Kairo erwartet "Marsch der Million":Ägyptens Armee will nicht auf das Volk schießen

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Ägyptens Führung bemüht sich, das aufgebrachte Volk zu beruhigen: Das Militär nennt die Ziele der Demonstranten "legitim" und will nicht gegen das Volk vorgehen. Der neue starke Mann im Land, Vize-Präsident Suleiman, verspricht einen Dialog mit der Opposition. Doch die gibt sich mit Gesten nicht zufrieden: Sie will mit einem "Marsch der Million" notfalls bis vor den Präsidentenpalast ziehen.

Christiane Schlötzer

Unmittelbar vor neuen Massenprotesten hat Ägyptens Armee versichert, sie werde nicht auf die Bürger schießen. Der erst am Wochenende ernannte neue Vizepremier Omar Suleiman, der nun als starker Mann im Staat gilt, kündigte zudem einen Dialog mit allen Parteien an. Zuvor hatte die Opposition den Druck auf Präsident Hosni Mubarak noch einmal erhöht. Sie rief zu einem unbefristeten Generalstreik und zu einem "Marsch der Million" in ganz Ägypten auf.

Die Soldaten wurden in Kairos Straßen begeistert empfangen - nun hat die Armee bekannt gegeben, nicht auf Demonstranten zu schießen. (Foto: dpa)

Die Armee galt bisher als größte Stütze des Regimes, sie hat sich offiziell auch noch nicht von dem 82-jährigen Mubarak distanziert. Die Erklärung des Armeesprechers aber könnte einen Kurswechsel signalisieren. Die Armee habe nie Gewalt gegen "das großartige Volk von Ägypten" angewendet und werde das auch nicht tun, hieß es in der im Staatsfernsehen verbreiteten Botschaft. Die Forderungen des Volkes seien "legitim". Die Präsenz der Armee in den Straßen diene nur dem Schutz der Bürger.

Kurz nach dieser Erklärung am Montagabend meldete sich Vizepräsident Omar Suleiman im Fernsehen zu Wort, versprach einen Dialog mit allen Parteien, kündigte eine Verfassungsreform und eine teilweise Wiederholung der umstritten Parlamentswahl vom vergangenen November an. Er spreche im Auftrag Mubaraks, sagte Suleiman.

Friedensnobelpreisträger Mohammed ElBaradei hatte zuvor im Namen der Opposition die Bildung einer "Einheitsregierung" verlangt. Der sollte auch ein Mitglied der bisher illegalen Muslimbrüder angehören, sowie der prominente liberale Politiker Aiman Nur. Dieser war 2005 in der Präsidentenwahl gegen Mubarak angetreten und danach zu langer Haft verurteilt worden. Die Muslimbrüder, die sich bei den Protesten anfangs zurückgehalten hatten, kündigten an, sie wollten so lange demonstrieren, bis "die gesamte Staatsführung" aus "Präsident, Partei, Ministern und Parlament" sich zurückziehe. Andere Gruppen haben den kommenden Freitag zum "Tag der Abreise" Mubaraks erklärt. Dann wollen sie zum Präsidentenpalast in Kairo marschieren. Für diesen Dienstag riefen sie zu einem "Marsch der Million" in ganz Ägypten auf.Bei den Protesten und bei nächtlichen Plünderungen und Gewaltexzessen gab es bislang mindestens 125 Tote und Tausende Verletzte.

Die EU-Außenminister riefen Mubarak auf, "einen geordneten Übergang" hin "zu freien und fairen Wahlen" einzuleiten. Während der Westen sich immer deutlicher von Mubarak distanziert, gibt es auch in der arabischen Welt Absetzbewegungen. Syriens Staatschef Baschar al-Assad ermahnte die arabischen Führer, "sich selbst in dem Maß weiterzuentwickeln, wie sich die Gesellschaft entwickelt". Syrien ist ein Polizeistaat, in dem die Opposition unterdrückt wird. "Wir befinden uns in einer neuen Ära", sagte Assad dem Wall Street Journal.

Mubarak hat am Montag scheinbar ungerührt noch Minister für sein neues Kabinett vereidigt. Nachfolger des bei der Bevölkerung besonders verhassten bisherigen Innenministers Habib El Adly ist nun Mahmut Wagdi, der zuvor ein Amt in der Gefängnisverwaltung hatte.

Viele Staaten fliegen inzwischen ihre Bürger aus Ägypten aus. Am Flughafen in Kairo warten Tausende auf ihre Ausreise. Die deutsche Touristin Gabi Heinze sagte der SZ, die Bundesregierung müsse "dringend mehr tun, um die Menschen nach Hause zu bringen". Am Flughafen gebe es kaum mehr Wasser und Lebensmittel. Wegen der Unruhen stieg der Ölpreis erstmals seit fast zweieinhalb Jahren wieder über die Marke von 100 Dollar pro Barrel.

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© SZ vom 01.02.2011 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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