Kampf gegen Fremdenfeindlichkeit:Was Merkel von Kohl lernen könnte

BUNDESTAG KOHL MERKEL

Die CDU-Vorsitzende Angela Merkel mit Alt-Bundeskanzler Helmut Kohl im Jahr 2000

(Foto: DPA)

Drei Tage dominieren die Krawalle in Heidenau die Schlagzeilen. Nun hat Angela Merkel klar und deutlich reagiert - viel zu spät.

Von Oliver Das Gupta

Endlich. Angela Merkel hat sich zur Gewalt gegen Flüchtlinge und Asylbewerberunterkünfte klar und deutlich geäußert. Sie verurteile die gewalttätigen Ausschreitungen "aufs Schärfste". Diese seien abstoßend und beschämend und in keiner Weise akzeptabel, sagte sie in Berlin.

Bis dahin kamen von der Regierungschefin viel zu zahme Worte. Mitte August sagte sie im ZDF-Sommerinterview mit Blick auf die fremdenfeindlichen Anschläge: Es gebe für die Taten keine Rechtfertigung und sie seien "unseres Landes nicht würdig" (das ZDF verkaufte diese Äußerungen als "Klartext" und wurde dafür nicht nur von Til Schweiger harsch kritisiert).

In den letzten Tagen schwoll der Chor derjenigen an, die von der Kanzlerin klare Kante forderten, zuletzt auch lautstark der Koalitionspartner SPD. Die Münchner Abendzeitung druckte heute sogar unter der Überschrift "Und das sagt die Bundeskanzlerin" eine freie Fläche - als Zeichen für Merkels Sprachlosigkeit.

Es ist wahrlich kein gutes Polit-Management, das die Kanzlerin da die letzten Tage gezeigt hat. Wie uncouragiert und ungeschickt die CDU-Chefin agiert, zeigt der Blick auf den Mann, dem sie ihre Karriere zu verdanken hat: Helmut Kohl. In dessen Amtszeit fielen die Ausschreitungen von Hoyerswerda (1991) und Rostock-Lichtenhagen (1992) sowie Anschläge auf Ausländer wie in Mölln (1992) und Solingen (1993).

Kohl und seine CDU wurden schon seit Ende der achtziger Jahre von der Schwesterpartei CSU zu einem harten Kurs in der Asylpolitik getrieben, die später in der Einschränkung des Asylrechts münden sollte. Nach der Euphorie der Wiedervereinigung kippte die Stimmung - und die Asyldebatte wurde auch durch mediales Zutun drastisch verschärft. Es folgte eine Welle ausländerfeindlicher Anschläge und Krawalle.

Kohl verurteilte die Ausschreitungen als "schändlich"

Im August 1992 kam es in Rostock zu schweren Ausschreitungen vor einer Aufnahmestelle für Asylbewerber sowie einem Wohnheim für frühere Vertragsarbeiter aus Vietnam. Mehrere Tage lang tobten Rechtsextreme, Tausende Einheimische schauten zu und spendeten Beifall, die Polizeileitung und Landespolitik versagte (hier mehr dazu).

Bundeskanzler Helmut Kohl plapperte einerseits das Märchen seiner Parteifreunde aus Mecklenburg-Vorpommern nach, wonach die Stasi den Aufruhr inszeniert hätte. Andererseits verurteilte er die Krawalle - noch während sie sich abspielten - klar und deutlich dort, wo man vor dem Internetzeitalter die meisten Menschen erreichen konnte: in der Tagesschau. "Was wird dort erlebt haben, ist schändlich", sagte Kohl. "Jede Form von Ausländerfeindlichkeit ist schändlich." Was in Rostock besonders bedenklich sei, dass viele Menschen dort dabei gestanden und applaudiert hätten.

Später, nach den Anschlägen von Mölln und Solingen, drückte sich Kohl zwar davor, an die Anschlagsorte zu reisen - er fürchtete Proteste gegen ihn. Sein Sprecher sagte damals, Kohl wolle "Beileidstourismus" vermeiden.

Aber der Bundeskanzler geißelte die Taten - und stellte sich vor die nichtdeutsche Bevölkerung. In einer Regierungserklärung zweieinhalb Wochen nach dem Solinger Mordanschlag sprach Kohl von "abscheulichen Verbrechen" und bekräftigte ausführlich, wie wichtig Ausländer für die deutsche Wirtschaft, die Schaffung von Arbeitsplätzen, für Steuereinnahmen und die Rente seien. Es sei "wahr, dass die bei uns lebenden Ausländer ganz erheblich zum Wohlstand der Deutschen beitragen", so Kohl, und: "Es ist deshalb ein törichtes Gerede, sie fielen uns zur Last."

So deutlich könnte sich heute auch Merkel äußern. Und noch viel mehr: Sie könnte sich an die Spitze einer Gegenbewegung stellen, die die freiheitlich demokratische Grundordnung an Orten wie Heidenau und Freital verteidigt.

Ihr Vorgänger Gerhard Schröder hat es vorgemacht. In seine Regierungszeit fiel der Brandanschlag auf die Düsseldorfer Synagoge (den, wie später herauskam, arabischstämmige Männer verübt hatten).

Nach der Tat forderte der damalige Bundeskanzler einen "Aufstand der Anständigen". In der Folge kam es in der Republik zu einem breiten bürgerschaftlichen Engagement gegen Fremdenfeindlichkeit, Rassismus und Antisemitismus.

Angela Merkel hätte einen "Aufstand der Anständigen 2.0" initiieren können. Dazu wird es schwerlich kommen, obwohl sie sich nun endlich positioniert hat. Im Zeitalter der schnellen, digitalen Medien handelte sie spät, viel zu spät. Glaubhaft kann man nur Positionen vertreten, zu denen man nicht gedrängt wird.

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