Kanzlerin im Schülergespräch:Merkel wird zur Ideenbox

Zukunftsdialog, Teil vier: Nach den Bürgergesprächen der Kanzlerin in Erfurt, Heidelberg und Bielefeld trifft sich Angela Merkel mit 50 Jugendlichen in Berlin. Die Diskussion deckt einen bunten Themenstrauß ab - von Umweltschutz über Integration bis hin zu den Problemen behinderter Kinder. Doch das Gespräch krankt letztlich an den gleichen Problemen wie die Vorveranstaltungen.

Thomas Schmelzer

Wenn doch alles so schön harmonisch wäre wie hier! Umringt von staunenden Schülern steht Angela Merkel im Bundeskanzleramt und erklärt die Welt, wie die Kanzlerin sie sieht. Gut zwei Stunden hat sie sich an diesem Dienstagnachmittag freigehalten, um mit Jugendlichen über ihre Probleme zu reden. Nicht nur die 50 Jugendlichen im Kanzleramt können der Kanzlerin dabei zuhören, die Veranstaltung wird auch auf der Seite der Bundesregierung gestreamt. Fernab des NRW-Desasters soll es um die Zukunft gehen. Ein bisschen zuhören, ein bisschen plaudern und am Ende sind alle zufrieden. Es ist ein Wohlfühltermin für Merkel, kurz vor dem Termin mit dem aufmüpfigen Sozialisten-Führer Hollande aus Frankreich.

Jugendkonferenz im Bundeskanzleramt

Her mit Euren Ideen! Bundeskanzlerin Angela Merkel spricht mit Jugendlichen.

(Foto: dapd)

Im Bundeskanzleramt haben es sich die Teenager auf kleinen Sitztribünen gemütlich gemacht. Einige tragen Blazer oder Jacketts, die meisten sehen aus wie ganz normale Schüler. Kapuzenpullis und Hemden bestimmen das Bild. Wie schon bei den Bürgerdialogen hat man auf einen repräsentativen Schnitt der Bevölkerung geachtet. Merkel ist umringt von Jugendlichen deutscher und nichtdeutscher Herkunft, mit und ohne Behinderung.

In den ersten Minuten stolpert die Veranstaltung ein wenig vor sich hin. Es dauert, bis sich die Schüler und Merkel beschnuppert haben. Was die Kanzlerin von Toleranzunterricht hält, will ein 13-Jähriger wissen. Dazu fällt Merkel nicht viel ein. "Da müsste dann ja jeder ehrlich über seine Erlebnisse reden", sagt sie.

Dabei sollte die Kanzlerin in punkto Bürgernähe doch eigentlich ein Profi sein. Schon dreimal hat sich Merkel dieses Jahr mit ihren Bürgern getroffen und über Deutschland geredet. Bürgerdialog heißt das Format, mit dem die Kanzlerin die Distanz zum Wahlvolk aufbrechen will. Eigentlich war damit schon im April Schluss. Aber Merkel hat Gefallen an der Idee gefunden. Für die 50 Jugendlichen in Berlin gibt es heute eine Zugabe.

Es sind nicht gerade Merkels Lieblingspositionen, die die Schüler da vorschlagen, aber die Kanzlerin nickt ab und lächelt charmant. Steuern auf Tropenholz, um die Urwälder zu schützen? Es gibt doch Tropenholzsiegel, antwortet die Kanzlerin. Statt Kroatien lieber an die Nordsee fahren, um den CO2-Ausschuss zu verknappen? Gute Idee, meint Merkel, aber manche Leute wollten eben lieber an die Sonne. Sie gibt den Schülern zwar das gute Gefühl, verstanden zu werden, aber inhaltlich bleibt sie hart. Immer wieder fragt sie, wer die ganzen Ideen zum Naturschutz bezahlen solle. Dann scherzt sie: "Wir haben ja die Tropenholzsteuer."

Merkel in Sprintlaune

Routiniert manövriert sich die Kanzlerin in ihrem beigen Blazer durch die Fragestunde. "Mhm", säuselt sie, wenn ihr ein Thema komisch vorkommt. "Das ist interessant." Es sind die gleichen Reflexe, die man auch schon aus den Bürgergesprächen kannte. Manchmal wirkt Merkel wie eine Lehrerin vor ihrer Klasse, die besonders daran interessiert ist, dass jeder Mal drankommt. Die Kanzlerin gefällt sich in ihrer Rolle als Moderatorin, die am Ende doch noch eine Lösung parat hat.

Aber immer wenn es interessant wird, reicht die Zeit nicht aus. Als ein Mädchen im Rollstuhl von ihren Erfahrungen erzählt, wirkt auch Merkel gespannt. Dann fordert das Mädchen mehr Interaktion von Jugendlichen mit und ohne Behinderung. "Das kann man ja mal anleiern", sagt Merkel. Und auf zur nächsten Frage.

Streckenweise hetzt Merkel durch ihre eigene Schülersprechstunde. Immer wieder fragt sie den Moderator, wie viel Zeit sie noch habe. "Noch 15 Minuten für zwei Themenblöcke", antwortet der. "Also noch 7,5 für jeden", sagt Merkel.

Dabei haben sich die Jugendlichen gut vorbereitet. Besonders die Themen Gleichheit und Gerechtigkeit liegen ihnen am Herzen. Ein türkisches Mädchen erzählt, dass es wegen seines Namens für ein Praktikum abgelehnt wurde. Fast alle Schüler mit Migrationshintergrund können an dem Punkt ähnliche Geschichten erzählen. Und gerade die Mädchen befürchten, schlechtere Chancen zu haben. Geschlossen fordern die Schüler deswegen anonyme Bewerbungen, wie es sie schon in anderen Ländern gibt.

Hier muss Merkel zunächst passen und wirkt wie die Ideenbox, die der Moderator der Sendung ständig erwähnt. Jeder kann da seine Vorschläge auch nach der Sendung einwerfen. Nur was dann damit passiert, weiß niemand.

Nach 90 Minuten und unzähligen Themenfeldern ist irgendwann Schluss. Kanzlerin Merkel blickt in zufriedene Gesichter. "Das war ein unvergessliches Ereignis", sagt der 16-jährige Mustafa Bensfia kurz nach der Diskussion. "Alles perfekt", meint auch Charlotte Fohr. Es klingt wie ein Beweis für die Antwort, die ein Schüler auf Merkels Frage nach Klischees über Deutschland gegeben hatte: "Hier ist alles so durchgeplant", hatte der Junge gesagt.

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