Geschichte der Kanzleramtschefs:In der Schaltstelle der Macht

Manche Kanzleramtschefs sahen sich als Hausmeister der Regierung, andere regierten in die Ministerien hinein. Heute will Peter Altmaier nebenbei auch noch das Wahlprogramm der CDU schreiben. Ein Überblick.

Von Robert Roßmann

Der "Chef BK", wie er im Jargon heißt, ist eine Art Hausmeister der Bundesregierung. Alles, was nicht läuft, muss der Kanzleramtschef regeln. Und das ist meistens ziemlich viel. Ein Regierungssprecher, der das aus der Nähe betrachten konnte, beschreibt den Job so: Spätabends sei der Schreibtisch des Kanzleramtschefs endlich leer - wenn der Minister am nächsten Morgen ins Büro komme, liege darauf "aber schon wieder ein Haufen Scheiße". Frank-Walter Steinmeier, der lange selbst an diesem Schreibtisch saß, hat deshalb bereits nach wenigen Wochen im Amt erklärt, ein Kanzleramtschef könne "nicht nebenbei" auch noch die "Programmatik der Partei schreiben". Womit man schon bei der Frage wäre, die gerade das politische Berlin beschäftigt: Was kann und darf ein Kanzleramtsminister?

Angela Merkel hat entschieden, dass Peter Altmaier, der aktuelle "Chef BK", auch noch das Wahlprogramm der CDU schreiben soll. Ihrem eigentlich zuständigen Generalsekretär traut sie das nicht mehr zu. Im Gegensatz zu Steinmeier sieht Altmaier darin kein Problem. Er hat selbst einmal den Witz gemacht, andere Minister würden von Akten gefressen, er stehe dagegen - auch wegen seiner Körperfülle - im Verdacht, die Akten zu fressen.

Frank-Walter Steinmeier trat erst nach sechs Jahren in der Bundespressekonferenz auf

Weil die Frage, was der Kanzleramtschef zu leisten vermag, aber nicht mit einem Witz abgetan werden kann, hat Altmaier angesichts der Kritik an seiner Doppelrolle beteuert, dass er in seiner gesamten Amtszeit jederzeit "handlungsfähig" gewesen sei - auch nachts, an Weihnachten oder am Wochenende. Um mit der Belastung besser umgehen zu können, hat er sich abgewöhnt, spätabends nach Terminen noch einmal übermüdet ins Kanzleramt zu fahren. Stattdessen geht er jetzt meistens direkt ins Bett und kommt dafür am Morgen noch früher, aber einigermaßen ausgeschlafen, ins Büro. Er glaubt, dadurch leistungsfähiger geworden zu sein.

Weil Altmaier eine robuste Konstitution besitzt und die eigentliche Arbeit wegen der zu Ende gehenden Legislaturperiode weniger wird, dürfte er es wohl tatsächlich schaffen, nebenbei auch noch ein Wahlprogramm für die CDU zu schreiben. Doch es geht ja nicht nur um das Zeitbudget, es geht auch um die Frage, ob ein Kanzleramtschef derart exponiert parteipolitisch und öffentlich agieren darf, wie es Altmaier nun tun soll.

Die meisten der 21 Kanzleramtschefs der Nachkriegsgeschichte, eine Chefin gab es noch nie, waren eher im Hintergrund arbeitende Beamte. Helmut Kohl hat die Anforderungen an den Kanzleramtschef einmal so beschrieben: "Er muss dienen können." Das heiße: "Nicht beim Aufstehen darüber nachdenken, wie komme ich heute in die Schlagzeilen, sondern beim Aufstehen darüber nachdenken, wie kommen wir nicht in die Schlagzeilen."

Steinmeier, dessen Vorbild Helmut Schmidts Kanzleramtschef Manfred Schüler war, sah das ähnlich. Als Steinmeier nach sechs Jahren im Amt das erste Mal in der Bundespressekonferenz auftrat, war das wegen seiner Zurückhaltung vorher eine Sensation. Steinmeier, Schüler und viele andere Kanzleramtschefs waren der Ansicht, dass zu viel Öffentlichkeit sie nur bei ihrer eigentlichen Arbeit, dem Schmieren des Regierungsräderwerks, behindern würde. Diese Einschätzung passte auch zum Status, den die Kanzleramtschefs lange hatten. Bis 1984 waren sie lediglich beamtete Staatssekretäre und keine Minister. Es gab nur zwei Ausnahmen.

Der erste Kanzleramtschef im Ministerrang war Ludger Westrick. 1963 als beamteter Staatssekretär ins Amt gekommen, hätte er 1964 wegen des Erreichens der Altersgrenze für Beamte aufhören müssen. Ludwig Erhard wollte ihn jedoch als Kanzleramtschef behalten - und machte ihn deshalb zum Minister. Die beiden Kanzleramtschefs von Erhards Nachfolger Kurt Georg Kiesinger, Werner Knieper und Karl Carstens, waren dann wieder Staatssekretäre.

Dass 1969 Horst Ehmke der zweite Kanzleramtschef im Ministerrang wurde, lag auch daran, dass er zuvor bereits als Justizminister im Kabinett saß, und der frisch gewählte Willy Brandt den stolzen Ehmke nicht degradieren wollte. Ehmke sah sich bemüßigt, die Macht seines Hauses deutlich zu erweitern. Er ließ einen Neubau des Kanzleramts planen, erhöhte die Mitarbeiterzahl in nur einem Jahr um fünfzig Prozent auf 389 (heute sind es etwa 620) und versuchte, das Ressortprinzip aufzuweichen.

Das Grundgesetz schreibt vor, dass innerhalb der vom Kanzler vorgegebenen Richtlinien jeder Minister "seinen Geschäftsbereich selbständig und unter eigener Verantwortung" leitet. Ehmke ernannte sich jedoch zum "Trainer der Bundesregierung", der in alle Ministerien hineinregieren wollte. Entsprechend unbeliebt machte er sich bei den Kabinettskollegen, die seinen Elan am Ende deutlich bremsten. 1972 wechselte Ehmke ins Forschungs- und Postministerium, sein Nachfolger im Kanzleramt, Horst Grabert, war wieder einfacher Staatssekretär.

Erst 1984 gab es mit der Ernennung Wolfgang Schäubles zum dritten Mal einen Minister im Kanzleramt. Helmut Kohl hatte nach der Wahl zum Bundeskanzler 1982 zunächst seinen langjährigen Vertrauten Waldemar Schreckenberger zum Amtschef gemacht. Doch der war überfordert und wurde nach zwei Jahren durch Schäuble ersetzt. Der machte aus dem Kanzleramt das, was bereits Ehmke angestrebt hatte: eine moderne Schaltstelle der Macht.

Seitdem sind alle Amtschefs auch Minister gewesen - mit einer Ausnahme. Steinmeier verzichtete auf den Titel, obwohl Gerhard Schröder ihm den Rang zugestanden hätte. Aus Steinmeiers Sicht passte der Status nicht zu seinem Verständnis von dem Amt. Steinmeier war der Ansicht, dass der Ministerrang zu viel Aufmerksamkeit, den Zwang zu öffentlichen Auftritten sowie Verpflichtungen gegenüber seiner Partei und den Medien nach sich ziehen würde. Sein Vorbild Manfred Schüler hatte ihm deshalb zu dem Verzicht geraten.

Steinmeier wollte sich damit aber auch von seinem Vorgänger Bodo Hombach absetzen. Hombach hatte im Kanzleramt so viel Wind gemacht wie seit Ehmke kein Hauschef mehr. Gerhard Schröder hatte sich - auch zur Überraschung Steinmeiers - nach seiner Wahl zum Kanzler 1998 nicht für Steinmeier, sondern für Hombach entschieden. Der hatte zwar keine adäquate Verwaltungserfahrung. Dafür traute Schröder Hombach zu, Oskar Lafontaine in dessen Superministerium für Finanzen und Wirtschaft im Zaum halten.

"Man schüttet kein schmutziges Wasser weg, solange man kein sauberes hat", meinte Adenauer wegen Globke

Für Steinmeier war die Entscheidung für Hombach eine Demütigung. "Als Schröder mir das sagte, war mir klar, dass ihm klar war, dass er eine Enttäuschung produziert", beschrieb der heutige Bundespräsident seine damalige Gemütslage. Hombach, der keine Kamera ausließ und sich eher als Ideen-Versprüher denn als Koordinator im Hintergrund sah, scheiterte jedoch grandios. 1999 wurde Steinmeier doch noch Kanzleramtschef - und für Schröder so wichtig wie Ehmke für Brandt, Schüler für Schmidt, Westrick für Erhard und Hans Globke für Konrad Adenauer.

Globke ist bis heute nicht nur der Kanzleramtschef mit der längsten Dienstzeit (1953 - 1963), sondern auch der umstrittenste. Er war im Dritten Reich unter anderem Mitverfasser des einflussreichsten Kommentars zum "Gesetz zum Schutz des deutschen Blutes und der deutschen Ehre". Adenauer kümmerte das jedoch nicht sonderlich, er verteidigte sein Festhalten an Beamten wie Globke sogar mit dem Satz: "Man schüttet kein schmutziges Wasser weg, solange man kein sauberes hat." Globke war der wohl bekannteste von Tausenden belasteter Beamter aus der NS-Zeit, die in der Bundesrepublik reibungslos weiterarbeiten konnten.

Und Peter Altmaier? Der ist nach Thomas de Maizière und Ronald Pofalla bereits der dritte Kanzleramtsminister in der Ära Merkel. De Maizière hielt es eher wie Steinmeier. Pofalla war vor seiner Zeit im Kanzleramt CDU-Generalsekretär, was man ihm im Amt nicht nur wegen seiner Streitbarkeit noch anmerkte. Legendär seine Attacke auf Wolfgang Bosbach ("Ich kann deine Fresse nicht mehr sehen"). Von Altmaier sind keine derartigen Ausbrüche bekannt. Im Gegensatz zu Steinmeier glaubt er aber, öffentliche Ausflüge in die Parteipolitik mit seinem Amt vereinbaren zu können.

Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: