Kardinal Marx:Am Scheideweg

Kardinal Reinhard Marx in der Bundespressekonferenz

Appelliert an Europa: der Vorsitzende der Deutschen Bischofskonferenz, Kardinal Reinhard Marx.

(Foto: Bernd von Jutrczenka/dpa)

Kardinal Marx fordert die europäischen Länder auf mitzuhelfen, dass kein Flüchtling an den europäischen Grenzen verdurstet oder erstickt.

Der Vorsitzende der katholischen Deutschen Bischofskonferenz, Kardinal Reinhard Marx, hat an die europäischen Länder appelliert mitzuhelfen, dass kein Flüchtling an den europäischen Grenzen "verdurstet oder erstickt". Das müsse absolute Priorität haben, erklärte Marx am Dienstag in Berlin mit Blick auf die Lage von Flüchtlingen entlang der sogenannten Balkan-Route. Ende August war in Österreich der Lkw einer Schlepperbande mit 71 toten Flüchtlingen entdeckt worden. Der Fall sorgte europaweit für Entsetzen.

Man dürfe nicht meinen, "wir könnten auf einer Insel des Wohlstands in Europa bleiben und unsere Grenzen sichern. Das ist auf Dauer irrational", sagte Marx. Die Flüchtlingskrise habe ihre Hauptursache in der wirtschaftlichen Ungleichheit in der Welt. Er sei der Überzeugung, dass die Mehrheit der Bevölkerung in der EU für die Aufnahme von Flüchtlingen sei, und habe Hoffnung, "dass Druck von unten kommt"

Der Kardinal sagte, die Entscheidung von Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) sei richtig, Tausende Flüchtlinge aufzunehmen, die in Ungarn auf ihre Ausreise gewartet haben. Zusammen mit dem Ratsvorsitzenden der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD), Landesbischof Heinrich Bedford-Strohm, hatte Marx am Wochenende einige der Neuankömmlinge am Münchner Hauptbahnhof begrüßt.

Europa müsse sich nun entscheiden, was das "übergeordnete Paradigma" sei, so Marx, der auch Vorsitzender der EU-Bischofskommission ist - "Abschreckung oder Einwanderung, die dann auch geregelt werden muss". Er bedauere den Rückfall vieler europäischer Länder in nationale Interessen. Europa habe alles getan, um den Euro zu retten, aber in der Flüchtlingsfrage bringe die Gemeinschaft vergleichsweise wenig Energie auf. Der Erzbischof von München und Freising lobte die Hilfsbereitschaft vieler Ehrenamtlicher. Auch die Kirche beteilige sich und nehme Flüchtlinge in den Pfarreien auf. Langfristig sei aber ein Bauprogramm notwendig, an dem sich auch die Kirchen beteiligen müssten: "Mein Traum wäre es, Stadtteile aufzubauen, wo verschiedene Gruppen zusammenkommen wie Migranten, Familien oder ältere Menschen," sagte Marx.

Papst Franziskus hatte am Wochenende aufgerufen, möglichst jede katholische Gemeinde in Europa solle eine Flüchtlingsfamilie aufnehmen. Dazu sagte Marx, er hoffe, dass in den Gemeinden in Deutschland "deutlich mehr Flüchtlinge aufgenommen werden, als es Pfarreien gibt". Allerdings könne es sein, dass in einer Gemeinde zehn Familien aufgenommen würden, in einer anderen, kleineren aber vielleicht keine. Auch seien derzeit eher Kapazitäten für die Erstaufnahme gefragt, wofür Wohnungen weniger geeignet seien. "Wir greifen den Impuls des Papstes auf", sicherte Marx aber zu. Ohnehin seien kirchliche Einrichtungen wie die Caritas, aber auch viele ehrenamtliche Helfer bereits stark in der Flüchtlingshilfe engagiert.

Nicht kommentieren wollte Marx die Äußerungen des ungarischen Bischofs Laszlo Kiss-Rigo. Der hatte in der Washington Post erklärt, die muslimischen Flüchtlinge seien "eine Invasion", sie kämen mit "Allahu Akbar"-Rufen. Er selber habe am Münchner Hauptbahnhof andere Rufe gehört, sagte er. Hätte Bischof Kiss-Rigo das tatsächlich gesagt, "dann hätte er sich klar gegen den Papst gestellt".

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