Kanzlerkandidat Steinbrück und die SPD:Geschüttelt und überaus gerührt

Peer Steinbrück kann kaum fassen, wie sehr ihn die SPD nach seinem Fehlstart als Kandidat unterstützt. Die unverhoffte Zuneigung tut ihm gut - hat aber wohl auch damit zu tun, dass es keine Alternative gibt.

Susanne Höll, Berlin

Peer Steinbrück trifft Alfredo Pérez Rubalcaba

Peer Steinbrück im Berliner Willy-Brandt-Haus.

(Foto: dpa)

Peer Steinbrück ist ein begnadeter Sprachspieler, mit Hang zur Härte gegen seine Mitmenschen. Etliche Formulierungen werden auf absehbare Zeit mit ihm verbunden bleiben. Die Kavallerie, die er am liebsten in die Schweiz geschickt hätte, die Jakobiner und Heulsusen in der SPD.

Und nun redet dieser Mann von Gefühlen, seinen eigenen, wohlgemerkt. "Die Solidarität, die ich aus der SPD erfahre, ist bemerkenswert und auch berührend." Berührend? Dieses Wort hat man von dem 65-Jährigen öffentlich bislang nicht gehört. Die vergangenen zwei Monate haben den Mann verändert, aber auch die Partei und das Verhältnis zwischen beiden. Kein Wunder, schließlich ist sein Start als designierter Kanzlerkandidat vermasselt.

Die von der Opposition angefeuerte Debatte um seine Nebeneinkünfte, das Mega-Honorar der Stadtwerke Bochum, ein kurzes Intermezzo mit einem ambitionierten Tausendsassa als Internet-Berater: Acht Wochen lang war der Kandidat weitgehend mit sich selbst beschäftigt und weniger mit politischen Themen. Bis hinein in die Parteispitze verbreitet sich Ratlosigkeit. Und die SPD-Mitglieder? Steinbrück sitzt zum ersten Mal seit seiner Vorstellung als Spitzenkandidat zusammen mit einer halben Hundertschaft Berliner Journalisten im Willy-Brandt-Haus und sagt: "Die Partei macht klar: Wir passen auf, dass du nicht kaputtgeschossen wirst."

Öffentlich hackt niemand auf ihm rum

Im Sommer hätten noch viele darauf gewettet, dass sich ein Kandidat Steinbrück und die SPD im Wahlkampf über kurz oder lang gegenseitig zerlegen. Zu unterschiedlich, wie Feuer und Wasser, ganz guter Mann, der Steinbrück, aber kein echter Sozi. Der Ex-Finanzminister selbst bat seine Partei um "Beinfreiheit". Die gewährt ihm inzwischen sehr viel mehr. Sie baut ihm veritable Wagenburgen in seinem Schlamassel. Öffentlich hackt kaum einer auf ihm rum, von Schadenfreude nichts zu hören. Mit großer Leidensfähigkeit und Disziplin trägt ihn die SPD durch eine schwere Zeit. Übrigens auch Leute wie die nordrhein-westfälische Ministerpräsidentin Hannelore Kraft und Hamburgs Bürgermeister Olaf Scholz. Die hatten ihn, wie Steinbrück erzählt, in schwierigen Tagen gefragt, ob sie öffentlich für ihn Partei ergreifen sollten. Steinbrück dankte, winkte aber ab. Solche Solidaritätsbekundungen könnten auch kontraproduktiv sein.

Aber was bleibt der SPD übrig außer Solidarität? Ihn absägen? Es gibt keinen Ersatz. Die beiden anderen aus der Vielleicht-Kanzlerkandidaten-Troika, Parteichef Sigmar Gabriel und der Fraktionsvorsitzende Frank-Walter Steinmeier, halten sich erklärtermaßen für ungeeignet. Und Hannelore Kraft weiß selbst am besten, dass es ihr an bundespolitischer und internationaler Erfahrung fehlt. Also weiter mit Steinbrück.

Zwei Monate durch die Schleifmaschine der öffentlichen Beobachtung

Der ist zwei Monate durch die Schleifmaschine der öffentlichen Beobachtung und journalistischen Recherche gegangen. Das tut jedem Spitzenpolitiker weh, Kandidaten aber ganz besonders. Denn sie genießen, anders als frisch vereidigte Regierungsmitglieder, keine 100-Tage-Schonfrist. Überdies ist Steinbrück überzeugt, dass er nicht viel verkehrt gemacht hat. Die Honorare, alles angegeben, versteuert und veröffentlicht. Die Diskussion um die Nutzung seiner Bahncard bei Vortragsreisen - kleinkariert. Das geplatzte Engagement des Internet-Beraters Roman Maria Koidl - nicht seine Schuld. Er bedauert allein die Tatsache, dass er von den Stadtwerken in Bochum 25.000 Euro für ein Plauderstündchen nahm.

Spürbar gereizt gibt er an diesem Abend zu verstehen, dass er selbst vielleicht ein wenig, Medien und andere aber mehr Verantwortung für die ganze Angelegenheit tragen. Steinbrück fühlt sich schlecht behandelt und missverstanden. Die Journaille drehte jeden Stein herum, wollte ihn auf die "Psycho-Couch" legen, phantasierte über seine angebliche Beratungsresistenz, fragte sogar, ob er mutwillig Eigentumswohnungen verfallen lasse. Als einer der Gescholtenen widerspricht, entgegnet er mit Schärfe: "Sie haben ein Glaskinn. Sie erwarten von Politikern Selbstreflexion und Selbstkasteiung. Aber wenn es Retourkutschen gibt, ist man dann beleidigt." Der Kandidat, so viel ist klar, lässt Dampf ab.

In der Partei sieht man die Dinge etwas anders. Sicher sei manches aufgebauscht gewesen, ungerecht und vielleicht sogar gemein. Aber auch namhafte Sozialdemokraten fragen sich, ob der robuste, erfahrene und in Finanzdebakeln erprobte Steinbrück tatsächlich über jene Eigenschaft verfügt, die ein Spitzenpolitiker zum Erfolg unbedingt benötigt: die Fähigkeit, Dinge vom Ende her zu denken, sei es bei den Nebenverdiensten, beim Berater-Engagement oder bei der Bewältigung von Krisen, seien es größere oder kleine. Kanzlerin Angela Merkel hat diese Fähigkeit.

Steinbrück ist kein Kalkulierer

Nein. Steinbrück hat einiges nicht vom Ende her gedacht, zumindest nicht die Kandidatur. Das war 2011 für ihn nichts anderes als ein Gedankenspiel, nahm erst viel später konkrete Formen an. Ansonsten hätte er seine Rednerauftritte früher eingestellt, vielleicht jedenfalls, und sich innerlich darauf vorbereitet, was es heißt, nun durch das Stahlbad der öffentlichen Prüfung zu gehen. Nach seiner Zeit als Finanzminister genoss er die Freiheit, ohne enges politisches Korsett zu leben und all das zu tun, was einem Regierungsmitglied oder hohen Parteifunktionär verboten ist.

Steinbrück ist vom Naturell her ein Sponti. Kein Kalkulierer, der in der Deckung auf den richtigen Moment zum Sprung wartet. In Spitzenpositionen, wo an jeder Ecke Gefahren lauern, ist ein Sponti-Leben allerdings riskant. Aufstieg und Macht verändern den Menschen, ob in der Politik oder anderswo. Das erzählt fast jeder, der diesen Weg gegangen ist. Aber Steinbrück will eines ganz und gar nicht - sich selber ändern. Er gehe als Kandidat nicht auf "Ranschmeiße". "Ich werde mir treu sein müssen, ohne borniert zu sein", sagt er im Willy-Brandt-Haus.

Letzteres vernimmt die SPD mit Erleichterung. An diesem Samstag wird Steinbrück auf dem kleinen Parteitag in Berlin sprechen. Zum Holper-Start will er allenfalls ein paar Sätze sagen. Keine Weinerlichkeit, kein dramatisches Mea culpa, keine depressive Stimmung. Und dann gleich zu politischen Dingen kommen und zum Wahlkampf. Der soll im Frühjahr beginnen, dann wird Steinbrück auch sein Kompetenzteam vorstellen, ein knappes Dutzend Männer und Frauen, von denen einige Minister werden, wenn es denn gut laufen sollte für die SPD im Herbst 2013.

Die Delegierten des Konvents sollen nach den bitteren zwei Monaten mit dem Gefühl nach Hause fahren, dass aus Steinbrück ein Klasse-Kandidat wird, der alle Unterstützung verdient. Denn die Genossen sind zwar diszipliniert, irritiert aber auch. Schließlich stand schon in der Zeitung, dass er an einen Rückzug denke. Unfug, entgegnet Steinbrück. An seinem Einsatz und Siegeswillen mag er keine Zweifel aufkommen lassen. "Man kann doch in einer solchen Frage nicht herumlavieren und sagen: In Ordnung, Herr Förster, ich lege das Reh wieder auf die Lichtung."

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