Karlsruher "Cicero"-Urteil:Vertrauliches darf vertraulich bleiben

Das Bundesverfassungsgericht hat das Recht von Journalisten gestärkt, ihre Informationsquellen für sich zu behalten. Um das Risiko einer Strafverfolgung vernünftig zu begrenzen, baute Karlsruhe eine neue Hürde vor Redaktionen auf.

Helmut Kerscher

Wolfgang Weimer muss sehr zuversichtlich gewesen sein. Andernfalls hätte der großgewachsene Cicero-Chefredakteur kaum Frau und Kinder zur Urteilsverkündung nach Karlsruhe mitgebracht. Dass er ohnehin zum Optimismus neigt, hat Weimer auch gerade in seinem Magazin ausgebreitet.

Darin höhnt er über die "Schickeria-Großkoalition" der Klimaschützer von Hollywood über Davos bis Sylt, die doch tatsächlich an das böse Kohlendioxid als Verursacher einer Katastrophe glaube. In Wirklichkeit stehe es um die Welt besser denn je; der Temperaturanstieg sei völlig normal, und die Zahl der bei Naturkatastrophen umgekommenen Menschen sei seit 100 Jahren rückläufig.

Mag diese positive Sicht der Dinge auch etwas überraschen, so ist Weimers Optimismus in der Causa Cicero ohne Weiteres nachvollziehbar. Dass seine beiden Verfassungsbeschwerden erfolgreich sein würden, bezweifelte nach der Verhandlung am 22. November kaum ein Beobachter.

Die Frage war eigentlich nur, ob das Verfassungsgericht die Razzia mit Pauken und Trompeten oder bloß mit Querflöte und Schalmeienklängen aus der Welt des geltenden Rechts verabschieden würde. Der Erste Senat wählte unter der Federführung des hanseatischen Professors Wolfgang Hoffmann-Riem (der das "J" im Wort ,,Journalisten'' stets mit einem "J" wie bei Jura und nicht mit einem "sch" spricht) die leisen Töne.

Die Botschaft war gleichwohl gut vernehmlich: Zum einen gelten die goldenen Worte des Verfassungsgerichts zur Pressefreiheit aus dem Spiegel-Urteil von 1966 auch heute, zum anderen wird kaum eine der herkömmlichen Razzien in Redaktionen die von Karlsruhe jetzt aufgestellten Kriterien bestehen.

Journalistische Zauberworte

Bei solchen Aktionen ging es nämlich, zumindest unausgesprochen, um die auch in Krimis zentrale Frage: "Wer war es?" ("Who dunnit?"). Anders gefragt: Welcher Geheimnisträger profitierte von der Veröffentlichung eines Dienstgeheimnisses? Genau das wollten im Fall Cicero das Bundeskriminalamt und der damalige Bundesinnenminister Otto Schily (SPD) wissen. Und genau das durfte nicht Ziel der Aktionen gegen Cicero und seinen Autor Schirra sein, befanden die Verfassungsrichter.

Das heißt nun nicht, dass Journalisten bei der Veröffentlichung von Dienstgeheimnissen nicht verfolgt werden können - was nach einer Gesetzesreform im Jahr 1979 zu gelten schien, ehe die Strafjustiz korrigierend eingriff. Es heißt aber, dass der Schutz von Journalisten vor Durchsuchungen und Beschlagnahmen spürbar ausgeweitet worden ist.

Nach bisheriger Rechtslage entfalteten die Zauberworte "Redaktionsgeheimnis" und "Informantenschutz" vor allem dann ihre Schutzkraft, wenn Journalisten als Zeugen gefragt wurden: "Wer hat Ihnen das Dokument gegeben?" Ungestraft dürfen sie die Antwort verweigern.

Etwas schwächer stehen sie trotz einer erneuten Gesetzesreform im Jahr 2002 da, wenn sie unter dem Verdacht der Teilnahme an Geheimnisverrat stehen. Dann blüht ihnen unter bestimmten Voraussetzungen das Risiko von Durchsuchungen.

Riegel der Richter

Wurden Journalisten gar als Beschuldigte geführt, weil sie in den Augen der Ermittler gemäß dem Tatplan eines Geheimnisträgers ein Geheimnis veröffentlicht haben, mussten sie mit einer Razzia rechnen. Dem hat das Verfassungsgericht nun einen Riegel vorgeschoben.

Weil aber der Wechsel vom "Verdächtigen" zum "Beschuldigten" ganz bei der Staatsanwaltschaft liegt, hätte sie es "in ihrer Hand, ... den besonderen grundrechtlichen Schutz der Medienangehörigen zum Wegfall zu bringen", heißt es nun.

Um das Risiko einer Strafverfolgung vernünftig zu begrenzen, baute Karlsruhe eine neue Hürde vor Redaktionen auf: Durchsuchungen und Beschlagnahmen sind nur erlaubt, wenn über die bloße Veröffentlichung eines Geheimnisse hinaus "spezifische tatsächliche Anhaltspunkte" dafür bestünden, dass ein Geheimnisträger gerade diese Veröffentlichung gewollt habe.

Es könne ja auch sein, dass man nur Hintergrundinformationen liefern wollte oder ein Dokument versehentlich weitergegeben habe. Welche besonderen Anhaltspunkte eine Razzia rechtfertigen könnten, ließ Karlsruhe völlig offen.

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