Kampf gegen den Terror:Jeder will im Endspiel die beste Ausgangslage

Kampf gegen den Terror: Können Amerikaner (links) und Russen in Syrien zusammenarbeiten?

Können Amerikaner (links) und Russen in Syrien zusammenarbeiten?

  • Russland hat angeboten, im Kampf gegen den IS einen "gemeinsamen Generalstab" mit den USA, Frankreich, der Türkei und anderen Ländern einzurichten.
  • Solche Angebote sind eher Spiegelfechterei.

Von Paul-Anton Krüger

Es ist wieder eines dieser Angebote, das eigentlich niemand ausschlagen kann: Russlands Botschafter in Paris, Alexander Orlow, sagte dem französischen Radio, Moskau sei bereit, im Kampf gegen die Terrormiliz Islamischer Staat (IS) einen "gemeinsamen Generalstab" mit den USA, Frankreich und anderen Ländern einzurichten. Selbst die Türkei, die am Dienstag einen russischen Jagdbomber abgeschossen hat, könne sich beteiligen. Man sei bereit, gemeinsam "Luftangriffe auf Positionen des IS zu planen".

Das wäre ein großer Schritt - bislang beschränkt sich die militärische Kooperation darauf, mögliche Zwischenfälle zu vermeiden, was wenig erfolgreich war. Dazu kommt: Die Vielzahl der externen Akteure in Syrien ist nicht nur uneins über mögliche gemeinsame Angriffe auf die Soldaten des Kalifats - die Parteien verfolgen grundsätzlich gegensätzliche Kriegsziele.

Keine ernstgemeinten Versuche zur Deeskalation

Russen und Iraner wollen das Regime von Baschar al-Assad retten - und damit ihre eigene Position in Syrien und der Region. Die Türkei und die sunnitischen Golfstaaten wollen Assad stürzen, den sie als Kostgänger der Iraner sehen, der konkurrierenden schiitischen Regionalmacht. Die USA, Frankreich und andere westliche Staaten wollen militärisch zu allererst den IS bekämpfen - und laden ihrerseits die Russen ein, sich an der von Washington geführten Koalition gegen die Terrormiliz zu beteiligen. Politisch aber dringen sie wie die Türkei und die sunnitischen Golfstaaten darauf, dass am Ende eines politischen Übergangsprozesses Assad gehen muss.

Kriegsparteien in Syrien und Irak

Angebote zur militärischen Zusammenarbeit sind angesichts dieser unterschiedlichen Ziele eher Spiegelfechterei. Jede Seite will später sagen können, an uns hat es ja nicht gelegen. Ernst gemeinte Versuche zur Deeskalation sind sie nicht. Würden die USA den Russen ihre Geheimdiensterkenntnisse über die Rebellen liefern? Oder die Russen mit dem Westen ihre Pläne teilen, welche Rebellen als nächstes bombardiert werden? Wohl kaum.

Das Gegenteil ist der Fall: Alle Parteien sind seit dem Kriegseintritt Russlands dabei, die militärische Auseinandersetzung zu eskalieren - Russland selbst am allermeisten. Sie wollen sich die beste Ausgangsposition verschaffen, wenn das Endspiel um Syrien in die letzten Minuten geht.

Weil der Westen und die USA nicht entscheidend in Syrien eingreifen wollten, tat es Russlands Präsident Wladimir Putin. Seine Intervention kam zu einer Zeit, da das Regime seines Verbündeten Baschar al-Assad erstmals in dem Bürgerkrieg ernsthaft in Bedrängnis geraten war. In der ersten Jahreshälfte hatten die von Saudi-Arabien, anderen sunnitischen Golfstaaten wie Katar und den Vereinigten Arabischen Emiraten sowie von der Türkei unterstützten Rebellen Geländegewinne gegen Assads Truppen erzielt.

Russlands oberstes Ziel in Syrien ist es, Assad zu retten

Aus russischer Sicht war der Schritt folgerichtig: Damaskus ist der engste unter den wenigen Verbündeten Moskaus in der arabischen Welt, die sich sonst mehrheitlich an Amerika anlehnte. Russlands Marine unterhält in Tartus ihren einzigen Stützpunkt im Mittelmeer, Syrien ist ein treuer Kunde für Waffen.

Russland und mehr noch Iran werden ihre Stellung in Syrien nur wahren können, wenn sie die Nachkriegsordnung maßgeblich bestimmen - und Kernelemente des Regimes, eine Mischung aus Assads Familienclan und alawitischen Seilschaften, erhalten bleiben. Syriens Bevölkerung besteht zu 80 Prozent aus Sunniten. Sie stellen die große Mehrzahl der Rebellen, und viele von ihnen hassen Putin mehr als Assad.

Eine offene Intervention an der Seite Assads, das wird auch Putin klar gewesen sein, würde auf massiven Widerstand treffen. Also beschwor er vor den UN eine Allianz gegen den Terror, die er in eine Linie mit dem Bündnis gegen Hitler im Zweiten Weltkrieg stellte - dem könne sich der Westen nicht entziehen, so Putins Logik.

Der Kampf gegen den IS aber ist für den russischen Präsidenten in Wahrheit nachrangig: Mehr als vier Fünftel der russischen Luftangriffe richten sich nach wie vor gegen Gruppen der bewaffneten Opposition, die gegen Assad kämpfen. Ihn zu retten, ist das erste Ziel Russlands, erst danach will es sich um den IS kümmern. Auch wenn der jetzt schon eine akute Gefahr ist: Die Terroristen bombten ein Flugzeug mit 224 Urlaubern herunter. Und in ihren Reihen kämpfen Tausende russische Staatsbürger aus dem unruhigen Kaukasus. Die den Terror nach Hause tragen könnten.

Russland versucht derzeit, im Zusammenspiel mit der Hisbollah, anderen Schiiten-Milizen und den iranischen Revolutionsgardisten das Assad-Regime militärisch zu stabilisieren. Zuletzt trafen die oft ungelenkten Bomben dieser Allianz auch die Siedlungsgebiete der syrischen Turkmenen an der türkischen Grenze, aber auch andere Rebellengruppen, die auf die Küstenebene um Latakia vorgestoßen waren. Es ist das Kerngebiet der Alawiten, jener schiitischen Sekte, der auch die Familie Assad entstammt. Dort, rund um Homs und um Aleppo, sind derzeit die heftigsten Gefechte seit zwei Jahren in Gang, seit die Russen mit ihrem Luftangriffen begonnen haben.

Die Iraner, die Syrien primär als strategisches Hinterland der Hisbollah im Kampf gegen Israel und als Route für Waffenlieferungen sehen, schicken mittlerweile Elitesoldaten der Revolutionsgarden nach Syrien - mehrere ihre Generale sind in den vergangenen Wochen dort gefallen.

Die Erzfeinde der Region verhandelten zumindest schon im gleichen Raum

Die Golfstaaten und die Türkei haben dem nicht untätig zugesehen. Sie haben den von ihnen unterstützten Rebellen - Teil eines kaum zu überschauenden Flickenteppichs bewaffneter Gruppen der Opposition - moderne Panzerabwehrraketen aus US-Produktion geliefert. Sie sollen den Vorteil neutralisieren, den sich die Regierungsarmee im Stellungskrieg von russischer Luftunterstützung erhofft hat - bisher mit einem gewissem Erfolg. Unklar ist, wie lange die Rebellen dem massiven Bombardement standhalten können - zumal sie sich vielerorts auch gegen den aggressiven IS behaupten müssen.

Saudi-Arabien und die Türkei, aber auch Iran, sind wesentlich tiefer in diesen Konflikt verstrickt, als es die USA je waren. Russland hat sich nun selbst tiefer in diesen Treibsand begeben. Zugleich will Moskau eine politische Lösung voranbringen. US-Außenminister John Kerry und seinem russischen Kollegen Sergej Lawrow, die ein professionelles Verhältnis zueinander pflegen, ist es gelungen, alle relevanten Akteure in den gleichen Raum eines Wiener Hotels zu zwingen. Iraner und Saudis wurden dabei so platziert, dass sie keinen direkten Blickkontakt haben mussten.

Ob die Amerikaner jedoch den Einfluss und die Russen die ehrliche Absicht haben, die verfeindeten Lager zu den schmerzhaften Kompromissen zu zwingen, die ein Frieden erforderlich macht, ist nach dem Zwischenfall vom Dienstag fraglicher denn je - wie viele Beteuerungen und Angebote zum gemeinsamen Kampf gegen den "Islamischen Staat" auch ausgesprochen werden.

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