Parlamentswahlen:Warum viele Kanadier genug von ihrem Premier haben

Parlamentswahlen: Verliert zunehmend den Rückhalt in der Bevölkerung: der kanadische Premierminister Stephen Harper

Verliert zunehmend den Rückhalt in der Bevölkerung: der kanadische Premierminister Stephen Harper

(Foto: AP)
  • Kanadas Premierminister Harper bewirbt sich zum vierten Mal um das Mandat des Regierungschefs.
  • Umfragen zeigen, dass viele Kanadier nach fast zehn Jahren genug von dem konservativen 56-Jährigen haben.

Von Bernadette Calonego, Vancouver

Hanna Daber hat ihre Stimme bereits in ihrem Wahllokal in Vancouver East frühzeitig abgegeben. An diesem Montag wählt Kanada ein neues Parlament - und wenn es nach Hanna Daber geht, hoffentlich eine neue Regierung. "Alles ist besser als nochmals vier Jahre mit Stephen Harper", sagt die 43-jährige Webdesignerin. Sie drückt damit eine Meinung aus, die man oft von Leuten in den langen Schlangen vor Vancouvers Stimmlokalen hören kann.

Der Konservative Stephen Harper, der im Jahr 2006 erstmals zum Premierminister gewählt wurde, bewirbt sich zum vierten Mal um das Mandat des Regierungschefs. Aber Umfragen zeigen, dass viele Kanadier nach fast zehn Jahren genug von dem 56-jährigen Politiker haben. Harpers Versprechen einer kanadischen "Energiesupermacht" liegt in Scherben: Der dramatische Fall der Erdölpreise und die einseitige Abhängigkeit von Rohstoffen haben das Land an den Rand einer Rezession gebracht. Um die angeschlagene Wirtschaft und den Kampf gegen Terrorismus drehten sich viele Debatten im elfwöchigen Wahlkampf.

Konservative liegen hinter den Liberalen

Doch die größten Kontroversen entfachten sich an der Person Harper, den immer mehr Kanadier als einen auf die Interessen seiner Konservativen Partei versessenen Autokraten empfinden. Sie wünschen sich einen Wechsel, ein neues Gesicht an der Spitze des Landes. In Wählerumfragen liegen Harpers Konservative im Rennen um die 330 Parlamentssitze einige Prozentpunkte hinter der Liberalen Partei zurück.

Das ist überraschend, denn die Liberalen waren vor vier Jahren mit nur 34 der damals 308 Parlamentssitze die klaren Wahlverlierer gewesen. Die Konservativen dagegen hatten 166 Sitze mit nur 39,6 Prozent der Stimmen erhalten, da Kanadas Parlament nach dem Mehrheitswahlrecht gewählt wird. Die Zahl der Wahlkreise gibt den Ausschlag. Die linke Neue Demokratische Partei (NDP), die offizielle Opposition im Parlament, ist auf den dritten Platz zurückgefallen.

Derzeit hat der Vorsitzende der Liberalen Partei, der 43-jährige Justin Trudeau, eine realistische Chance, der zweitjüngste Premier Kanadas zu werden. Der frühere Theater- und Snowboardlehrer ist der Sohn des verstorbenen liberalen Ex-Premiers Pierre Elliott Trudeau, der Kanada 15 Jahre lang regierte. In aggressiven Fernsehspots versuchte Harper, Justin Trudeau als unerfahrenen grünen Jungen hinzustellen. Aber während des Wahlkampfes gewann Trudeau an Statur. Sein Charisma, seine Zugänglichkeit, Selbstsicherheit und jugendliche Sportlichkeit wirken auf viele Kanadier wie ein frischer Wind in der Politik. Trudeau will sich für den Mittelstand einsetzen und Milliarden investieren, um Arbeitsplätze und Infrastruktur zu schaffen. Dafür nimmt er auch ein Defizit in Kauf.

Mahnung zur Vorsicht

Auch Richard Johnston, Politikforscher an der Universität UBC in Vancouver, hält eine liberale Minderheitsregierung für gut möglich. "Das Verlangen, die derzeitige Regierung abzuwählen, ist stärker als in anderen Wahlen", sagt er, mahnt aber zu Vorsicht bei Prognosen: "Mit dem Mehrheitswahlrecht muss eine Partei nicht sonderlich beliebt sein, um sich an der Macht zu halten."

Sonderlich beliebt war Harper nie. Seine Geringschätzung demokratischer Prozesse haben Kanada polarisiert. Zweimal ließ er den Parlamentsbetrieb in Ottawa für mehrere Wochen einstellen, um heikle Debatten zu vermeiden - ein Schritt, den namhafte Politexperten als illegal verurteilten. Mehrmals weigerte er sich widerrechtlich, dem Parlament wichtige Dokumente vorzulegen oder umstrittene Kosten offenzulegen. Harpers Regierung verbarg zum Beispiel vor der Öffentlichkeit, dass neue F-35-Kampfflugzeuge fast sieben Milliarden Euro mehr kosten würden, als offiziell bekannt. Harpers Gegner prangern auch seine Missachtung des Umweltschutzes an: Er stieg 2011 aus dem Klimaschutzabkommen von Kyoto aus und hob den gesetzlichen Naturschutz fast aller Seen und Flüsse auf.

Harpers kontroverses Anti-Terror-Gesetz

Wissenschaftern, die für die Regierung arbeiteten, wurden Presseinterviews ohne Absprache mit dem Büro des Premiers verboten. Die Redefreiheit von Diplomaten wurde ebenfalls eingeschränkt: Jegliche Kommunikation muss nun von oben genehmigt werden. Harper schaffte trotz heftiger Proteste das Melderegister für Feuerwaffen ab. Kontrovers ist vor allem sein neues Anti-Terror-Gesetz, das bürgerliche Freiheiten einschränkt und mit dem beispielsweise auch Umweltschützer oder indianische Demonstranten verhaftet werden könnten.

In der Endphase des Wahlkampfes kündigte der Regierungschef seine Absicht an, muslimischen Kanadierinnen zu verbieten, ihr Gesicht während der Einbürgerungsfeier zu verschleiern. Die Konservativen hofften, mit solchen Äußerungen in der größten Provinz Québec, in der religiöse Symbole in der Öffentlichkeit umstritten sind, mehr Stimmen zu gewinnen. Justin Trudeau wirft Harper eine "Politik der Angst" vor, mit der er Kanadier gegeneinander ausspiele. Selbst der konservative Kolumnist Matt Guerney beschrieb Harpers Regierung in der National Post als "engherzig, arrogant und unnahbar".

Falls Harper die Wahlen dennoch gewinnen sollte, will Hanna Daber nicht mehr in Kanada leben: "Nach Island auswandern wäre eine gute Option."

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