Kampf gegen Isis:Wichtigste irakische Raffinerie laut Armee wieder unter Kontrolle

Einen Tag nach heftigen Kämpfen zwischen Regierungstruppen und Dschihadisten bleibt die Lage an der größten Ölraffinerie des Iraks unübersichtlich. Laut offiziellen Angaben erlangte das Militär wieder die Kontrolle über die Anlage.

  • Militär: Wichtigste irakische Ölraffinerie wieder unter Kontrolle
  • Kerry geht auf Distanz zu al-Maliki
  • Erdogan: Im Irak tobt Glaubenskrieg
  • Allawi für Regierung der nationalen Einheit
  • Petraeus warnt vor Eingreifen der USA

Militär: Wichtigste irakische Ölraffinerie wieder unter Kontrolle

Aus der umkämpften Ölraffinerie im irakischen Baidschi sind nach Angaben von Augenzeugen während einer Feuerpause alle noch verbliebenen Arbeiter evakuiert worden. Örtliche Scheichs hätten die kurze Waffenruhe zwischen den Kämpfern der radikalislamischen Gruppe Islamischer Staat im Irak und in Großsyrien (Isis) und Regierungstruppen vermittelt, berichtete einer der Arbeiter. Die letzten 250 bis 300 der ursprünglich 15 800 Angestellten in der größten Raffinerie des Landes seien zu Bussen eskortiert worden. Isis war vergangene Woche nach der Eroberung von Mossul auf Baidschi vorgerückt und hatte Stellungen außerhalb der Raffinerie bezogen.

Die Lage auf der ausgedehnten Anlage 200 Kilometer nördlich der Stadt Tikrit ist auch am Donnerstag unübersichtlich. Über der Raffinerie stiegen nach Bildern des Senders Al-Arabija Rauchwolken auf. Auf einem der Gebäude war die schwarze Flagge der Isis gehisst. Arbeiter berichteten, die Isis-Kämpfer hätten den größten Teil des Komplexes unter ihre Kontrolle gebracht. Demnach sollen regierungstreue Truppen nur noch rund um das Kontrollzentrum der Raffinerie konzentriert sein.

Der für Sicherheitsfragen zuständige Regierungssprecher, General Kassem Atta, sagte seinerseits im Staatsfernsehen, der Angriff sei zurückgeschlagen worden und die ganze Raffinerie unter Kontrolle der Armee. Bei den Gefechten sei auch die irakische Luftwaffe eingesetzt worden, hieß es weiter in Bagdad.

Baidschi rund 200 Kilometer nördlich von Bagdad ist strategisch bedeutend. Dort ist neben der wichtigen Raffinerie - von der viele Tankstellen des Landes den Treibstoff bekommen - auch ein Elektrizitätswerk, von dem aus die Hauptstadt mit Strom versorgt wird.

Kerry geht auf Distanz zu al-Maliki

US-Außenminister John Kerry ist auf Distanz zum irakischen Regierungschef Nuri al-Maliki gegangen. Washington versuche in der gegenwärtigen Krise, allen Irakern zu helfen, "es geht hier nicht um al-Maliki", sagte Kerry in einem am Donnerstag ausgestrahlten Interview des Fernsehsenders NBC.

Derzeit verschärft sich die Kritik aus den USA an dem schiitischen Regierungschef. US-Vizepräsident Joe Biden forderte in Telefonaten mit al-Maliki, Parlamentspräsident Osama al-Nudschaifi sowie dem Präsidenten der Kurden-Region, Masud Barsani, eine bessere Koordinierung der Sicherheitsfragen sowie die rasche Bildung einer neuen Regierung. Biden forderte laut dem Weißen Haus von Mittwoch insbesondere al-Maliki auf, alle Bevölkerungsgruppen einzubinden, "die Stabilität und Einheit in der irakischen Bevölkerung zu fördern und die legitimen Bedürfnisse der verschiedenen irakischen Volksgruppen zu berücksichtigen".

Auch US-Generalstabschef Martin Dempsey machte den Umgang der irakischen Regierung mit der sunnitischen Minderheit für das Erstarken der Islamisten verantwortlich. Die Führung um al-Maliki habe die Iraker "im Stich gelassen", sagte Dempsey bei einer Anhörung im Senat.

Erdogan: Glaubenskrieg zwischen Sunniten und Schiiten

Im Irak tobt nach Ansicht des türkischen Ministerpräsidenten Recep Tayyip Erdogan ein innerislamischer Glaubenskrieg. Der Konflikt im Nachbarland sei nicht mehr auf eine Auseinandersetzung zwischen der sunnitischen Dschihadistengruppe Isis und der irakischen Armee beschränkt, sagte Erdogan am Donnerstag vor Journalisten in Ankara. Es handele sich um einen "regelrechten Krieg zwischen den Konfessionen" der Schiiten und Sunniten, sagte er. Zugleich kündigte Erdogan die Entsendung von Hilfsgütern für Turkmenen im Irak an.

Erdogan betonte in der live vom Fernsehen übertragenen Pressekonferenz vor einer Reise nach Österreich und Frankreich, kein Muslim dürfe einen anderen im Namen Gottes töten. Seine Regierung bemühe sich weiter um die Freilassung von rund 80 Türken, die vergangene Woche von Isis-Kämpfern im Norden des Irak entführt worden waren. Berichte über die Entführung weiterer 15 Türken im Irak dementierte er. Isis-Kämpfer hatten in den vergangenen Tagen die nordirakische Stadt Tal Afar eingenommen, in der viele Turkmenen leben, eine Minderheit mit Verbindungen zur Türkei. Erdogan sagte, viele Turkmenen seien auf der Flucht in das kurdische Autonomiegebiet im Nordirak, das als relativ sicher gilt. Das türkische Amt für Katastrophenschutz schicke 20.000 Zelte in die Region, um den Flüchtlingen ein Dach über dem Kopf zu sichern.

Unterdessen meldete die türkische Tageszeitung Taraf, Isis-Kämpfer nähmen auch die Türkei ins Visier. Dies gehe aus Material hervor, das Anfang des Jahres bei mutmaßlichen Isis-Mitgliedern im Osten der Türkei gefunden worden sei. Medienberichten zufolge haben sich 2000 bis 3000 türkische Staatsbürger den Extremisten angeschlossen.

Allawi schlägt Regierung der nationalen Einheit vor

Der frühere irakische Übergangsregierungschef Ijad Allawi fordert angesichts der Bedrohung des Landes eine Regierung der nationalen Einheit. Wie die Nachrichtenagentur Iraq Press unter Berufung auf eine Mitteilung des schiitischen Politikers berichtete, rief Allawi die Führer aller irakischen Blöcke zu einem Spitzentreffen auf, um an einem sicheren Ort einen Dialog zu führen und gemeinsam einen Fahrplan aus der Krise zu erarbeiten.

Grundlage dafür sei eine Politik der nationalen Versöhnung und eine Umstrukturierung nationaler Institutionen, betonte er demnach. Eine Einheitsregierung müsse aus politischen Führern wie aus Technokraten bestehen. Am Spitzentreffen sollten neben den bisherigen Regierungsvertretern auch Parlamentarier anderer Lager, Geistliche sowie kurdische Politiker teilnehmen. Er schlug vor, dass auch ein Repräsentant der Vereinten Nationen anwesend sein sollte.

Petraeus: USA sollten nicht Luftwaffe für schiitische Milizen sein

Der frühere Oberkommandeur der US-Streitkräfte im Irak, General David Petraeus, hat sich gegen jegliche militärische Intervention Washingtons in dem Land ausgesprochen. Die USA drohten "zur Luftwaffe für schiitische Milizen" zu werden, sollten sie der Bitte des schiitischen Ministerpräsidenten Nuri al-Maliki nach Unterstützung im Kampf gegen Isis stattgeben, warnte Petraeus. Auch der frühere Direktor des Auslandsgeheimdiensts CIA forderte die Bildung einer Regierung unter Einschluss aller Volksgruppen: "Wenn es Unterstützung für den Irak geben soll, muss es Unterstützung für eine Regierung sein, die eine Regierung des ganzen Volkes ist und alle Elemente des Irak vertritt."

Der General hatte sich während seines Einsatzes in der nordirakischen Stadt Mossul nach dem US-Einmarsch 2003 für die stärkere Einbindung der sunnitischen Minderheit in der Politik und den Sicherheitskräften eingesetzt. Die Sunniten, die bis zum Sturz von Machthaber Saddam Hussein stets die Regierung anführten, klagen seit Jahren über Benachteiligung. Sunnitische Politiker und Stammesführer hatten vergangenes Jahr in mehreren Städten Protestlager errichtet, um gegen eine Politik zu protestieren, die sie als Verfolgung und Ausgrenzung ihrer Volksgruppe empfinden. Die Lager wurden von der Regierung gewaltsam geräumt. Die Isis-Kämpfer werden nun bei ihrem Vormarsch auf die Hauptstadt Bagdad auch von gemäßigten Sunniten unterstützt.

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