Karlsruhe:Atomausstieg war verfassungsgemäß

Das höchste Gericht billigt den Stromkonzernen aber Entschädigungen für entgangene Gewinne zu.

Von Michael BAUCHMüLLER und Wolfgang JANISCH, Karlsruhe

Der Atomausstieg im Jahr 2011 ist im Wesentlichen verfassungsgemäß, könnte aber gleichwohl finanzielle Konsequenzen für die Bundesregierung haben. Das folgt aus einem Urteil des Bundesverfassungsgerichts. Danach steht es dem Gesetzgeber grundsätzlich frei, das "Restrisiko" der Atomkraft politisch neu zu bewerten - "auch ohne Erkennbarkeit in Deutschland neu aufgetauchter Sicherheitsrisiken", sagte Vizepräsident Ferdinand Kirchhof bei der Urteilsverkündung. Die schwarz-gelbe Regierung durfte also den Reaktorunfall von Fukushima im März 2011 zum Anlass für den Ausstieg nehmen, trotz der kurz zuvor beschlossenen Laufzeitverlängerung.

Zugleich aber gewährt das Gericht den klagenden Energieversorgern grundsätzlich einen Anspruch auf Ausgleich für jene Strommengen, die ihnen im Atomkonsens von 2002 zugesichert worden waren, die sie aber nach dem Ausstieg von 2011 nicht mehr "verstromen" können. Das betrifft vor allem das dem schwedischen Konzern Vattenfall gehörende AKW Krümmel, das mit dem Ausstieg vom Netz blieb, obwohl es deutlich jünger war als sieben andere sofort abgeschaltete Reaktoren. Zum anderen geht es um RWE und dessen AKW Mülheim-Kärlich. Außerdem sollen fehlgeschlagene Investitionen nach der Laufzeitverlängerung von 2010 entschädigt werden, allerdings nur für die drei Monate bis zum Unglück von Fukushima.

Ob es insgesamt um große Summen geht, ist zweifelhaft. Dem Urteil zufolge ist eine Entschädigung in Geld nicht einmal zwingend. Ausgleich könnte auch durch die - politisch freilich unwahrscheinliche - Verlängerung von Laufzeiten oder durch eine gesetzliche Übertragung der Strommengen auf Eon und EnBW gewährt werden. "Milliardenforderungen der Konzerne sind damit vom Tisch", sagte Umwelt-Staatssekretär Jochen Flasbarth. Auch Bundesfinanzminister Wolfgang Schäuble merkte an, die Folgen seien nicht so aufregend. Ähnlich sieht es auch RWE. "Wir gehen nicht davon aus, dass hier Entschädigungen in Milliardenhöhe erfolgen werden", sagte eine Sprecherin in Karlsruhe.

Die Bundesregierung begrüßte das Urteil. "Damit ist klar, der Atomausstieg hat Bestand", sagte Flasbarth. Was konkret aus dem Urteil folge, wie also Vattenfall und RWE nun entschädigt werden sollen, wolle man sich erst im Detail anschauen. Das Urteil lässt dafür Zeit bis zum Sommer 2018. Greenpeace bezeichnete das Urteil als "Würdigung, dass ein schneller Atomausstieg dem Gemeinwohl dient".

Interessant wird, wie es mit einer anderen Klage weitergeht: In Washington will Vattenfall 4,7 Milliarden Euro für die Stilllegung von Krümmel erstreiten - auch mit dem Argument, es erfahre vor deutschen Gerichten keinen ausreichenden Schutz. Doch das Bundesverfassungsgericht hat dem schwedischen Staatskonzern zugestanden, er dürfe sich "ausnahmsweise" auf deutsche Grundrechte berufen. "Vattenfall muss nun auf diese Klage verzichten", forderte die Grünen-Abgeordnete Sylvia Kotting-Uhl.

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