Kanzlerin als Führungskraft:Chefproblem Angela Merkel - ihre sieben Schwächen

Die Kanzlerin kämpft mit Rückschlägen und widerspenstigen Koalitionären. Ihr Job wäre es, damit klarzukommen - doch die Grundprinzipien guter Führung lässt sie vermissen. Eine Analyse.

Im Prinzip ist alles klar. Angela Merkel hat eine eindeutige Mehrheit. Bei der Bundestagswahl im September 2009 glaubten ihr die Deutschen, dass eine bürgerliche Koalition dem Land guttun würde. Ihre Union mit der FDP, das schien in den Augen des Publikums eine Ideal-Konstellation. Achteinhalb Monate nach dem Wahlausgang ist Kanzlerin Merkel mit ihrer schwarz-gelben Koalition in ärgster Not. "Aufhören!" bringt der Spiegel über das Pannen-Kabinett auf den Titel. Merkel, die Unglückliche, hat gleich sieben Mal gegen eherne Führungsprinzipien verstoßen. Als Chefin verdient sie sich deshalb die Note mangelhaft.

Angela Merkel

Ihre Öffentlichkeitsarbeit ist momentan noch optimierungsfähig: Kanzlerin Angela Merkel.

(Foto: dpa)

Erstens: Autorität

Die Theorie: Der Chef/die Chefin strahlt Überzeugungskraft aus und wirkt stets kompetent.

Die Realität: Angela Merkel ist eine Führungskraft, der immer weniger folgen.

Dass Mitarbeiter immer eigene Pläne, eigenen Ehrgeiz und ihre eigene Persönlichkeit haben - das alles ist logisch und eine Herausforderung, der sich jede Führungskraft stellen muss. Zuhören und abwarten hilft da nicht viel. Der Chef muss auch durchgreifen können. Und, noch wichtiger: Die Mitarbeiter müssen wissen, dass ihr Vorgesetzter die nötige Autorität hat, sie jederzeit zur Ordnung zu rufen. Sobald daran gezweifelt wird, wächst die Unruhe. Der Zusammenhalt bröckelt, die Basis zerbricht.

Das ist das Problem der Angela Merkel: Sie hat nur noch eine positionale Autorität, die quasi automatisch durch das Amt kommt. Ihre sachliche und ihre persönliche Autorität jedoch schrumpft gegen null.

Dass es im Rahmen der Sparklausur und der Gesundheitspolitik zu internen Reibereien kommen würde, war abzusehen. Eine gute Führungskraft hätte bereits im Vorfeld jedem einzelnen Mitarbeiter klarmachen müssen, was sie erwartet (volle Konzentration auf die Aufgaben) und was sie nicht dulden wird (wilde Beschimpfungen im eigenen Lager).

Das hat Merkel offenbar nicht nachdrücklich genug getan. Jedenfalls beschimpft sich die Truppe selbst mit Begriffen wie "Rumpelstilzchen", "Wildsau" und "Gurkentruppe". Die politische Agenda rückt in den Hintergrund, persönliche Querelen beherrschen die Öffentlichkeit.

Genau das ist das Problem, sagt Bruce Tulgan, Managementberater und Autor des Buches Einer muss der Chef sein. "Sie können die Konflikte erheblich verringern, indem Sie dafür sorgen, dass sich die Mitarbeiter auf ihre Arbeit konzentrieren", rät er Führungskräften. Wenn klare Ansagen nicht funktionieren, müssten Konsequenzen für die betreffenden Mitarbeiter folgen. Selbst CSU-Chef Horst Seehofer fordert in dieser Situation klärende Worte von der Chefin. Doch die Chefin badet gern lau und sagt höchstens, sie sei "nicht bereit zu akzeptieren", wie CSU und FDP derzeit miteinander redeten.

So schwach reagiert sie häufig. Als Außenminister Guido Westerwelle in der Hartz IV-Debatte beispielsweise von "spätrömischer Dekadenz" sprach, ließ Merkel verbreiten, das sei nicht der "Duktus der Kanzlerin". Seitdem hat sich wenig geändert im Unternehmen Bundesregierung. Angela Merkel ist eine Chefin ohne Autorität. Maria Holzmüller

Entscheidungen treffen

Zweitens: Entscheidungskraft

Westerwelle, Merkel, Seehofer

Die Kanzlerin mit Westerwelle und Seehofer: Merkel, die in Zeiten der großen Koalition noch für ihren moderierenden Führungsstil gelobt wurde, erscheint mit dem kleinen Partner FDP und in Zeiten der Krise als zögerlich.

(Foto: dpa)

Die Theorie: Der Chef/die Chefin wählt bei offenen Fragen beizeiten unter mehreren Möglichkeiten die sachgerechte aus.

Die Realität: Bei Angela Merkel wurde Zaudern und Zögern Regierungsprinzip.

Die vielleicht wichtigsten Entscheidungen der Kanzlerin in dieser Legislaturperiode waren die zur Rettung Griechenlands und des Euros. Immerhin ging es dabei um den Fortbestand der Währung und - so sagte es die Kanzlerin selbst - um "die größte Bewährungsprobe" Europas seit Jahrzehnten.

Was macht die Kanzlerin da? Sie tritt vor die Presse und vor das Parlament und verkündet, diese Entscheidungen seien "alternativlos" gewesen. Nun gehört zum Wesen einer Entscheidung, zwischen zwei oder mehreren Möglichkeiten zu wählen. Merkel aber erklärt eine Entscheidung dieser Tragweite zur Nichtentscheidung.

Für die konfliktscheue Kanzlerin mag diese Strategie attraktiv erscheinen: Eine "alternativlose Entscheidung", so die Ratio der Kanzlerin, kann nicht mal die Opposition in Frage stellen. Das Problem für Merkel: Die Opposition sieht das anders. Und bei den Menschen im Land, den von Merkel gern zitierten "Wählerinnen und Wählern", bei denen verfestigt sich ein ganz anderer Eindruck: Die Kanzlerin drückt sich vor Entscheidungen.

Merkel, die in Zeiten der großen Koalition noch für ihren moderierenden Führungsstil gelobt wurde, erscheint mit dem kleinen Partner FDP und in Zeiten der Krise als zaudernd und zögerlich.

Beispiel Steuersenkung. Als die FDP zu Beginn des Jahres darauf drängte, die Steuern endlich zu senken, erklärte Merkel: Natürlich, aber wir müssen erst die Steuerschätzung abwarten. Als die Steuerschätzung im Mai endlich da war, war auch diese Entscheidung "alternativlos" - denn selbst die FDP erkannte, dass es keinen Spielraum für Steuergeschenke gibt.

Beispiel Kopfpauschale. Merkel beobachtet wochenlang scheinbar unbeteiligt, wie sich CSU-Chef Seehofer und Gesundheitsminister Philipp Rösler an den Kragen gehen. Eine Lösung ist nicht in Sicht. Sie lässt die Dinge treiben, greift nicht ein, gibt nicht vor.

Beispiel Wehrpflicht. Verteidigungsminister Karl-Theodor zu Guttenberg schwadroniert über ein Ende der Wehrpflicht - und Merkel antwortet per Zeitungsinterview, wie wichtig und gut sie die Wehrpflicht findet, um im nächsten Satz zu erklären, dass sie dennoch nichts ausschließen kann. Orientierung? Fehlanzeige.

Bei der Sparklausur ließ Merkel die Minister hintereinander ihre Sparvorschläge machen. Alles wurde auseinandergenommen. Der Außenminister aber, immerhin ihr Vizekanzler, sah für sein Ressort keine Sparmöglichkeiten. Hinterher waren alle frustriert. Warum gab es nicht vorher einen begründeten Vorschlag fürs große Sparen?

Der Höhepunkt des Chefversagens ist, dass die Kanzlerin bei der Griechenland-Rettung sogar bei Entscheidungen gezögert hat, die sie später selbst "alternativlos" nannte. Wolfgang Jaschenksy

Verlässlichkeit

Opel- Spitzentreffen

Erst fuhr Angela Merkel Bundeswirtschaftsminister Rainer Brüderle in die Parade mit der Aussage, dass das letzte Wort in der Opel-Diskussion noch nicht gesprochen sei. War es dann aber doch.

(Foto: dpa)

Drittens: Verlässlichkeit

Die Theorie: Der Chef/die Chefin handelt nachvollziehbar. Eine Entscheidung baut auf der vorhergegangenen auf.

Die Realität: Niemand weiß, woran er bei Angela Merkel ist. Das Muster ihrer Entscheidungen ist der Reißverschluss.

Ein Grund für Angela Merkels hohe Zustimmungswerte in der Bevölkerung lag in dem Vertrauen, das die Bürger zu ihr haben. In der großen Koalition schien sie es zu sein, die schwarz-roten Streit geschlichtet und am Ende Lösungen präsentiert hat, mit denen alle halbwegs leben können. Sie hat den Leuten nicht zu viel versprochen, weil sie meist gar nichts versprach. Das kam gut an.

In ihrer Wunschkoalition aus Union und FDP scheint ihr jede Verlässlichkeit abhandengekommen zu sein. Erst erklärt sie, sie werde kein deutsches Steuergeld für die Rettung Griechenlands hergegeben und lässt sich dafür vom Boulevard als "eiserne Kanzlerin" feiern. Wenige Wochen später lässt sie ein Milliardenhilfsprogramm für Griechenland durch den Bundestag peitschen.

Erst erklärt sie den Bürgern, sie werde dafür sorgen, dass künftig mehr Netto vom Brutto bleibt - übrigens noch zu einem Zeitpunkt, als auch ihr längst hätte klar sein müssen, dass die Spielräume für Steuersenkungen nicht da sind. Dann aber kassiert sie am Tag nach der Landtagswahl in Nordrhein-Westfalen sämtliche Steuersenkungspläne ein. Jetzt müsse erst mal gespart werden.

Jüngstes Beispiel Opel: FDP-Wirtschaftsminister Rainer Brüderle erklärt Mitte der vorigen Woche, es werde keine Bürgerschaftshilfe des Bundes für den angeschlagenen Autobauer aus Rüsselsheim geben. Merkel grätscht wenige Stunden später dazwischen, da sei das letzte Wort noch nicht gesprochen. Und lädt die Ministerpräsidenten mit Opel-Standorten zum Krisengipfel ins Kanzleramt. Die halbe Republik rätselt, welchen Plan Merkel noch in der Hinterhand hat. Nach dem Gipfel ist klar: Keinen.

Erst Hoffnung machen, dann auf ganzer Linie enttäuschen. Im Moment scheint Merkel jedes Gespür fürs Volk verloren zu haben.

Ihr Stil ist, bei schwierigen Fragen alles offenzulassen, was Betroffene als Zustimmung empfinden könnten. Kommt es dann anders, sind sie düpiert. Düpiert wie zum Beispiel Horst Köhler, den Merkel zusammen mit FDP-Chef Guido Westerwelle frühzeitig zum Bundespräsidenten erhoben hat. Da galt Köhler noch als "Neoliberaler". Im Amt dann änderte der Präsident seine Meinung und wurde unbequem. Er verweigerte sogar die Unterschrift unter Gesetze und attackierte die "politische Klasse". So etwas mag Merkel nicht. Sie ließ Horst Köhler im Regen stehen. Der Nicht-Politiker, der auf Verlässlichkeit gesetzt hatte, trat zurück. Thorsten Denkler

Transparenz

Autorität Merkel

Die gemeinsame Linie fehlt: Angela Merkels Autorität reicht nicht aus, ihre Mitarbeiter hinter sich zu vereinen.

(Foto: dpa)

Viertens: Transparenz

Die Theorie: Die Kriterien, nach denen der Chef/die Chefin entscheidet, liegen offen zutage.

Die Realität: M wie Merkel, M aber auch wie Murks und Mauscheln.

Angela Merkels Chefverhalten beschädigt das Ansehen wichtiger Mitarbeiter. Ursula von der Leyen sah schon wie die sichere Bundespräsidentin aus. Medien wurden mit der Vorinformation versorgt, sie könne es werden. Und von der Leyen konnte sich in den Tagen der Kandidatensuche ihr Dauerlächeln kaum verkneifen. "Die Mutter der Nation", wie eine Boulevardzeitung schrieb, wartete quasi nur noch auf das offizielle Statement der Kanzlerin, um danach die Glückwünsche entgegenzunehmen.

Es sollte anders kommen. Merkel hatte sich schon längst auf Christian Wulff festgelegt und mit ihm geredet. Der andere Dauerlächler wurde der Kandidat von Schwarz-Gelb. Wie die Entscheidung Merkels zustande kam, weiß keiner so wirklich. Wieso Wulff? Wieso nicht von der Leyen? War es wirklich ihre Entscheidung? Oder beugte sie sich dem Druck ihrer Koalitionäre? - Selbst darüber gibt es Spekulationen. Und warum zog sie nicht ihren Freund Joachim Gauck ins Kalkül, auf den erst die Opposition kommen musste? Warum machte sie Ursula von der Leyen nicht klar, wo ihre Präferenzen lagen?

Die Kandidatensuche für den neuen Mann / die neue Frau auf Schloss Bellevue steht symbolhaft für einen Wesenszug der Kanzlerin. Nicht nur, dass ihre Entscheidungen bisweilen zu spät kommen. Die Menschen erfahren selten, wie diese Entscheidungen zustande kamen. Dabei wäre in diesem Punkt Transparenz eine Maßnahme, die der Kanzlerin das höchste Gut einbringen würde, das es für Politiker gibt: das Vertrauen der Bürger.

Bei der offiziellen Vorstellung Wulffs sagte Merkel Folgendes: "Christian Wulff ist ein Mensch, der immer neugierig auf Menschen ist, der Neues ausprobiert, der kreativ ist, der auf die Menschen zugeht. Und Christian Wulff ist gleichzeitig jemand, der einem Wertesystem verhaftet ist, das Orientierung gibt. Insofern halte ich ihn für einen wunderbaren zukünftigen Bundespräsidenten." Nach diesen Kritierien gäbe es ganz viele gute Bundespräsidenten. Ging es ihr nicht darum, mit Christian Wulff den letzten ernsthaften Rivalen um die Macht beiseitezubefördern?

Solange Merkel ihre Beweggründe verheimlicht und die Ursachenforschung den Journalisten und der Opposition überlässt, verpasst sie die Chance, ihre Wähler als das zu nehmen, was sie sind (oder bestenfalls sein sollten): mündige Bürger. Denn Bürger können mehr Wahrheit vertragen, als mancher Politiker glaubt. Nur wenn sie zur Unwissenheit verdammt sind, wenden sie sich ab. Nicht von Merkel, sondern von der ganzen Politik. Gökalp Babayigit

Kommunikation

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Hat sich wohl zu früh gefreut - und dann auch noch deutlich zu lang. Ursula von der Leyen soll erst sehr spät erfahren haben, dass sie von Merkel nicht für das Amt des Bundespräsidenten nominiert wurde.

(Foto: afp)

Fünftens: Kommunikation

Die Theorie: Der Chef/die Chefin liefert eindeutige Botschaften und bezieht nach außen klar Stellung.

Die Realität: Angela Merkel redet viel, ohne etwas zu sagen.

Nein, Angela Merkel kommuniziert nicht zu wenig. Niemand kann sagen, sie verstecke sich vor der Öffentlichkeit. Es gibt auf ihrer Bundeskanzlerin-Homepage sogar Fotoreihen und ein wöchentliches Video-Blog. Dort sagt sie brav Texte auf, die den Charme von Aktennotizen habe. Hier wurde Ende Mai angekündigt, dass Merkel die deutsche Fußball-Nationalelf im Trainingslager besucht, "um ihr Kraft, Glück und Erfolg zu wünschen". Davon kann man wirklich nie genug haben, auch als Kanzlerin nicht.

Das Problem ist eher, dass Form und Inhalt zueinander passen müssen. Es geht ja nicht darum, nur Plätze zu besetzen - man muss auch Themen, Ideen, Profil haben. Wenn die Kirche voll ist, erwartet die Gemeinde eine zünftige Predigt.

Angela Merkel aber bietet Sachanalysen einer Referatsleiterin, die ihre Karriere nicht gefährden will. Hat die Regierungschefin ein Problem, dann geht sie gerne in die Frankfurter Allgemeine, wo sie ja schon zur richtigen Zeit mit Helmut Kohl abgerechnet hat. In der derzeitigen Krise, die fast eher Regierungs- als Staatskrise ist, verbreitete sie in der vorigen Woche auf einer ganzen Seite Belanglosigkeiten. Ein typisches Statement zum internen Krach in ihrer Mannschaft und ob sie das akzeptiert: "Nein, aber ich sage ganz deutlich: Wer in dieser Form übereinander redet, muss sich nicht wundern, dass der Respekt von der Politik insgesamt immer weiter abnimmt. Ich bin nicht bereit, das zu akzeptieren." Aha, heißt das gelbe Karte für alle, die "Rumpelstilzchen" sagen?

Je kniffliger die Fragen, desto kürzer sind ihre Antworten. Gegen solche Interviews wie jetzt in der FAZ war einst selbst die TV-Reihe Zur Sache, Kanzler mit Kohl eine wahre Brunnenschöpfung. Kurzum: Kommunikativ ist Angela Merkel überall und nirgends. Man nimmt sie wahr, aber nicht ernst. Ein "Basta!" wirkt so konstruiert wie ein "Schau'n wir mal".

Auch die liberal-konservative Presse ihrer Freundin Friede Springer ist ihr abhandenkommen. Welt und Bild am Sonntag sprachen sich dezidiert für den Präsidentschaftskandidaten Joachim Gauck aus, den Mann der Opposition. "Yes, we Gauck", titelte BamS, und Merkel gab auch hier sofort ein nichtssagendes Interview. Eine Schlüsselaussage: "Ich rate uns allen, den notwendigen Respekt vor der Wahl des Bundespräsidenten aufzubringen ..."

Bekannt ist, dass sich Angela Merkel, die simsende Kanzlerin, in ihrem Misstrauen gegen Feinde hinter jeder Hecke besonders absichert. Regelmäßige Runden mit wichtigen Chefredakteuren und Journalisten im Kanzleramt gehören dazu. "Team Deutschland" (das war ihr Wahlkampfknüller) heißt bei ihr: "am", so wie ihr SMS-Kürzel lautet.

Der Förderung der Freundschaft mit wichtigen Meinungsmachern und Multiplikatoren diente auch die berühmte Geburtstagsrunde für Deutsche-Bank-Chef Ackermann im Kanzleramt. Merkels kommunikative Stärken liegen nun mal im persönlichen Gespräch. Öffentlichen Streit meidet sie. Deshalb trat sie im Wahlkampf 2009 nur einmal im Fernsehen auf, zusammen mit dem Merkel-kompatiblen Frank-Walter Steinmeier. Aus dem "Duell" wurde ein Duett. Ansonsten aber kniff die Kanzlerin. Sie hätte ja etwas Falsches sagen können.

Dass ihr langjähriger Regierungssprecher Ulrich Wilhelm geht und Intendant des Bayerischen Rundfunks wird, dürfte Merkels Kommunikations-Dilemma enorm vergrößern. Wilhelm hat das Schlimmste verhindert. Hans-Jürgen Jakobs

Personalentwicklung

Wulff legt Landtagsmandat nieder

Soll bald in Schloss Bellevue einziehen - und wäre der Kanzlerin damit nicht mehr gefährlich: Christian Wulff. 

(Foto: ddp)

Sechstens: Personalentwicklung

Die Theorie: Der gute Chef/die gute Chefin fordert nicht nur, er/sie fördert.

Die Realität: Angela Merkel schätzt weniger Talent als vielmehr Loyalität. Kritik unerwünscht, Widerspruch gefährlich.

In der Management-Theorie erkennt die gute Führungskraft Talente in seiner Umgebung und lässt diese wachsen. Er lässt seine Mitarbeiter Durchsetzungsfähigkeit entwickeln, indem er ihnen Verantwortung überträgt und regt sie zum Mitdenken an, indem er auch Kritik zulässt. Kompetenz steht bei ihm vor Loyalität. Nur so kann sich ein starkes Team mit fähigen Leuten entwickeln, die den Chef nach außen hin stützen und von denen - irgendwann - einer in der Lage ist, seine Nachfolge anzutreten.

Angela Merkel ist, was die Personalentwicklung betrifft, keine gute Chefin. Zwar erkennt sie Talente - wachsen lässt sie sie aber nur, solange sie kleiner bleiben als sie selbst. Zwar mag sie kompetente Mitarbeiter - doch um in ihrem Umfeld Karriere zu machen, müssen sie schon bedingungslos loyal zur Chefin sein.Wer das nicht ist, wird kaltgestellt.

Den offenen Konflikt mit Widersachern meidet Merkel seit ihrer wirkungsvollen Abgrenzung von Helmut Kohl, die das einzige Machtwort in ihrer Karriere war und das einzige, bei dem sie noch nicht richtig mächtig war.

Seitdem sie in der Post-Kohl-Ära erst zur Parteivorsitzenden und dann zur Kanzlerin aufgestiegen ist, steht sie nur noch am Ufer und wartet, bis die Leichen ihrer Gegner vorbeigeschwommen kommen. 2002 musste Friedrich Merz ihr im Amt des Fraktionsvorsitzenden Platz machen. Mit Merz verlor die CDU einen ihrer profiliertesten Finanzpolitiker und eine Integrationsfigur der Wirtschaftskonservativen.

Dem Bayern Edmund Stoiber ließ Merkel so lange den Vortritt, dass er es gar nicht merkte, als sie an ihm vorbeizog. Dann warf er blitzschnell seine Pläne, in Merkels Kabinett Superminister zu werden, über den Haufen - es war der Anfang vom Ende seiner politischen Karriere. Den baden-württembergischen Ministerpräsidenten Günther Oettinger lobte die Kanzlerin nach Brüssel weg, Jürgen Rüttgers kämpft in Nordrhein-Westfalen um sein politisches Überleben, Roland Koch warf den Bettel freiwillig hin.

Angela Merkel ist vor allem misstrauisch. Viele Top-Politiker in ihrer Partei haben Angst vor ihr. Kritik wird nur in vertrauten Zirkeln laut, und auch das bekommt die CDU-Chefin mit. Gnade Gott den Kritikern! "Man muss gute Leute auch halten können", sagte der niedersächsische Ministerpräsident Wulff, nachdem Koch seinen Rückzug angekündigt hatte.

Wenn Wulff ins Bundespräsidialamt abgeräumt wird, steht fest: Alle politischen Schwergewichte, die Merkel gefährlich werden konnten, sind kaltgestellt. Die, die bleiben - Ursula von der Leyen, Ronald Pofalla, Norbert Röttgen, Thomas de Maizière, Annette Schavan - gehören zu ihren engsten Vertrauten. Es ist kaum vorstellbar, dass sie zum offenen Konflikt mit Merkel bereit sind und unwahrscheinlich, dass sie die Chefin aus dem Amt putschen.

Innerhalb der CDU ist Merkel stärker denn je. Doch nach außen steht sie ganz alleine da. Barbara Vorsamer

Vision

Hochwasser bei Hitzacker, 2002

Wohin soll's gehen? Angela Merkel regiert ohne Überschrift - in welche Richtung die Kanzlerin steuert und wofür sie steht, weiß nicht einmal mehr ihre Partei.

(Foto: ddp)

Siebtens: Vision

Die Theorie: Der Chef/die Chefin steht für ein Ziel ein, das es zu erreichen gilt.

Die Realität: Die Regierung Angela Merkel steht nur für ein Ziel: Durchwursteln.

Wer beim Wandern kein Ziel hat, wird mit großer Wahrscheinlichkeit nie den Gipfel erreichen. Und ohne Vision kann kein Unternehmen der Welt auf Dauer erfolgreich bleiben.

Kein Wunder also, dass die großen Player der Wirtschaftswelt klar formulierte Vorsätze haben: Google will "die auf der Welt vorhandenen Informationen organisieren" und für alle Menschen nutzbar machen, Coca Cola möchte "die Welt erfrischen", weshalb man die Marke auch noch im hinterletzten Buschdorf findet. Greenpeace hat vor, die Lebensgrundlagen zu schützen. Und Deutschland? Weiß nicht so genau, in welche Richtung es sich bewegen soll. Zumindest erweckt die Kanzlerin den Eindruck, als hätte sie keine Ahnung, wo es hingehen soll auf ihrer Gipfeltour.

Wer ein guter Chef sein will, braucht eine Vision, die die Leute mitreißt. Er muss agieren statt zu reagieren. Und genau das fehlt Angela Merkel: Sie wartet ab, was die Welt so bringt. Sie verheddert sich in Verhandlungen und kann weniger denn je zuvor sagen, wofür sie eigentlich steht. Bildungsgipfel, Kopfpauschalen-Streit, Sparpläne, Griechenland-Krise, Euro-Rettung, Bundespräsidentschaftskandidat: Angela Merkel geht vollkommen unter in der Aktualität, das große Ganze ist ihr längst aus dem Blick geraten.

Vor einigen Jahren einmal hatte sie ein Programm. Das wurde auf dem Leipziger Parteitag der CDU verabschiedet und sah etliche gesellschaftliche Reformen vor. Vieles war kritikwürdig, aber es war ein Programm. Im Bundestagswahlkampf 2005 aber bekam Merkel mit, wie ihr Günstling Paul Kirchhof mit der Idee einer flat tax scheiterte: Steuerstätze runter, dafür mit allen Steuersubventionen weg, war das Leitmotiv. Gegenkanddiat Gerhard Schröder höhnte über den "Professor aus Heidelberg". Merkel hätte beinahe die Wahl verloren.

Seitdem ist die Leerformel das Standardelement der Merkel'schen Wegbeschreibungen. Ihre Strategie richtete sich nach Tageserfordernissen.

Nach der Nominierung von Christian Wulff warf die Grünen-Fraktionschefin Renate Künast der Kanzlerin dieses Manko in drastischen Worten vor: Merkel lasse "die Dinge aus reinem Machterhalt treiben", sie denke "immer nur an sich". Die Kanzlerin vertrete eine "Politik ohne Wertegerüst" und zerrütte damit die demokratischen Institutionen.

Damit hat Künast den kritischen Punkt der politischen Irrlichterei angesprochen: Es ist ja gerade der Vorteil von Demokratie, dass man die ganze Arbeit, die es macht, eine Gesellschaft zu organisieren und weiterzubringen, als Bürger delegieren kann. Nur möchte man dann diese große Aufgabe auch in guten Händen wissen. Das Vertrauen, dass Politiker das Land in eine gute Richtung führen, und zwar durch alle Stürme hindurch, ist wesentlich für den Erhalt der Demokratie.

Die aktuellen Stürme aber scheinen das Wertegerüst der Angela Merkel leider weggeweht zu haben. Dass nicht alles durchsetzbar ist, was sich die Kanzlerin wünscht, gehört zum Wesen der Demokratie. Wichtiger als Detailentscheidungen wäre für die Bürger das Gefühl, dass zumindest die Kanzlerin über alle tagesaktuellen Querelen hinweg den Überblick behält - und eben weiter denkt als bis zur Abendsonne. Sarina Pfauth

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