Kampf gegen den IS:Rekruten für die Terrorarmee

Shefqet Krasniqi

Vorübergehend festgenommen: Shefqet Krasniqi, Imam der größten Moschee im kosovarischen Prishtinë/Priština, soll islamistische Hetze verbreitet haben.

(Foto: Visar Kryeziu/AP)

Muslime aus Europa töten und sterben für den "Islamischen Staat". Viele kommen aus Bosnien, Serbien und Kosovo. Die Regierungen antworten mit Verhaftungswellen - auch gegen Imame.

Von Florian Hassel, Belgrad

Wie zuvor schon andere Balkanstaaten will in den kommenden Wochen auch Serbien sein Strafgesetzbuch verschärfen, um islamistischen Gruppen die Rekrutierung von Kämpfern zu erschweren. Durch die geplante Neufassung des Artikels 386 soll die Teilnahme an einem Krieg oder die Zugehörigkeit zu bewaffneten Gruppen in einem anderen Land ebenso unter Strafe gestellt werden wie das Werben dafür. Mit bis zu zehn Jahren Haft sollen Kriegswerber und serbische Söldner im Ausland künftig bestraft werden können. Ähnliche Gesetze haben bereits Bosnien-Herzegowina und Mazedonien erlassen; Albanien, Kosovo und Montenegro bereiten sie vor.

Denn der Balkan ist - neben westlichen Ländern mit großer muslimischer Minderheit wie Frankreich, Belgien oder Großbritannien - zu einem der Hauptrekrutierungsgebiete in Europa für die Terrorarmee des Islamischen Staates (IS) und anderer radikaler Gruppen geworden. Zunächst machten vor allem Kämpfer aus Bosnien von sich reden: In dem Land, in dem 40 Prozent Muslime leben, gibt es seit der Zeit des Bosnienkrieges Anfang der Neunzigerjahre Verbindungen zum radikalen Islam. Damals kamen Muslime aus aller Welt ihren Glaubensbrüdern im Krieg gegen die Serben zu Hilfe. In den vergangenen Jahren haben sich islamistische Stiftungen, oft mit saudischem Geld, verstärkt in Bosnien engagiert. Einige Dörfer wie Gornja Maoča gelten als islamistische Hochburgen.

Bosnische Polizei nimmt Rückkehrer fest

Die bosnische Polizei schätzte die Zahl radikaler Islamisten vor einigen Jahren auf mehr als 3000. Anfang September äußerte der bosnische Sicherheitsdienst die Vermutung, bis zu 340 islamistische Bosnier seien bereits für den IS oder andere radikale Gruppen nach Syrien oder in den Irak gegangen; mehr als 30 seien bereits gestorben. Am 3. September nahm die bosnische Polizei 16 Menschen fest, die angeblich aus dem Krieg im Nahen Osten in ihre Heimat zurückgekehrt waren.

Auch aus anderen Balkanstaaten mit muslimischer Bevölkerung oder Minderheit sind nach übereinstimmenden Schätzungen von Geheimdiensten und des Londoner Zentrums für das Studium von Radikalisierung (ICSR) mehrere Hundert Islamisten für den IS und ähnliche Gruppen wie Jabhat al-Nusra in den Krieg gezogen: etwa 150 Mann aus Kosovo, so schätzen Kosovos Geheimdienst und die CIA, 140 aus Albanien, 30 aus Montenegro und 20 aus Mazedonien.

In Montenegro wies der Sicherheitsausschuss des Parlaments den Inlandsgeheimdienst am 30. September an, bis zu 300 einheimische Islamisten dauerhaft zu überwachen; ein Parlamentarier reichte einen Gesetzentwurf zur Bestrafung von Kämpfern im Ausland ein.

Selbst Bürger des überwiegend christlich-orthodoxen Serbiens sind in den Nahen Osten gezogen - in der südserbischen Region Sandschak lebt eine muslimische Minderheit. Dort machte vor wenigen Tagen ein Facebook-Aufruf Schlagzeilen: Die Muslime im Städtchen Novi Pazar, dem Zentrum des Sandschak, sollten dringend eine Mudschaheddin-Armee gründen, um die Region gegen serbische Nationalisten zu verteidigen, die einen Angriff vorbereiteten.

Der Aufruf war eine Reaktion auf einen Kommentar eines serbischen Nationalisten, demzufolge Kämpfer auf dem Weg nach Novi Pazar seien. Die serbischen Nationalisten stören sich an der seit einigen Jahren wachsenden öffentlichen Rolle des Islam in Novi Pazar. Zumindest einige junge Männer aus Novi Pazar sind in den vergangenen Jahren in den Nahen Osten gezogen, wie verzweifelte Eltern später serbischen Medien berichteten.

Nirgendwo solche Wellen wie in Kosovo

Nirgendwo jedoch schlägt das Engagement heimischer Islamisten in Syrien oder dem Irak solche Wellen wie in Kosovo. Dessen 1,8 Millionen Menschen zählende, vorwiegend aus muslimischen Kosovo-Albanern bestehende Bevölkerung hängt überwiegend einem moderaten Islam an - doch wie in anderen armen Balkanländern mit hoher Arbeitslosigkeit wächst auch in Kosovo der Einfluss der Radikalen. In der Hauptstadt Priština berichteten Medien über Lavdrim Muhaxheri, der für den IS angeblich ein Kontingent kosovo-albanischer Kämpfer anführt und im Juli auf seiner Facebook-Seite Fotos veröffentlichte, die offenbar zeigen, wie er einen Gefangenen köpft.

Das US-Außenministerium setzte Muhaxheri Ende September auf seine Liste der meistgesuchten Terroristen. Mehr als 40 Kosovo-Albaner sollen der heimischen Polizei zufolge schon in den Nahost-Kriegen gestorben sein. Kosovarische Behörden gingen im August und September öffentlichkeitswirksam gegen angebliche Islamisten vor und nahmen Dutzende angeblicher IS-Veteranen oder -werber fest. Bei einer zweiten Aktion verhaftete die Polizei 15 mutmaßliche Islamisten wegen des Verdachts auf Terrorismus, Bedrohung der verfassungsmäßigen Ordnung und Aufhetzung zum religiösen Hass.

US-Regierung begrüßt das Vorgehen ausdrücklich

Unter den Festgenommenen waren Fuad Ramiqi, Führer der islamistischen Partei Lisba, sowie zwölf Imame von Moscheen in Kosovo, zu denen auch Shefqet Krasniqi gehörte, der Prediger der größten Moschee in der Hauptstadt Priština. Die US-Regierung begrüßte das Vorgehen der kosovarischen Sicherheitskräfte ausdrücklich.

Manche Beobachter sehen die Offensive der Polizei allerdings mit Verwunderung und Skepsis. Denn Kosovos scheidender Ministerpräsident Hashim Thaçi und seine Partei PDK verstanden sich jahrelang nicht schlecht mit den Islamisten. Der verhaftete Imam Shefqet Krasniqi etwa veröffentlichte zuvor regelmäßig Kommentare in der PDK-nahen Presse, berichtet der Fachdienst Courrier des Balkans. Der angesehene albanische Intellektuelle Fatos Lubonja beschuldigte deshalb die Regierung Kosovos, mit ihrem plötzlichen Einsatz gegen Islamisten "den Amerikanern zuliebe Terror gegen die islamische Gemeinschaft" auszuüben. Das Berufungsgericht Kosovo ordnete am 1. Oktober an, elf der fünfzehn Festgenommenen freizulassen - das untergeordnete Gericht habe keine überzeugenden Gründe genannt, warum ihre Inhaftierung notwendig sei.

Auch in Bosnien mussten etliche Verhaftete bereits wieder freigelassen werden. Das dürfte ein Indiz dafür sein, dass sich die realen Gefahren durch Islamisten durchaus mit Aktivismus von Regierung und Sicherheitsbehörden mischt, die in die Allianz gegen den IS drängen und so Punkte in Washington oder Brüssel machen wollen. Mazedoniens Präsident Gjorge Ivanov zum Beispiel nutzte Ende September eine Rede vor den Vereinten Nationen zu dem Aufruf, sein Land schnell in die EU und die Nato aufzunehmen. Andernfalls bestehe die Gefahr, dass radikale Islamisten das "Vakuum" auf dem Balkan füllten.

Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: