Karlsruhe:Notfalls gegen den Willen

Das Bundesverfassungsgericht genehmigt die Zwangsbehandlung psychisch Kranker, die nicht frei entscheiden können. Dies dürfe aber nur ein letztes Mittel sein.

Von Kim Björn Becker

Psychisch Kranke, die nicht frei entscheiden können und in einer geschlossenen Einrichtung untergebracht sind, dürfen unter bestimmten Voraussetzungen gegen ihren Willen medizinisch behandelt werden. Das hat das Bundesverfassungsgericht in Karlsruhe am Mittwoch entschieden. Allerdings hat das Gericht für eine Zwangsbehandlung hohe gesetzliche Hürden angesetzt, die in drei Bundesländern nicht ausreichend seien. Nach Informationen der Süddeutschen Zeitung handelt es sich dabei um Bayern, Niedersachsen und Sachsen-Anhalt.

Geklagt hatte eine Frau aus Mecklenburg-Vorpommern, die im Juli 2014 laut Diagnose unter einer Schizophrenie litt und dem Risiko ausgesetzt war, sich selbst zu verletzen. Auf richterliche Anordnung hin wurde sie in der geschlossenen Abteilung einer Klinik untergebracht. Auf der Grundlage eines Landesgesetzes ordnete das zuständige Amtsgericht ferner an, dass die Patientin gegen ihren Willen das Medikament Olanzapin mittels Spritze verabreicht bekommt. Die Klägerin argumentierte, dass das entsprechende Gesetz in Mecklenburg-Vorpommern eine Zwangsbehandlung nicht rechtfertige. Inzwischen ist die Regelung in dem Bundesland geändert worden, in den drei anderen Ländern gibt es aber noch immer vergleichbare Vorschriften. Diese sind nach Ansicht der Richter grundgesetzwidrig.

Geklagt hatte eine Frau, die laut Diagnose unter Schizophrenie litt

Das Verfassungsgericht betonte in seiner Entscheidung, dass eine medizinische Zwangsbehandlung ein schwerer Eingriff in die "körperliche Integrität" des Betroffenen darstelle und dessen vom Grundgesetz geschütztes Recht auf Selbstbestimmung verletze. Deshalb sei eine Zwangsbehandlung von Personen, die nicht einwilligungsfähig sind und daher die Notwendigkeit einer Therapie nicht erkennen können, nur dann zulässig, wenn das entsprechende Landesgesetz präzise die Voraussetzungen dafür bestimme. Nach Ansicht der Richter gehört dazu, dass das Personal zuvor versucht, das Vertrauen des Patienten zu gewinnen und dessen Zustimmung zu der Behandlung zu erlangen. Wenn das nicht gelingt, so muss dem Betroffenen die beabsichtigte Zwangsbehandlung rechtzeitig angekündigt werden, sodass dieser ausreichend Zeit hat, um sich juristisch dagegen zu wehren. Ferner muss eine unabhängige Stelle vorab prüfen, ob die beabsichtigte Art der Behandlung sinnvoll ist, ob also der erwartete Nutzen für den Patienten das Risiko überwiegt. Schließlich muss die Zwangsbehandlung als letztes Mittel angesehen werden, um den Betroffenen vor einer Selbstverletzung zu bewahren. Und sie muss zwingend durch einen Arzt erfolgen und dokumentiert werden.

Etliche dieser Voraussetzungen, die das Verfassungsgericht bereits zuvor in einem anderen Zusammenhang entwickelt hatte und nun auf die Unterbringung in einer geschlossenen Einrichtung ausweitet, wurden von dem damals gültigen Landesgesetz in Mecklenburg-Vorpommern nicht erfüllt. Allerdings wurde die gerügte Regelung bereits zum 30. Juli 2016 außer Kraft gesetzt und durch eine neue Vorschrift ersetzt.

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