Kanzleramt:Schulz und Merkel: Plötzlich Konkurrenten

Kanzleramt: Die Kanzlerin und der Kandidat kennen sich nicht nur von zahlreichen EU-Gipfeln.

Die Kanzlerin und der Kandidat kennen sich nicht nur von zahlreichen EU-Gipfeln.

(Foto: AFP)
  • Merkel und Schulz soll ein ähnlicher Humor verbinden, ihre bisherigen Begegnungen waren stets von Respekt und Interesse am Austausch geprägt.
  • Merkels und Schulz' Verständnis von Europa und seiner Bedeutung für Deutschland ähneln sich.
  • Trotzdem wird Schulz Merkel im Wahlkampf härter attackieren, Merkel wird kühl kontern.

Von Nico Fried

An diesem Wochenende hält Martin Schulz seine erste Rede als Kanzlerkandidat der SPD. Schulz, der zuletzt oft als unbeschriebenes Blatt bezeichnet wurde, will seine Kandidatur mit innenpolitischem Inhalt füllen. Ihr sollt mich mal kennenlernen, wird seine Devise sein. Vielen Deutschen ist Schulz tatsächlich noch eher unbekannt, für eine Deutsche aber gilt das nicht: Angela Merkel.

Erst vor wenigen Monaten trafen sich Merkel und Schulz im Kanzleramt. Sie redeten über Politik, aber latent ging es schon um ein bisschen mehr: Die Begegnung fand zu einer Zeit statt, als Merkel noch nicht entschieden hatte, ob sie wieder antreten würde, Schulz aber schon als Kanzlerkandidat gehandelt wurde. Da beschnupperten sich zwei potenzielle Konkurrenten.

Man unterhielt sich über Europa, aber auch über Persönliches. Dass sie ähnlicher Humor verbindet, der Selbstironie und Freude an der Imitation von Kollegen einschließt, war beiden schon länger bewusst. Beide sind an Geschichte interessiert. Merkel lud zu ihrem 60. Geburtstag den Historiker Jürgen Osterhammel als Redner ein, dessen zuvor erschienenen 900-Seiten-Wälzer sie komplett gelesen hatte.

Schulz kann aus dem Stegreif und unterhaltsam die Geschichte seiner Heimatregion seit Ludwig dem Deutschen im Jahre 870 erzählen. Nach ihrer Begegnung im Kanzleramt sollen Merkel und Schulz auseinandergegangen sein im entspannten Einvernehmen, dass beide im Leben schon mehr erreicht haben, als ihnen in die Wiege gelegt war - und alles, was noch käme, eine schöne Zugabe sei.

Jetzt tritt Schulz tatsächlich gegen Merkel an. Die Kanzlerin und der Kandidat kennen sich nicht nur von zahlreichen EU-Gipfeln. Schulz war auch wiederholt Gastgeber Merkels im Europäischen Parlament. Im November 2012, als sich die Kanzlerin wegen ihrer Griechenland-Politik heftigen Angriffen von mehreren Abgeordneten ausgesetzt sah, gebärdete sich Schulz eher zurückhaltend, obwohl er in der Euro-Krise auch anders tickte als Merkel.

Die beiden sprachen so lange, dass Schulz seinen Linienflug verpasste

Er sah den harten Sparkurs für Krisenstaaten kritisch, vermied aber - anders als Sigmar Gabriel im Zuge seines Rücktritts - einseitige Schuldzuweisungen an Merkel und verwies darauf, dass die Entscheidungen der Staats- und Regierungschefs stets einstimmig fielen. Der Parlamentspräsident, dem manche nachsagen, sein Französisch klinge besser als sein Deutsch, lobte am Ende von Merkels Visite höflich ihre Versuche, einige Grußworte auf Französisch zu radebrechen.

2014 besuchten beide Präsident François Hollande in Paris, um die deutsch-französische Initiative gegen Jugendarbeitslosigkeit in Europa voranzutreiben. Der Termin dauerte so lange, dass Schulz seinen Linienflug verpasste. Merkel bot ihm an, in der Regierungsmaschine mit nach Berlin zu fliegen. Schulz nahm an. Auf seine Initiative kamen Merkel, Hollande und er zudem zu vertraulichen Dreier-Treffen in Straßburg zusammen.

Schulz wiederum kennt das Kanzleramt nicht nur aus den Zeiten Gerhard Schröders, sondern auch von mehreren Besuchen bei Merkel. Meistens ging es um Europa, Schulz verstand sich als Mittler zwischen den Interessen sozialdemokratischer Regierungen und der Kanzlerin. Nicht immer wurde man sich einig, aber an Respekt fehlte es nie. Schulz schätzt an Merkel den unkomplizierten Zugang, meist per kurzer SMS, und ihre Verbindlichkeit. Wenn er in Verdacht gerät, sich mit Merkel besser zu verstehen als mit manchem Sozialdemokraten, widerspricht er: Respekt vor einer Regierungsvertreterin dürfe man nicht verwechseln mit persönlicher Sympathie.

Merkels und Schulz' Verständnis von Europa und seiner Bedeutung für Deutschland ähneln sich. Die Wurzeln dafür liegen näher beieinander, als man vermuten würde. Die Ostdeutsche Merkel wurde in der CDU vom Erbe Konrad Adenauers und vom persönlichen Erleben Helmut Kohls geprägt. Schulz wuchs tief im Westen auf und erfuhr in der Grenzregion zwischen Deutschland, Belgien und den Niederlanden Europa als Alltag. Seine Mutter war Gründerin der CDU in Würselen - eine Abstammung, die Schulz beim Besuch eines Adenauer-Museums später mehr Achtung zuteilwerden ließ als sein damals schon respektabler Status als sozialdemokratischer Europapolitiker.

Schulz wird Merkel härter attackieren, als es Frank-Walter Steinmeier und Peer Steinbrück, ihre früheren Konkurrenten ums Kanzleramt, getan haben. Aber nicht respektlos. Die Kanzlerin wird sich bemühen, die Attacken sachlich kühl zu kontern. Sie hat bei Helmut Kohl und Gerhard Schröder aus nächster Nähe erlebt, dass bei Wahlen in Deutschland in der Regel nicht der Herausforderer gewählt, sondern der Amtsinhaber abgewählt wird. Gefährlicher als der Rivale Schulz von der SPD wäre für Merkel deshalb ein Gegner namens Verdruss in der Bevölkerung.

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