden derzeit laut Umfragen wieder eine knappe Mehrheit der Sitze erhalten. Rajoys einziger Trost dürfte sein, dass die Separatisten stark zerstritten sind und sich bis Dienstag um Mitternacht - dem Stichtag für die Anmeldung von Wahlbündnissen - nicht auf eine künftige Koalition einigen konnten.

Die Linksrepublikaner hoffen, den nächsten Ministerpräsidenten zu stellen

Dazu hatte besonders der abgesetzte Regionalregierungschef Carles Puigdemont eindringlich aufgerufen, der mit vier seiner Ex-Minister nach Belgien geflohen ist. Er setzt offenbar darauf, als Anführer eines Independentisten-Bündnisses bald wieder Katalonien zu regieren, zur Not symbolisch aus der Ferne oder vom Gefängnis aus, sozusagen im Status eines politischen Märtyrers. Am Donnerstag kündigte er an, eine "stabile Regierungsstruktur" etablieren zu wollen, also eine Art Exilregierung.

Bis zu ihrer Absetzung Ende Oktober hatten Puigdemonts liberalkonservative europäisch-katalanische Demokraten (PDECat) und die Linksrepublikaner (ERC) seines inhaftierten Stellvertreters Oriol Junqueras ein Bündnis gebildet. Es wurde im Parlament in Barcelona von der linksradikalen Splitterpartei CUP gestützt. ERC und CUP sind radikaler als die PDECat. Die ERC macht sich echte Hoffnungen darauf, vom 21. Dezember an den Ministerpräsidenten zu stellen, zum ersten Mal seit den 1930er Jahren. Puigdemonts Euro-Demokraten gelten eingefleischten Separatisten als kompromissbereite Weicheier, vor allem ihre Interims-Führungsfigur Santi Vila, der in letzter Sekunde die Regierung Puigdemont verlassen hatte und den die Madrider Justiz deshalb gegen Kaution auf freiem Fuß lässt.

Die Parteien, die gegen eine Loslösung von Spanien sind, haben davon bisher nur bescheiden profitiert. Es sind Parteien, die es in ganz Spanien gibt, also Rajoys konservative Volkspartei (PP), die liberalen Ciudadanos, die Sozialisten und die Linksalternativen. Letzteren gehört Barcelonas Bürgermeisterin Ada Colau an, die zur Stimme des Ausgleichs geworden ist. Die Metropole gehört nicht zu den Hochburgen der Separatisten, zu bunt ist dort das Bevölkerungsgemisch, Vorteile einer Unabhängigkeit werden weniger idealisiert als in Tälern des Montsec oder der Garrotxa.

Die EU versucht, Rajoy und die Kräfte, die für die Einheit Spaniens eintreten, mit Verweisen auf die Legalität zu unterstützen. Puigdemont hatte in Brüssel mit seinen Bemühungen bisher keinen Erfolg, eine Welle der Solidarität mit Katalonien auszulösen. Die EU klagte er deswegen an, sie unterstütze in Spanien einen "Staatsstreich". Anfang der Woche bekam er Unterstützung von zweihundert Bürgermeistern aus der Heimat, die mit "Varas" angereist waren, Stöcken, die in vielen Teilen Spaniens zu den Insignien des Bürgermeisteramts gehören. Sie bemängelten, in Spanien stehe "die Demokratie auf dem Spiel".

Unbequem wird das allmählich den Gastgebern. Belgiens Ministerpräsident Charles Michel sah sich genötigt zu erklären, weder beschütze er Puigdemont, noch berge dessen Anwesenheit die Gefahr einer Koalitionskrise. In Belgien erhält Puigdemont eine Menge Zuspruch rechtsgerichteter flämischer Separatisten. Das sind eigentlich nicht die Bundesgenossen, die er sich wünscht, denn er betont ja stets, ein guter Europäer zu sein, kein xenophober Nationalist.

Derzeit brüten belgische Richter darüber, ob sie dem spanischen Haftbefehl folgen und Puigdemont ausliefern. Das Problem besteht darin, dass es den Tatbestand der Rebellion, derer Puigdemont in Spanien beschuldigt wird, so in Belgien nicht gibt. Die Richter müssen nun abwägen, ob einer der 32 vergleichbaren Tatbestände des belgischen Strafgesetzbuches anwendbar ist, darunter der "Versuch, die Regierungsform zu ändern" (Artikel 104) oder "Verschwörung" (Artikel 109). Und Puigdemont gewinnt derweil Zeit für seinen Wahlkampf.

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