Karsai enthüllt Geheimverhandlungen:Wieso der Westen die Taliban lockt

Einst wurden sie als Steinzeitkrieger gebrandmarkt - nun scheint der Westen die Taliban als Gesprächspartner zu akzeptieren. Dass der afghanische Präsident Karsai erstmals offen über die Verhandlungen mit den Radikalen spricht, ist für den Westen allerdings brisant. Die Regierung Obama reagiert ausweichend, fürchtet Kritik im eigenen Land.

Johannes Kuhn

Wenn Hamid Karsai derzeit vor die Mikrofone tritt, werden die USA nervös. Mal unterstellt der afghanische Präsident der Nato bei ihrem Einsatz im Land "verdächtige Motive", mal spricht er schlicht von einer "Besatzung" durch den Westen.

File photo of Taliban militants with their weapons in an undisclosed location in Afghanistan

Taliban-Kämpfer in Afghanistan (2009): Friedenmachen mit den Steinzeitkämpfern?

(Foto: REUTERS)

Am Samstag nun ging Karsai mit einer Information an die Öffentlichkeit, in der Brisanz steckt. Die westlichen Militärmächte und dabei vor allem die USA würden schon seit Monaten mit den Taliban verhandeln, sagte er. "Und wenn Gott will, gehen diese Gespräche weiter."

Dass die Regierung von US-Präsident Barack Obama inzwischen glaubt, einen Abzug aus Afghanistan nicht ohne eine Art Friedensabkommen mit den Taliban erreichen zu können, gilt als offenes Geheimnis: Mitte Mai hatte die Washington Post berichtet, US-Offizielle hätten sich in Deutschland und Katar mit Vertrauten des flüchtigen Taliban-Führers Mullah Mohammed Omar getroffen. Nun ist Karsais Aussage die erste offizielle Bestätigung, dass Gespräche mit den Radikalen wirklich stattgefunden haben.

In Verhandlungen mit den Taliban steckt für den Westen große Brisanz. Als der Afghanistan-Einsatz 2001 begann, war ein Hauptziel der Sturz der seinerzeit als "Steinzeit-Regime" bezeichneten Regierung der Radikalen. Dies gelang - doch in den vergangenen zehn Jahren konnten sich die Extremisten rund um das afghanisch-pakistanische Grenzgebiet einen Rückzugsort schaffen, um von dort und schließlich fast im ganzen Land immer wieder Angriffe auf Regierungs- und Nato-Truppen sowie zivile Ziele zu starten.

Den Westen dürfte auch die Tatsache zum Umdenken bewogen haben, dass die Taliban und al-Qaida inzwischen nicht mehr so eng zusammenarbeiten wie vor zehn Jahren. Am Freitag trug die UN dieser Entwicklung Rechnung und strich die Taliban von einer gemeinsamen Sanktionsliste mit dem al-Qaida.

"Die Taliban sind eine afghanische Bewegung mit nationalen Ambitionen, einen islamischen Staat zu schaffen. Al-Qaida hat internationale Ziele, die weit über Afghanistan hinausgehen", schrieb jüngst auch der renommierte Sicherheitsexperte Daniel Serwer vom Middle East Institute, "Diese beiden Ziele sind nicht nur unterschiedlich, sie vertragen sich nicht. Vielleicht können wir al-Qaida aus Afghanistan fernhalten, obwohl wir die Taliban zurückkehren lassen."

Taliban: Freiheit für Guantanamo-Insassen

Über die Bedingungen dieser Rückkehr herrscht allerdings Uneinigkeit, da die Taliban für ein Friedensabkommen einige umstrittene Bedingungen stellen. In einer Liste, über die die Washington Post berichtete, verlangen die Taliban die Freilassung von 20 in Guantanamo gefangenen Kämpfern. Acht von ihnen haben die USA als "high value detainees" klassifiziert, also als äußerst wichtige Gefangene. Außerdem verlangt die Gruppe den vollständigen Abzug der ausländischen Truppen aus dem Land, sowie die Garantie, in der künftigen Regierung eine tragende Rolle zu spielen.

Genau solche Forderungen provozieren nicht nur im Westen Skepsis, sondern auch bei Demokratiebefürwortern in Afghanistan. Die Opposition befürchtet, eine Rückkehr der Taliban könnte mittelfristig dazu führen, dass die fragile Demokratie sich in Richtung einer Mischung aus Stammes- und Gottesstaat entwickelt.

Karsai sagte am Samstag dezidiert, der Westen verhandle zwar mit den Taliban - seine Regierung jedoch nicht.

Der deutsche Botschafter in Afghanistan, Rüdiger König, kommentierte die Situation so: "Die Bundesregierung sagt seit Monaten, wir unterstützen einen politischen Prozess in Afghanistan", sagte er. Dazu gehörten auch Versöhnungsgespräche. "Wir wären zufrieden, wenn dieser Prozess jetzt in Gang käme."

Ähnlich dezent hörte sich das bei der US-Botschaft in Afghanistan an. "Wir haben wiederholt erklärt, dass wir den afghanischen Prozess der afghanischen Versöhnung unterstützen und daran teilnehmen", heißt es in einer Stellungnahme. Es gehe dabei darum, "den Aufständischen eine Chance zu bieten, die al-Qaida den Rücken kehren, auf Gewalt verzichten und die afghanische Verfassung akzeptieren wollen".

Inzwischen hat der scheidende US-Verteidigungsminister Robert Gates die Karsai-Aussage bestätigt. "Ich würde sagen, die Kontakte sind sehr vorläufig", sagte er am Sonntag in einem Interview mit dem Fernsehsender CNN. Die Kommunikation werde "vielleicht seit einigen Wochen" vom US-Außenministerium gestaltet. Letztlich werde der Krieg wie andere auch in einer politischen Lösung enden.

Verhandlungen mit den Taliban sind für Barack Obama ein großes politisches Risiko. Schon im November 2010 hatte sich die Nato blamiert, als sie einen angeblichen Taliban-Kommandeur zu Verhandlungen nach Kabul einfliegen ließ und ihm dafür sogar eine größere Geldsumme zahlte. Später stellte sich heraus, dass es sich um einen Hochstapler handelte.

Angeblich wird im Weißen Haus seit längerem heftig darüber diskutiert, ob Verhandlungen mit den Taliban moralisch vertretbar sind. "Ich weiß, dass es zuerst geschmacklos erscheint, Frieden mit einem Gegner zu schließen, der so brutal sein kann wie die Taliban", sagte US-Außenministerin Hillary Clinton vor einigen Monaten. "Aber das ist, wie man Frieden macht. Das wusste schon Präsident Reagan, als er sich mit den Sowjets an einen Tisch setzte."

Die Rechte bringt in den USA für solche Forderungen wenig Verständnis auf. "Was für Neville Chamberlain funktioniert hat, funktioniert auch für Barack Obama", ätzten rechte Blogger nach Bekanntwerden von Karsais Äußerungen in Anspielung auf die britische Appeasement-Politik gegenüber Hitler. Die Republikaner, die sich seit längerem in Fundamentalopposition gegen Obama befinden, könnten im anstehenden Präsidentschaftswahlkampf die Verhandlungen mit den Taliban als Verrat an den eigenen Idealen brandmarken.

In Wahrheit wollen jedoch alle Parteien den Afghanistan-Einsatz so schnell wie möglich beendet sehen - weshalb die USA schon in den vergangenen Monaten eine Doppelstrategie verfolgten. Während offenbar die ersten Verhandlungen stattfanden, wurden in zahlreichen gezielten Angriffen hochranginge Taliban-Kommandeure im Südwesten Pakistans getötet.

Gates: Keine Fortschritte zu erwarten

Selbst wenn es gelingt, die Taliban so zu schwächen, dass sie zu Konzessionen bereit sind: Bis zu substantiellen Verhandlungen könnten Monate, vielleicht Jahre vergehen. Zumal offenbar auch die Taliban darum ringen, ob der bewaffnete Kampf oder Friedensverhandlungen vorzuziehen sind. Auch Pentagon-Chef Gates erklärte am Sonntag, er rechne "bis zu diesem Winter" mit keinen wesentlichen Fortschritten.

Erst an diesem Sonntag gab es wieder einen Anschlag auf deutsche Soldaten, bei dem mehrere afghanische Zivilisten ums Leben kamen. Die Taliban bekannten sich zu der Tat.

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