Kaschmir-Konflikt:Der Fluch der Gotteskrieger

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Religion als Vorwand für Gewalt.

Andreas Bänziger

(SZ vom 25.5.02) - Als England den indischen Subkontinent 1947 in die Unabhängigkeit entließ und das Territorium, auf Drängen der muslimischen Minderheit, in ein mehrheitlich hinduistisches Indien und ein mehrheitlich muslimisches Pakistan aufgeteilt wurde, blieb eine Frage ungelöst: die Zugehörigkeit Kaschmirs, das mehrheitlich muslimisch ist, aber im Süden, in Jammu, hauptsächlich von Hindus und im Nordosten, in Ladakh, hauptsächlich von Buddhisten bewohnt wird. Hari Singh, der Maharadscha von Kaschmir, selbst Hindu, konnte oder wollte sich nicht entscheiden.

Erst als mehrere Tausend Stammeskrieger aus dem Nordwesten Pakistans in Kaschmir einmarschierten, wandte sich Singh an Indien, das umgehend mit britischer Hilfe Truppen in die Hauptstadt Srinagar flog. Der erste Krieg um Kaschmir hatte begonnen. Er endete 1949 in einem Waffenstillstand, der das Gebiet zwischen Indien und Pakistan aufteilte. Dabei erhielt Pakistan aber nur die westlichen und nördlichen Randgebiete, das zentrale Kaschmir-Tal wurde Indien zugeschlagen.

Der Kaschmir-Konflikt rührt an das Selbstverständnis beider Staaten. Weil sich Pakistan religiös definiert - als politische Heimat für die Muslime des Subkontinents -, gehört Kaschmir per Definition zu Pakistan. Weil sich Indien säkular definiert - alle Religionen sind gleichberechtigt, den Staat geht die Religion seiner Bürger nichts an -, hat das Gebiet auch Platz im mehrheitlich hinduistischen Indien.

Eigentlich hätte die Zugehörigkeit Kaschmirs durch eine Volksbefragung geklärt werden sollen, der auch Indiens erster Premierminister Jawaharlal Nehru zugestimmt hatte. Aber Indien hat dieses Referendum stets zu verhindern gewusst. Stattdessen kam es 1965 zu einem zweiten Krieg zwischen Indien und Pakistan, der aber die bestehende Waffenstillstandslinie (Line of Control) nur bestätigte.

Frage nationaler Integrität

Indien hat stets so gehandelt, als wenn sich die Kaschmiri, hätten sie denn die Wahl, für Pakistan oder für die Unabhängigkeit entscheiden würden. Schon Nehru hatte Sheikh Abdullah, den proindischen politischen Führer Kaschmirs, ins Gefängnis geworfen, weil er ihn separatistischer Neigungen verdächtigte. 1987 fälschte dessen Sohn Faruk Abdullah das Ergebnis von Parlamentswahlen mit indischer Hilfe.

Die Wahlfälschung war der Auslöser für einen separatistischen Aufstand, der ursprünglich von der "Befreiungsfront für Jammu und Kaschmir (JKLF)", einer säkularen Organisation, angeführt wurde. Es ging nicht um Religion, sondern um das Selbstbestimmungsrecht der Kaschmiri. Erst später machten von Pakistan ferngelenkte Rebellen, die zum Teil vorher als Mudschahedin gegen die Sowjetunion in Afghanistan gekämpft hatten, aus dem antiindischen Aufstand einen Dschihad, einen heiligen Krieg.

Die Kaschmirfrage ist fast unlösbar. Pakistan wie Indien sähen ihre nationale Integrität bedroht, wenn sie auf das Land am Himalaya verzichten würden. In mehr als 50 Jahren haben sich die Fronten derart verhärtet, dass ein Kompromiss ausgeschlossen erscheint. Die einzige Lösung bestünde darin, dass man sich stillschweigend an die gegenwärtige Aufteilung gewöhnt. Das aber verhindern die von Pakistan gepäppelten selbst ernannten Gotteskrieger, die mit ihren Terroranschlägen die alten Wunden immer wieder aufreißen.

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