Kandidaten-Poker in Brüssel:EU-Parlament attackiert drei neue Kommissare

Zwischen den Fraktionen im EU-Parlament ist ein heftiger Streit über die Besetzung der künftigen EU-Kommission ausgebrochen. Erst erntete Kandidat Rocco Buttiglione wegen seiner Einstellung zu Homosexuellen eine Ablehnung, jetzt sind zwei weitere Anwärter massiver Kritik ausgesetzt.

Von Christian Wernicke und Christiane Kohl

Der zuständige Industrie-Ausschuss des Parlaments bemängelte, dem ungarischen Sozialisten Laszlo Kovacs fehle "das professionelle Wissen und die Expertise" für das Amt des Energiekommissars. Gefährdet ist auch die Lettin Ingrida Udre, der in ihrer Heimat die Verwicklung in einen Korruptionsskandal vorgeworfen wird.

Abgeordnete aller Fraktionen verlangten vom künftigen Kommissionschef Jose Manuel Barroso, Zweifel an der Integrität von Brüssels designierter Kommissarin für Steuerpolitik schnellstens auszuräumen. "Herr Barroso muss sich für Frau Udre verbürgen", sagte die grüne Abgeordnete Heide Rühle der Süddeutschen Zeitung. Dies müsse geschehen, noch ehe das Straßburger Parlament am 27. Oktober das Kollegium der 25 Kommissare billigen soll.

Udre und Kovacs hatten bei ihren Anhörungen vor Fachausschüssen des Parlaments einen schwachen Eindruck hinterlassen. Frau Udre habe auf Fragen zu Skandalen in Lettland nur ausweichend geantwortet, kritisierten Abgeordnete. In einer schriftlichen Stellungnahme des Ausschusses heißt es, Barroso müsse diese Vorwürfe "vollständig untersuchen" und dem Parlament "rechtzeitig Bericht erstatten". Udre, Mitglied der lettischen "Bauernunion", wird in Brüssel den europäischen Liberalen zugerechnet.

Im Fall Kovacs setzten konservative Abgeordnete mit Zustimmung ihrer liberalen, grünen und linken Kollegen durch, die ursprünglich geplante Billigung des sozialistischen Politikers zu verweigern. Abgeordnete räumten ein, dies sei "ein Manöver", um im Streit zwischen den Fraktionen "mehr Verhandlungsmasse zum Schutz von Buttiglione" zu gewinnen.

Empörung über Buttigliones Ansichten

Am Mittwoch treffen sich die Fraktionsvorsitzenden, um eine Bewertung der neuen Kommission zu erarbeiten. Ziel ist offenbar eine Absprache, nach der Christdemokraten, Sozialisten und Liberale zum Schutz eigener Kandidaten ihre Kritik an Bewerbern aus anderen Parteifamilien mäßigen sollen. Gelingt dies nicht, droht der Streit um die Barroso-Kommission zu eskalieren.

Eine Kommissionssprecherin erklärte am Dienstag, "sämtliche Kandidaten einschließlich Herrn Buttiglione" genössen weiterhin das Vertrauen Barrosos. Für die Sozialisten verlangte der österreichische Abgeordnete Hannes Swoboda, Barroso müsse dem Buttiglione die Zuständigkeiten für Fragen der Gleichstellung von Frauen oder der Nicht-Diskriminierung etwa von Homosexuellen entziehen: "Sonst muss Barroso mit sehr vielen Gegenstimmen rechnen".

Bei seiner Anhörung hatte Buttiglione erklärt, seiner Meinung nach sei "Homosexualität eine Sünde". Er lehne jedoch jede Diskriminierung ab. Empört hatten Abgeordnete auf die Erklärung des Katholiken reagiert, die Ehe sei ein Mittel, "um Frauen zu erlauben, Kinder zu haben und den Schutz des Mannes zu genießen".

"Keine weise Entscheidung"

In Italien wurde das negative Brüsseler Votum gegen Buttiglione eher als Affront gegen den Katholizismus gewertet denn als Schlag gegen die Regierung. Eine "Frucht einer religiösen Diskriminierung" hatte Buttiglione selbst seine Ablehnung bezeichnet.

Italiens Premierminister Silvio Berlusconi malte bereits die Gefahr eines europäischen Institutionenkonflikts an die Wand: Schließlich werde hier die "Meinungs- und Gewissensfreiheit eines EU-Kommissars katholischer Prägung" in Frage gestellt. Ein Sprecher des rechtsgerichteten Regierungspartners Nationale Allianz sah gar "die Ausweisung" des Katholizismus aus der europäischen Politik auf der Tagesordnung.

Sogar die Opposition zeigte sich zurückhaltend. "Buttiglione muss für Berlusconi bezahlen" sagte etwa ein Sprecher der liberalen Margeriten-Partei. Massimo Cacciari, einst Bürgermeister von Venedig und Professorenkollege von Buttiglione im Fach Philosophie, äußerte gar Mitgefühl für den Christdemokraten: Was in Brüssel vorgefallen sei, so Cacciari, sei wohl "keine weise Entscheidung". Allgemein wurden Buttigliones Äußerungen für nicht besonders gravierend gehalten. Tatsächlich gibt es im italienischen Regierungslager Politiker, die schon weit Schlimmeres geäußert haben.

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